Ein schwarzes Etwas besucht die Bilder der blinden Fotografin Mary Hartwig (12.05.1950 – 22.04.2019) und spricht mit ihnen über ihre Herkunft
Eine Performance des blinden Autors und Fotografen Gerald Pirner aus Anlass einer Ausstellung des Fotostudios für blinde Fotograf*innen im Schaukasten des U-Bahnhofes Kleistpark in Berlin
Ein blinder Mann steht im schwarzen Overall vor den Bildern seiner toten Kollegin. Er zieht sich eine Hassmaske verkehrt herum so auf, dass das ganze Gesicht bedeckt ist. Er zieht sich die Kapuze des schwarzen Hoodys, den er unter dem Overall trägt, über. Der ganze Kopf verschwindet in schwarzem Stoff. Er holt schwarze Lederhandschuhe aus dem Overall und zieht sie an. Mit dem Blindenstock erkundet er die Halle des U-Bahnhofs vor dem Schaukasten. Er geht mit ihm durch die Halle, fährt aber auch über die niedrige Decke der Station.
Katrin Heidorn hat in der Zwischenzeit die Audiodeskription übernommen. Sie beschreibt die Handlungen des Blinden für die anwesenden blinden Kolleg*innen und Besucher*innen. Nachdem der blinde Fotograf sich selbst beschrieben hat, kehrt er zu seinem Ausgangspunkt zurück.
Er tastet dem Fenster des Schaukastens entlang und stößt auf einen Stuhl und ein schwarzes Tuch, das dort zusammengefaltet liegt. Er befühlt es. Diese Geste korrespondiert mit einem großformatigen Bild von Mary Hartwig im Schaukasten, auf dem zwei Frauen Stoffe befühlen. Im Bild stellt sich auch die Fotografin selbst dar: sie winkt den Frauen von außen zu.
Der schwarzgekleidete Mann nimmt den schwarzen Molltonstoff. Er entfaltet ihn und wirft ihn sich über den Kopf. Von ihm vollkommen bedeckt zieht er Kapuze und Hassmaske unter dem Tuch wieder aus. Von Mollton bedeckt geht er nun mit seinem Blindenstock dem Schaukasten entlang bis zu seinem Eingang. Er betritt ihn und stellt sich mit dem Rücken vor die Bilder. Er schiebt sich den Molltonstoff über den Kopf zurück. Sein Gesicht kommt zum Vorschein. Er entnimmt seinem Overall eine Maglite-Taschenlampe und dreht sie vor seinem Gesicht an. Er leuchtet sich langsam das Gesicht aus.
Das starke kalte Licht der LED-Lampe schneidet das angestrahlte Gesicht mit den geschlossenen Augen aus dem Halbdunkel des Bahnhofes heraus, lässt es in ihm schweben, so die Vorstellung des blinden Fotografen.
Er steckt die Maglite wieder zurück in den Overall und verlässt den Schaukasten. Er kehrt zurück zum Stuhl. Vorsichtig legt er den Mollton über den Stuhl wie um ihn einzukleiden. Er setzt sich auf den Stuhl und nimmt die Pose eines Selbstportraits von Mary Hartwig ein: in der rechten Hand hält er leicht den Blindenstock, der zwischen ihren Beinen auf dem Boden steht. Die linke Hand ist wie zur Abwehr gehoben. Der blinde Fotograf lässt sich von Katrin Heidorn die Pose korrigieren, bis beide den Eindruck haben, dass die eingenommene Pose der Pose auf dem ausgestellten Bild entspricht.
Der blinde Fotograf steht auf, bedankt sich und verbeugt sich.