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Nov 23 2018
Der Blues der Straße als Punkrock
Die Bilder des Miron Zownir in der Berliner Brotfabrik
Was ist der Soundtrack eines Bildes, was ist sein Geruch, was strahlt es an einer, letztlich unfassbaren, Atmosphäre aus - etwas, worin sich auch ein Blinder aufhalten kann, bildlos verstehend.
Der Erblindete hat nicht zu wenig Bilder, er hat viel zu viele. Nichts an Bildern aber gibt es, was ihn von seinen blinden Bildern befreite, von einer inneren Bilderflut, von Bildern die ihre Referenz nur in seinem Inneren haben, die kein Außen kennen, worin sie sich würden wiederfinden lassen, um sich und die anderen Bilder differenzieren und bannen zu können.
Das Material, der Malgrund, Kreide auf einer gefundenen Holztür, verkleinert sie zu einem Tastmodell, vor dem der Blinde jetzt steht. Die Kreide in Schwelldruck übersetzt, die Zweidimensionalität ins Reliefartige, ins Dreidimensionale gebracht.
Malerei als Rückgriff auf das Material, die spezifische materiale Struktur, die in der Fotografie sich in eine Materialität des Fotopapiers zurückzieht, auf dem die Berührung Fingerabdrücke hinterlässt, den Finger, seine Haut dabei klebrig festhaltend. Das Gemälde wiederum zieht sich scheinbar in den Malgrund zurück, hinterlässt dabei aber spürbare Rückstände, Spuren, teils ein wenig fettige aber glatte, die vom Malmittel herrühren, teils körnige, die eher auf Pigmentrückstände schließen lassen, teilweise aber auch Verdickungen, worin der Malprozess seine Spuren hinterlassen hat, etwa in Übermalungen und verschiedenen Schichten des Auftrages.
„Und diese dicke Linie da“, fragt der tastende Autor.
„Das ist der Rest eines Handlösungsversuchs“, so die Künstlerin.
Malend sich im Malprozess beobachten, keine Objekte, Gegenstände oder Modelle als Gegebenheiten einfach nur aufgreifen, sie imitieren, sie wiedergeben, sie reproduzieren: das Ding wie die Figur, wie ihre Beziehung zueinander, unterstehen keinem Zweck. Außerhalb des Bildes haben sie keinen Kontext, der in das Bild hineinreichte. Realismus, Gegenständlichkeit oder das Konkrete sind für Simone Kill Möglichkeiten einer Malerei, die nur eines in ihrer Arbeit gelten lassen will, das Bild, ihr Bild. Das Konkrete ist eine Ausdrucksmöglichkeit, die die Malerin sich offen hält, aber auch nicht mehr als das.
„Ich habe einen geeigneten Ansatz gesucht, um meine Figuren weiterzuentwickeln. Vorlagen sollten her, um deren Flächen zu studieren. Vorlagen, weil ich das intuitive Figurenfinden bewusst einschränken wollte, um in der Form weiterzukommen. Ich wollte mich immer wieder auf eine bestimmte Position der Figur, ihre Haltung, ihren Ausdruck beziehen, um formal ihre Möglichkeiten zu untersuchen“, so die Malerin Simone Kill in einem Gespräch mit dem Autor dieses Buches und seiner Assistentin.
Geht man von der Berührung als einem für die Blinden zentralen Sinnesorgan aus, so hinterlässt der erste Blick auf die Kultur des alten Ägypten zunächst einen sprachlich vermittelten Eindruck der Unnahbarkeit , einen in jeder Hinsicht körperlich nicht erfahrbaren Eindruck für die, denen Bilder von dieser sehr am Monumentalen orientierten Kultur nur in Erzählungen zukommen. In Zeiten der Barrierefreiheit sind Blinde wie Sehbehinderte mit einer Kultur konfrontiert, deren Markenzeichen man als die bewusst aufgerichtete und immer weiter vervollkommnete Barriere bezeichnen könnte. Das wäre in der kolossalen Steinbauweise genauso wiederzuerkennen, wie in einer in Gänze auf das Königtum fixierten Kultur.
Der Ort gut gewählt: außerhalb der Biennale, außerhalb der Räume, der Kieswege, eine Wiese, hörbar davor das Wasser, hörbar die Boote, die es durchpflügen, hörbar die traghetti und ihr Schrappen an den Plattformen, wenn sie beim Anlegen manövrieren, der eine Motor dabei Gas gebend, dann der andere, um das Boot in Richtung der hölzernen Landeplattformen zu bringen. Der Promenade am Kanal entlang das Schwappen des Meeres in der Lagune zu hören, das die Boote in Wellen an das Ufer treibt. Die Ohren bekommen so ein Objekt einer Ausstellung vorgestellt, das in realer Gestalt gar nicht auftaucht: die amerikanische Bildhauerin Carole A. Feuerman lässt das Wasser als Imagination in den Köpfen der Betrachter*innen entstehen, spielt mit ihm in ihrer Einbildungskraft.
Im Rahmen der Ausstellung Der Luthereffekt arbeitete der Fotograf Karsten Hein mehrere Wochen für das DHM in Tansania, um die Lebendigkeit protestantischer Gläubigkeit in der zweitgrößten evangelisch-lutherischen Kirche der Welt zu dokumentieren. In mehreren Serien von Fotografien stellt sich eine Gläubigkeit dar, die der Praxis hiesigen Protestantismus auf den ersten Blick fern zu sein scheint. Trägt die tansanische Glaubenspraxis doch vor allem Züge evangelikaler Erweckungs- oder Pfingstkirchen, wie sie jedoch auch in Europa mehr und mehr um sich greifen und das auch in Deutschland.
Jun 22 2017
„Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.“
Medea von Aribert Reimann an der Komischen Oper in Berlin
Das Heiligtum ihrer Heimat wie ihren Vater verratend, den Tod ihres Bruders in Kauf nehmend, unterstützt Medea den Griechen Jason, in den sie sich verliebt hat, um das Kernstück des heimischen Heiligtums in Kolchis, ein zaubermächtiges Widderfell aus Gold zu rauben. Nicht ganz den Auftrag erfüllt, den Apoll in Delphi erteilt hatte, landen die beiden mit ihren Kindern in Korinth, wo die Zauberin in der Bevölkerung starkes Misstrauen erregt. Um sich zu integrieren sucht die ehemalige Priesterin sich der griechischen Gesellschaft unterzuordnen wie es ihr Mann Jason von ihr erwartet, sehr zum Missfallen ihrer Amme, die Zeugin wird, wie Medea ihre Zauberutensilien vergräbt, um damit ihre Vergangenheit vergessen zu machen.