TOPOGRAPHISCH-INSPIRIERTE KARTE DER RÜCKSEITE EINES TRANS*SCHWARZEN MANNESI N GRAUSKALA Grafik © Zwoisy Mears-Clarke

Ansteckungen an einem Körper im Schmerz

Worn and Felt, eine Performance des Tänzers und Choreographen Zwoisy Mears-Clarke

Eine schmale und weiche Hand, die einen Blinden sucht, ihn nimmt und zu sich heranführt und hineinführt in einen Raum. Auf Bewegung trifft der Blinde, begegnet ihr eher, sacht begegnet er ihr, um sich hineinwachsen lassen zu können. Geräusche, noch andere Menschen sind im Raum. Die anderen Sinne stellen aus Erkanntem Material für den Verstand bereit.

Die Berührung, ein ruhiger Fluss ist sie, durch die Hand hinein in den Körper des Blinden strömt sie, durchzogen ist er von ihr, durchzogen von dem was außerhalb von ihm ist und zugleich in ihm. Sicher fühlt er sich als die Bewegung ihn mitnimmt, fühlt eine Richtung, fühlt den anderen, er spürt seinen Rücken, einen muskulösen Körper durch ein T-Shirt hindurch.

Vorbereitet war er, ein Treffen mit dem Tänzer im Café eliza in der Sorauer hatte es gegeben: In sanften Schwüngen hatte ihn der Choreograph und Tänzer Zwoisy Mears-Clarke in die Bewegung hineingeführt, hatte sich ein kurzes Stück bewegt. Dann hatte er von einem Ereignis gesprochen, das zunächst leichtes Schütteln auslöste, Erinnerung daran, ganz körperliche Erinnerung, Körpergedächtnis, aus einem Grund, der im Innern seines Körpers liegt: eine Narbe, ein Ereignis, ein immer wiederkehrendes Ereignis. Ein Ereignis, das sich immer und immer wieder einstellt, das seine Aktualität nie verlieren wird, obschon es vor Jahren passierte. Tanz ungesehen, unsichtbar, allein zu hören, zu spüren, Bewegung als Fluss, von keinem gesehenen Bild in einen Begriff hineinkontrahiert.

Anfangen, vorbereitet unvorbereitet

Stehen, einfach stehen und warten.

Der lange Anfang. Warten auf das Unbestimmte, vielleicht besser: in Erwartung des Unbestimmten, vielleicht aber einfach: auf das Unbestimmte gefasst sein, gefasst sein müssen.

Kunst für sich genommen hält das Unerwartete bereit, was sie auch so anfällig für den Event macht. Was hier aber geschieht ist eine Nähe, die sich von seiner Gestalt her allem Event entzieht, die etwas hervorruft, das beides ist, hautnah eine Erfahrung geteilt, im wahrsten Sinne des Wortes mit-geteilt. Zugleich aber dabei seine ästhetische Verarbeitung erfahren. Tanz als eine Kunst, die sich vom Körper her vom Bild, vom Blick löst, die eine Unmittelbarkeit, eine Intensität erfährt, die der Blick, das Auge niemals zu erwirken verstünde, die das Auge als ein Medium entlarvt, das immer wie ein Filter funktionieren muss, vielleicht verstärkend, vielleicht abschwächend, immer aber der Sprachvermittlung verpflichtet, immer aus einer anderen Hand.

Dass etwas Unerwartetes geschehen wird muss sich in einem unerwarteten Warten ereignen. Es kann nicht einfach losbrechen, kaum dass die Ereignisbühne betreten ist, muss im Warten eine Spannung vorbereiten, die sich im Hautnahen erfüllt.

Was ist die Haut, was unterscheidet diese von der Netz-haut, was geht unter die Haut, wird also vom Netz der Netzhaut nicht abgefangen.

Nach innen hinein hält sich die Haut so offen wie nach außen. Berühren lässt ein Innen sich spüren, das noch vor einer jeden Sprache sich äußert. Die Haut, Grenze ist sie und zugleich eine Wand, an der die Klopfzeichen aus dem Inneren heraus vom anderen zu spüren sind noch bevor Worte sie kommunizierbar erscheinen lassen möchten.

Eine Hand auf der Haut, Haut auf Haut, eher auf einem Trikot die Haut und Muskeln gespürt, ruhig durchatmete Muskeln. Bewegung, die Hand geführt vom Körper, der vorrangeht, der in seinen Bewegungen eine Ruhe ausströmt, der sich die Hand gerne überlässt, sich ihr hingibt.

Der Raum aber, der solcher Hingebung sich öffnet, mehrstimmig ist er, ist ein Atmen, das von anderem Atmen erwidert wird, von dem es aus seiner Isolation herausgelöst wird, um sich in seiner Vervielfachung zu verzweigen, mehrstimmig zu werden.

Ein Raum aus Geflüster, Stimmen schneidend, akustische Peitschenschläge auf den Körper, der durch sie hindurch getrieben wird wie im Haberfeldtreiben, einen Spießrutenlauf durch Schläge hindurch. Nicht real wären sie, und doch realer als real. Woher die Stimmen, sind es die des Berührten, was aber spricht dann aus ihm, ist es die Stimme der Beschimpfung oder ist es die Stimme des Beschimpften, des Erniedrigten, der sich der Beleidigungen zu entziehen sucht, sich ihrer zu erwehren sucht, sich ihrer bewusst werdend, indem er sie wiederholt, oder schimpft er da nicht selber, schimpfen und beschimpft werden nicht mehr zu trennen.

Gezitter dann, Erregung, eine Frau ist es, die da zittert, an der der blinde Autor die Hand geheftet hat. Intensives Atmen, das das Zittern durchtränkt, Zittern, das sich in Schütteln steigert, in konvulsivisches Zucken.

Ein merkwürdiges Gefühl von Voyeurismus der ganz Körper wird, der andere Körper öffnet sich wiederum der Erwartung. Die Hand zwingt andererseits zu Aufmerksamkeit. Um die Erfahrung des unerwarteten Schocks überhaupt machen zu können, muss in der Performance erst einmal eine Art der Zerstreuung erzielt werden, es kann und sollte kein gezieltes Erwarten erzielt werden: das Erwartete ist ohne Gesicht und muss es bis zu seinem Eintreffen auch bleiben. Wenn der rassistische Übergriff den Menschen trifft, trifft er ihn immer in einem anderen Gesicht und er trifft ihn immer unerwartet, auch wenn der Mensch auf ihn vorbereitet ist.

Es trifft aber nur die Reaktion. Das Erleiden das Spüren es bleibt das gesichtslose Geflüster, das aber setzt sich gerade als Geflüster um so tiefer im Körper fest, geht um so tiefer unter die Haut: Opfer, Fotze, Spasti, behindert, Krüppel, darkskin, nigger…

Dies ist der Text eines Blinden, der in seiner Welt in sich eine Welt eröffnet fühlt, die –ungesehen - Bilder mit sich führt, die alles von ihm - dem Erblindeten - Gesehene mit Bildern bereichert, die aus seinem Körper kommen, eingefleischt sie, hervorgerufen von einem anderen Körper, der ihm, dem Blinden, unsäglich nahe tritt.

Die Hand, auf einem muskulösen Frauenkörper sie gelegt, nicht allzu groß sie, setzt sich in Bewegung: sie geht, geht langsam auf eine Wand zu, die der Blinde als Echo auf sich zukommen hört. Die Hand auf dem Körper der Berührten folgt der Blinde den langsamen Bewegungen der Tänzerin. Gefolgt, ihr gefolgt. Und doch auf eine sehr angenehme Weise wie gezogen.

Indem die Atmosphäre von der körperlichen Reaktion auf sie getrennt wird, wird Ursache von Wirkung getrennt und getrennt erfahrbar, der Ausdruck erfährt sich als eine Reaktion, die auch anders ausfallen könnte.

Generalprobe

Hände. Eine Hand auf der Hand des Blinden, die auf der Hand von Evony Rose Dark liegt.

Keine Stille diesmal. Zusammenzucken und Erschrecken eines Körpers als Reaktion auf Schläge. Schlag um Schlag um Schlag, und der Körper, von Schmerz und Wucht des Schlages ein jedes Mal hin- und hergerissen wie von Peitschenhieben. Spürbar die Kraft, spürbar aber auch die Stärke die eine Kraft dagegen setzen könnte, eine Kraft, die sich jetzt eher wegduckt.

Eine Ahnung des Drohenden, dessen Eintreffen hereinbrechen wird, wirklich werden wird wie ein Zeichen das den Menschen als Angriffspunkt eines rassistischen Angriffs denkbar werden lässt, das der Mensch als unbeschriebenes Zeichen am Leib trägt, dem dann Eigenschaften zugeschrieben werden, Identität zugeschrieben angedichtet: „Du bist“ und dann folgen Urteil und Vorurteil, dann folgt ekelerregender Rassismus in seiner widerwärtigsten Konsequenz.

Als rechtfertige die Bewahrheitung der Ahnung das Eintreffen des Übels als seinen geradezu naturwüchsigen Grund, als etwas, das nicht zu verhindern ist, der Rassismus sich in sich selbst verspiegelt, sich selbst in einem Zirkel immer und immer wieder selbst rechtfertigend. Vorurteil begründet Vorurteil, schafft Welten und Verschwörungen, wird hermetisch, dichtet sich bei sich ab.

Alle argumentative Schiene von Kritik und Einspruch perlt von solchem hermetischen Weltbild ab. Die Wiederkehr des Menschen, die Rückkehr zur Ethik: eine Entscheidung ist sie, eine Eindeutigkeit, die nichts anderes duldet als absolute Konsequenz des Menschlichen, ein Maß des Menschen als Maß aller Dinge in Bescheidenheit, in Demut vor dem Menschen und der Menschlichkeit, Respekt vor dem Anderen.

Im Nachgespräch sagte eine Frau, die wie der Autor als „Zuschauerin“ an der Performance teilgenommen hatte, sie habe Scham empfunden, ein schlechtes Gewissen empfunden. Die „Zuschauer*innen“ projizieren das Geschehen auf sich selbst, relativieren es aber dadurch, dass der eine oder die andere sich selbst als mögliche Lösung des Problems erfährt.

Hervorragend von Evony Rose Dark dargestellt wird das Zittern, die existentielle Erfahrung eines Empfindens, das von einer zunächst unbestimmten Verängstigung herrührt; wird nicht Imagination durch Erzählung von Anfang an, ein Moment des Horrors, der in seiner Abstraktion zum existentiellen Angstzustand wird.

Metaphysik als Gefahr

Die existentielle Ebene wird freilich noch durch die spürbare Nähe zur Performer*in gestützt. Das Bild, das eine Erzählung vermittelt, es letztlich als erzählbar trägt, hält in seiner inhaltlichen Versicherung durch das Wort immer auch Abstand zum Erzählten. Zwar lässt die Unmittelbarkeit des Körpers und seiner unmittelbaren Reaktionen die eigentliche Geschichte außen vor, lässt nur die Reaktion selbst übrig, die Körperlichkeit des Erfahrenen. Diese aber ist von der Aktualität des Erzählten getrennt, verabschiedet gerade von der akuten Geschichte, vermittelt aber durch die körperliche Erfahrung des Geschehenen. Der Grund für die körperliche Reaktion ist zwar ausgeblendet, schwingt nur in den Vorgesprächen einstimmend mit, ist teilweise auch bewusst abstrakt gehalten, bildet aber einen Raum für das eigentliche Geschehen, das er im Geiste der „Zuschauer*

in“ immer als dunkle Atmosphäre mitschwingen lässt.

In der Ästhetisierung aber liegt eine Gefahr: Eingebunden in eine nicht genau oder konkret erzählte Geschichte wird die Angst, die körperliche Reaktion auf Angst zu einer metaphysischen Reaktion, Angst als existentielles Grundmuster menschlichen Lebens, hinter der der Rassismus als Ursache der Angst, einer ganz konkreten Angst leicht sich verstecken kann.

Das Bild unter die Haut gezogen

Während der Tanz aus einer Bewegung lebt, eine Bewegung lebt und ist, die nach außen geht, in der Interaktion, der Kommunikation mit dem Publikum außen lebt, von den Augen her dieses Außen lebt und allein durch sie existiert, ist die Arbeit von Zwoisy Mears-Clarke eine ganz gegenteilige Bewegung, eine Bewegung die die Bewegung innen hält, nach innen zieht. Dadurch allein kommt die Bewegung überhaupt zu sich, hält sich das Publikum in eine Nähe hinein, die nichts anderes ist als eben Bewegung. Eine Bewegung aber, die ihren Ausdruck nicht allein in der Tänzerin findet sondern bewusst in der Imagination der „Zuschauer*in“ und dies durch unmittelbare Berührung, eine Berührung die beides verkörpert, sowohl die körperliche Berührung als auch die seelische.

Indem der Fernsinn Auge durch den Nahsinn der Berührung ersetzt wird und zugleich der andere Fernsinn, das Hören offen bleibt, entsteht eine Aufspaltung, eine Teilung des inneren Bildes, die zugleich Nähe zu einem anderen und Entfernung von anderen ausdrückt.

Der Blinde erfährt so die Aufgliederung seines inneren Bildes in eine hörbare Atmosphäre einerseits, einen atmosphärischen Zustand und zugleich die tatsächlich berührte Nähe zu einer Bewegung eines anderen, der in sie, die Situation eingefasst ist, von ihr getragen wird. Verstehen ist nicht mehr allein eine Verstandessache, sie wird zu Körperlichkeit, löst sich nicht von der Sprache, lässt die Sprache, das Wort aber tatsächlich Fleisch werden.

Durch diese Aufgliederung des inneren Bildes in der Berührung ersteht ein Riss, etwas, das noch vor aller inhaltlichen Entwicklung in etwas scheidet, das man als ein anderes inneres Bild bezeichnen könnte. Empathie wird etwas Greifbares, Kritik etwas körperlich Notwendiges, gerade aus der Handgreiflichkeit des Mitfühlens, des Nachempfindens des Menschlichen heraus.

Der blinde Körper erlebt so eine Absonderung von seinem Bild, das ihn als Körperbild zusammenhält, der Körper erfährt sein Auseinanderfallen und erfährt es durch einen Anderen, der ihn berührt. Er erfährt, dass ihm im Fehlen des Anderen etwas fehlt, das sein Bild immer unvollständig erscheinen lässt.

Der Blinde hört ein räumliches Umfeld und blind sind in diesem Moment alle im Raum anwesenden, da der Raum vollkommen abgedunkelt ist, alle Erfahrung für alle eine bildlose Erfahrung darstellt, eine Erfahrung des Blinden.

Im Hören liegt aber nicht die Ferne eines Fernsinns, im Hören schwingt immer die drohende Vernichtung mit, die vollkommene Verunsicherung, die Unsicherheit in einem jeden Schritt, was an Hass könnte mir begegnen, kein Bild warnt mich davor und Geräusche sind niemals so genau zu identifizieren wie Sichtbares. Der Hass der Reinheit gegen alles was als Anders begriffen wird vom Reinen: in der Auslöschung als Vollstreckung seiner Konsequenz will die Reinheit dem Anderen immer begegnen und im Inneren ist sie dies immer: es gibt keinen Rassismus light, immer ist auch der Rassismus der sogenannten Mitte in letzter Konsequenz faschistisch und muss als solcher radikal bekämpft werden.

Was in dieser Art des bildlosen Performens entfällt ist die ganze Geschichte, von der nur die ausdruckstärksten Momente übrigbleiben, eine Art der Fragmentierung, wie sie der blinden Wahrnehmung auch eignet.

Das Wissen um den Rassismus ist auch für das Publikum nicht neu, was neu ist ist die Intensität der Erfahrung und die unmittelbare Erfahrung am Körper durch den Körper, dem Körper der Performer*in auf den Körper der „Zuschauer*in“.

Die Erfahrung wird so intim in zweierlei Hinsicht, einerseits dem ganz unmittelbaren Erfahren des Einzelnen und andererseits einer nur kleinen Gruppe von Menschen als Publikum, deren Erfahrung nur in einem kleinen Rahmen gemeinsam erlebbar wird. Der Kampf gegen Rassismus wird hier von der Berührung aus gedacht, und hierin liegt der ganz andere Ansatz von Zwoisy Mears-Clarke: wegkommen von einer Art wortgestützter Massenaufklärung, weg kommen vom Wort, hin zur Erfahrung der Berührung in einer ganz kleinen Gruppe von „Zuschauer*innen“, in einer Art Kern von Intensität, von der weitere Vermittlung ausgehen muss.

Das Körperbild ersteht in den Berührenden, die fassen das Geschehen in einem Bild zusammen, was natürlich nicht sie tun sondern ihr Geist, der sie und das um sie herum wahrnimmt. Das Gespürte und zugleich Gehörte kommt in ihren Körpern stellvertretend für die Berührten zusammen.

Was da aber auch zusammenkommt ist der geteilte Körper, seine Zerrissenheit, die andererseits all die Aktionen und Reaktionen als aufeinanderfolgen aufeinmal erfahrbar werden lässt, synchronisiert sie dadurch, ins Gleichzeitige gestellt: Berührung wird durch Berührung zu Berührtsein.

Die Frau bewegt sich langsam, der Blinde lässt sich führen. Langsam hört er eine Wand ihm entgegenkommen, vor der die Frau stehen bleibt, hörbar in einer Art anderem akustischen Zustand, der die Bewegung einerseits beendet, andererseits die Geräusche an sich bricht und so den akustischen Schein eines Raumes erweckt. In solcher Art gestauchter Bewegung hält sie inne und die Schritte neben dem Blinden stocken ebenfalls. Stille. Kurz Stille.

Atmen. Individuelles Atmen in einer Gemeinsamkeit von anderen. Die selbe Richtung mit ihnen, die selbe Geschwindigkeit, der selbe Habitus, das selbe Ende. Stille. Die selbe Stille.

Geflüster. Sich langsam in der Lautstärke steigerndes Geflüster. Brocken von Worten hörbar, Ausdrücke, hingeschmissen, hingerotzt, giftig, beißend, ätzend. Dann die Worte und gänzlich verstehbar: Opfer, Fotze, behindert, Krüppel und zunächst nur von der Seite zu hören und so gedacht, dass die Frau, die, an der der Blinde hängt allein beschimpft wird. Nein. Die schimpft auch mit. Schimpfen und beschimpft werden.