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Ein blinder Mann steht im schwarzen Overall vor den Bildern seiner toten Kollegin. Er zieht sich eine Hassmaske verkehrt herum so auf, dass das ganze Gesicht bedeckt ist. Er zieht sich die Kapuze des schwarzen Hoodys, den er unter dem Overall trägt, über. Der ganze Kopf verschwindet in schwarzem Stoff. Er holt schwarze Lederhandschuhe aus dem Overall und zieht sie an. Mit dem Blindenstock erkundet er die Halle des U-Bahnhofs vor dem Schaukasten. Er geht mit ihm durch die Halle, fährt aber auch über die niedrige Decke der Station.
Okt 11 2022
Die Welt im Körper der Performerin
Das Bild, das Wort, das Zeichen, der Körper, die Welt mit ihrem Klang, mit ihren Lauten und Geräuschen: was ist davon lesbar, was bringt den Blinden die Haptic Access Tour in ihren Beschreibungen näher. In Gina Jeskes Audiodeskription findet sich der Blinde zwischen zwei Tribünen im rechten Winkel zueinander, davor Sitzpolster und Rollstuhlplätze. Die weiße Bühne in Form eines Diamanten, korrespondiert mit Zeichen, die auf Tapas projiziert werden. Zeichen, die sich aber auch als Tattoos auf den Händen der Performerin wiederfinden. Schlagwerk aus Holz, Trommel mit Klangschlitz, Woodblock, Klanghölzer, Kokosnussschalen, eine zusammengerollte Matte, mit einem Band zusammengehalten, die ebenfalls als Schlagwerk benutzt wird. Viel wird auf die Tapas projiziert werden und dann auch wieder nicht, denn nichts davon ist als Ganzes von einem jeden Platz einsehbar. Alle Projektion ist zerrissen und schwingt zwischen anwesend und abwesend . Pelenakeke Brown wird sehr viel mit den Händen und ihren Bewegungen arbeiten. Bei der Haptic Access Tour stellt sie die Bewegungen vor und Gina Jeske beschreibt das zu Sehende.
Sep 15 2022
Furcht und Gier
Das Grundproblem der Audiodeskription im Tanz ist sehr eng mit dem Kern des Tanzes, der Bewegung und ihrer Beschreibung verbunden. Die Bewegung sprachlich zu erfassen ist die allererste und zugleich niemals glücklich ganz zu lösende Schwierigkeit. Grundsätzlich stehen hier zwei Strategien zur Verfügung, die nach Meinung des blinden Autors nur ineinander greifend zu handhaben sein sollten, die niemals dogmatisch gegeneinander gelesen werden sollten. Da ist einerseits die, die Bewegung und den Bewegungsablauf zusammenfassende Beschreibung, die sich immer am Rande der zu vermeidenden Interpretation des Gesehenen bewegt, da ist andererseits die sehr detaillierte Beschreibung der einzelnen Bewegungen, die beim blinden Hörer nicht selten aber zur Verwirrung und zum Nichtverstehen führt.
Aug 18 2022
Von Sinnen als ästhetisches Prinzip
Blindheit heißt sich nicht allein von Sprache durch Welt führen zu lassen, es heißt die eigene Körpererfahrung körperlich ernst zu nehmen, um sich von den eigenen sinnlichen Erfahrungen durch Situation und Ereignis von Welt hindurchführen zu lassen.
Jul 20 2022
Gravity sucht einen Weg hinein in das Dunkel
Eine Idee sucht sich ihren Körper und findet zwei Sehende und einen Blinden, die ihr dabei behilflich sind. Eine Idee dekliniert sich nicht mehr allein in Worten durch, spielt sich hinein in mehrere Körper, bringt sie zu Ausdruck und lässt sie darin mit einander kommunizieren: bringt sie zum tanzen.
Der blinde Körper sieht sich nicht. Zwar sieht auch der sehende Körper nur einen Teil von sich. Dennoch glaubt er, von sich als seinem Bild als von einem Ganzen sprechen zu können. Der Begriff, gestützt auf das Bild, unterstützt diese Illusion und ermöglicht so, dass Blinde und Sehende überhaupt vom Selben sprechen können, ohne vom ersten Moment an sich missverstehen zu müssen. Was Sprache hier leistet, ist einerseits eine Ermöglichung von Kommunikation zwischen beiden, es ist aber zugleich eine Einschränkung des Körpererlebens, eine Reduktion leibhaftiger Erfahrung. Während der Begriff den Körper wie seine Bewegung anspricht, beides sich als inneres Bild im Körper des Blinden sozusagen empathisch erahnen lässt, ist der eigentliche Vollzug der Körperbewegung ein Fleischwerden des Begriffes, das weit über den Prozess einer inneren Einbildung, einer Imagination, der Erahnung von Körperzustand wie Handlung hinausgeht.
Das Fehlen eines gesehenen Bildes des eigenen Körpers, des eigenen Gesichts scheint zunächst ein Makel zu sein. Tatsächlich sind die Blinden dadurch gezwungen aus der Haut heraus sich und ihre Beziehung zur Welt zu erspüren, ohne dass ihnen dabei das Bild zur Hilfe käme. Das Fehlen des Bildes bedeutet aber auch die Möglichkeit einer Unmittelbarkeit, die Möglichkeit ohne Reduktion auf das Bild und seine Urteile und Vorurteile an Mensch und Welt herantreten zu können.
Kein Mensch tritt aber ohne solcherlei Urteile an Mensch und Welt heran. Wir haben also immer einen ganzen Werkzeugkasten für die Beurteilung der Welt sowie für das Verhalten in der Welt.
Kunst kann ein Teil eines solchen Werkzeugkastens sein und Zeitgenössischer Tanz ein sehr differenziertes Werkzeug für Betrachtung und Erleben von Welt. Blindheit wiederum ist der Körperlichkeit des Zeitgenössischen Tanzes von der Bildlosigkeit von vorneherein sehr nahe. Wird sie aber durch Audiodeskription dem Blinden vermeintlich nahe gebracht, wird sie, wenn es sich dabei um herkömmliche Beschreibungen von Handlungen und Formen handelt, in einer erneuten Reduktion verkrüppelt. Zeitgenössischer Tanz bietet die Möglichkeit in Haptic-Access-Tours durch körperliches Mit-Empfinden in einer Sprache, die auf die reale Fleischlichkeit von Körpern setzt, sich nicht nur in die eigentliche Performance hineinzuleben, sie erwirkt sich im Miterleben zugleich eine ganz andere Sensitivität für den eigenen Körper und seine Möglichkeiten. Zeitgenössischem Tanz beizuwohnen heißt, ein körperliches Denken kollektiv pflegen zu können, ein Denken sich anzueignen, das das ganze Denken noch einmal von einer ganz anderen Richtung in sich erfahren lässt: vom eigenen Körper aus denken, den Kopf nicht ausschalten, ihn aber auf das hin zu reflektieren, was er tatsächlich ist, denkender, empfindender sensitiver Körper und leibhaftiges Fleisch im Körper.
Jan 16 2022
Der Raum, die Zeit und das Unsichtbare
Bildlos fährt die Hand über Glas, stößt auf Stahl um hernach wieder auf Glas zu stoßen. Jemand öffnet eine Tür. Dezent kommt Lärm heraus und mischt sich mit dem Lärm der Straße. Der Blinde geht hinein, lässt sich von einem anderen Raumvolumen erfüllen, das das vorherige in die Erinnerung verbannt. Am Arm seiner Assistentin geht er hinunter und bekommt eine weitere Tür geöffnet.
Ein vielgliedriger Organismus greift akustisch mit Geräuschen, Tönen, mit Schlagzeuggetrommel, mit unterschiedlichen Stimmen nach ihm, sucht ihn zu betören mit einem Geflecht an Ereignissen. Keine Wucht tritt da auf um ihn einfach zu überwältigen, eher ist es ein Locken, das ihn in sich hineinzuziehen sucht, wie einst die Sirenen den griechischen Helden verführerisch zu sich zu ziehen suchten, wie auch damals etwas, das auch hier eine unglaubliche Neugierde auslöst, die den Blinden an sich bindet.
Tonspuren, Bildbeschreibungen, Musik vom Projektor, vom Band, wie Life eingespielt… Blinde sollten nicht versuchen, über Bildbeschreibungen sich der Installation anzunähern, Bilder sind hier Nebenerscheinungen, die irreführen, wie der Ton nicht weniger in einen Irrgarten führt um den Blinden bildlos einfach wieder zu verlassen.
Aug 14 2021
Getanzte Aufforderung zur Utopielosigkeit
In seiner berühmt gewordenen Erinnerung an eine Madelaine lässt Marcelle Proust seinen Helden Marcelle durch ein Stück Kuchen in Verbindung mit Lindenblütentee das Bild seiner Vergangenheit aufsteigen, ein sinnliches Erlebnis also, das unwillkürlich ein vergangenes erlebtes Bild im Protagonisten hervorruft. Die Körpersinne rufen also Bilder im Kopf eines Menschen hervor, die vorher von den Augen gesehen wurden. Was aber, wenn Gesehenes beschrieben wird, um in der Beschreibung in blinden wie sehenden Körpern Bewegung und Tanz leibhaft werden zu lassen, sich einfleischen zu lassen.
Jul 19 2021
Triaden des Vertrauens II
Das bildlose Bild des blinden Fotografen vermittelt sich durch Gespür und Stimme.
Jul 18 2021
Triaden des Vertrauens I
Der französische Philosoph Emmanuel Levinas lässt einen Blinden nachts mit einer Fackel auf der Straße gehen, der gefragt, warum er als Blinder eine Fackel trage, wo er doch nichts sehe, diesen antworten lässt: damit er gesehen werde.