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Ein Cello, das in kleinen sich um sich drehenden und sich wiederholenden Läufen nicht von sich loszukommen scheint. Später lösen sich länger gehaltene Töne einer Viola von den statisch kreisenden Bewegungen ab um sich mit einer Violine von sich selbst spalten zu lassen. Im Streicherkörper deutet sich vom ersten Moment an, das eigentliche Thema als eine musikalische Metapher an: der Riss im Menschen, seine uneinheitliche Einheitlichkeit. Im Verlauf des Abends und vor allem als Zwischenglieder zwischen den fünf Kapiteln des Stückes sollte diese musikalische Metapher noch deutlicher werden: immer wieder Wechsel von geschlagenen und geblasenen Tönen, teilweise elektronisch aufbereitet bis sich die Elektronik in Geräuschen davon ablöst. Entscheidend ist dabei, dass in bestimmten Momenten der Ton und seine instrumentale Herkunft nicht mehr identifizierbar sind, das Analoge mit dem Elektronischen verschwimmt, die Obertöne nicht mehr verraten, ob sie den Streichern entspringen oder künstlich produzierten Halleffekten. Was, so fragt die Musik im Dazwischen, was ist Identität, was Authentizität.
Tiefe Schläge einer Glocke wie von draußen. Die Mutter hatte damals dem Kind erklärt, das Abendläuten sei für die Verirrten im Wald. Damals, als mensch sich noch in Wäldern verirrte. Schwarze und weiße Schatten jetzt. Die Sehende sieht noch keine Verrichtung, die den Bewegungen der Schatten Sinn zusprechen könnte. Ein Husten. Immer wieder Husten. Da liege jemand im Bett, sagt Sie. Dem Husten nach ist es eine Frau, eine ältere Frau. Nachdem sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt hat erkennt sie in den Schatten Klosterfrauen, Nonnen in schwarzen und weißen Ordensgewändern. Schwarz sei die Farbe der Augustinerinnen, aber ob das eine Rolle in der Aufführung spiele. Er denkt an die Äbtissin in Norcia, einer energischen Frau, die bei der Verabschiedung mit zurückgenommener Stimme leise alles Gute gewünscht hatte, das hatte Sie ihm übersetzt.
Dez 10 2014
Die Rückseite der verkrüppelten Schönheit
Zu RAVEL RAVEL UNRAVEL, 2013 und UNRAVEL, 2013 von ANRI SALA
Venedig, Barriere gegen die See, in Kanälen dümpelt sie in kleinen Dosen herein. Venedig Landnahme gegen die Gezeiten, nur von Normalen und Gesunden lässt sie sich erfahren. Eine Stadt, für sogenannte Behinderte unbegehbar, auch wenn Giuseppe Sinopoli von den Brücken seiner Heimatstadt als erfahrbaren mystischen Auf- und Abstieg zwischen Himmel und Hölle spricht.
Dez 2 2014
Gase im Treibhaus
EPIGONIA - eine pataphysische Oper. Regie: MICHAELA SENN & EKEHARDT RAINALTER
Das, wovon später zu sprechen sein wird: kaum dass das Treibhaus betreten ist, ist es zu riechen: Essen, gut zubereitetes Essen. Einen Stock höher wird eine und eine halbe Stunde von nichts anderem gesprochen werden, als dass es nichts mehr zu essen gibt. Wenn jemand also Essen riecht, behauptet, er oder sie rieche Essen, kann es sich nur um Hungerphantasien handeln, um die Imagination von Essen, um Einbildung, genährt von den Essensgerüchen des Foyers als Stimulanz für die essensfreie Zeit, die die Aufführung thematisiert. Die ist nur im Theater zu haben oder genauer zu handhaben
"Sehr viele Menschen und vielleicht die meisten Menschen müssen, um etwas zu finden, erst wissen dass es da ist.“ (G. C. Lichtenberg)
Okt 3 2010
O-Platz 17 oder Bild Hängung und Bewegung
Notizen zur 6. Berlin Biennale 2010: Was draußen wartet
Er hatte sich damals keine Rechenschaft darüber abgelegt, was er da eigentlich gesehen, hatte nichts davon notiert oder festgehalten, was jetzt ihm hätte helfen können aus der Erinnerung einer bloßen Empfindung herauszukommen, die jetzt noch das einfärbte, einstimmte was die Details des Wahrgenommenen bereits damals überschwemmt hatte. Flüchtig es freilich vorher bereits von ihm gesehen, und immer wieder gesehen. Gesehen aber eher wie notwendige Bestandteile einer Kulisse. Die aufgeschreckte Fassade des Nachts etwa, die die Schläge des Blaulichts in ausgetakteten Bruchstücken auf den Platz stießen; oder die schweren Holztüren die sich tags darauf noch tiefer in die von Staub und Abgasen geschwärzten Sandsteinmauern zurückzuziehen schienen, wie um ihre Ornamente aus dem Geschehen herauszuhalten.
Vom Weg Strassen gebeugt, auf dass er von ihnen nicht zerteilt werde. Wuchtigen Schwungs sie ausgewürfelt, um unter ihnen nichts zu verlieren und gerade deshalb zählt er viele. Fleisch will seine Idee werden, und noch bevor sie dem Gedächtnis hingeworfen wie ein rohes Stück Wort. Dann schickt er in ihr seinen Atem aus, Mund zu Mund an Geräuschen und die blähen sich, zinken die Karten um in Erkennen sich zu verspielen.
Mit kleinen Schalen wie diesen hier arbeite sie immer. Bildausschnitte aus Zeitschriften Magazinen und Büchern darin gesammelt. Vielleicht Jahre zuvor bereits sie ausgeschnitten und ohne eine Verwendung vor Augen. Kriterienloser Stich der Schere in oberflächlich Haftengebliebenes. Bilder aus Kontexten gedrängt. Teile von Bilder aus Ganzem und was in ihnen an Darstellung an Bericht visualisiert - im Schnitt abgetrennt und verworfen. Unter ihren Bilderspuren verlorengegangene Bedeutung und verlorengegangen was in ihnen bezeugt. Von Geschichte getrenntes Geschehen. Ohne Zeit Bild im Begriff bloßer Beschreibung. Nur mehr für sich.
Seit der Raum erfunden war er immer zuallererst Ausgrenzung. Zwischen Innen und Außen scheidend, macht in seinem Inneren er das Verhältnis zwischen beiden aber auch erfahrbar. Wenn etwa der Hall in der Kathedrale, nachdem er unzählige Male gebrochen und ineinandergeschoben, sich aus dem Endlichen ins Unendliche geradezu hörbar verliert, erscheint zwischen den Mauern eine Unerreichbarkeit in Zeit und Transzendenz in einem kurzen Moment wie aufgehoben. Vollkommen entgegengesetzt diesem sakralen Raum und seinem Versprechen, brechen die Mauern des Holocaustturmes im Jüdischen Museum den Schlag des Blindenstockes in ein Vielfaches von Peitschenhieben und, in Schnittschärfe diese, auf den Hörenden einschlagend ohne dass der zu entkommen wüsste. Stahlversiegelt das Außen. Herabgestoßen alle Transzendenz in himmelloses Schwarz.
Danach waren sie losgegangen. Nochmals. Nochmals die Brache. Gleichsam das Gegenstück zum Modellpark. Gebäude dort aus ihrem Ort ihrer Zeit gerissen, und der Maßstab das einzige womit sie in Zusammenhang gestellt. Harmlose Restlosigkeit in Oberflächen sich erschöpfend. In ihrer präzise gearbeiteten Gestalt allerdings Spuren des Grauens in der berührenden Hand: scharfe Risse an den geborstenen Mauern des Jüdischen Museums etwa, gestochene Spitzen am Siegessäulenschaft – in Haut in Erinnerung gebracht und Erinnerung weit über das Modell hinaus. Ergehbare Geschichtslosigkeit in kiesweggezirkeltem Rasen, die die Haut unterbricht und gerade da, wo bildlos die Gestalt verloren. In der Brache wiederum der berührenden Hand vom Bild ganz anders widersprochen, und was Sie davon beschreibt, dem springt das Gehörte zur Seite. Wahrnehmung vom Berührten für einen Moment gleichsam verdeckt, das Sinnliche von der Empfindung, und dass ein Nicht-Ort möglich, vermöchte Denken doch erst zu denken, wenn seine Eigenzeit ihm längst widersprochen.