Bild und Berührung oder:
von der Fotografie als Bildbildung eines Erblindeten
Der Erblindete hat nicht zu wenig Bilder, er hat viel zu viele. Nichts an Bildern aber gibt es, was ihn von seinen blinden Bildern befreite, von einer inneren Bilderflut, von Bildern die ihre Referenz nur in seinem Inneren haben, die kein Außen kennen, worin sie sich würden wiederfinden lassen, um sich und die anderen Bilder differenzieren und bannen zu können.
Bilder sind es aber auch, die sich einstellen, wenn der Erblindete etwas berührt, wenn er etwas riecht, wenn er etwas hört oder schmeckt, wenn er denkt, sich erinnert, wenn ihm etwas beschrieben wird, wenn er liest. Bilder sind es, die ihn befallen, wenn er nicht mit ihnen rechnet, unwillkürlich, Bilder, die kein Bild eines Außen in Schach hält, gegen die sich kein visuelles Bild durchsetzt, die kein optischer Eindruck einschränkt, sie maßregelt oder domestiziert, sie diszipliniert, sie in bestimmte rationale sprich visualisierbare Bahnen lenkt.
Die visuellen Bilder gaukeln den Sehenden nicht nur eine Welt des Ganzen vor, sie unterstellen sich Eindrücke, Empfindungen und Gefühle anderer Sinne, schieben sie hinter sich, geben vor, sie zu repräsentieren, dominieren sie vor allem durch den Sehsinn, machen ihn zum Sprachrohr des ganzen Körpers, lassen die Sprache vor allem durch Bilder garantiert sein. Vor allem aber wird mittels Netzhaut eine Welt als wahr ausgegeben, die lediglich durch Hirnfunktionen konstruiert ist, die nichts mit einer „alleingültigen Wahrheit“ zu tun hat. Indem die optischen Bilder all die inneren Bilder der Sehenden zurück in deren Köpfe scheuchen, Bilder, die sich nicht gegen den Augensinn durchsetzen können, wird Wirklichkeit vollständig auf den Gesichtssinn gegründet, wird er zum einzigen Garanten und Kronzeugen des Realen stilisiert und erklärt. Seine eigentliche Basis ist aber eine Art Grundverdrängung, eine Ausgrenzung, die eine Unmenge an inneren Bildern in eine „zu bergende Wüste“ hinein verbannt, sie dort brach liegen lässt.
Um sich um diese Bilderflut zu kümmern, sich mit ihr zu beschäftigen, sie zu pflegen, schreibt der Autor Gerald Pirner, setzt er sich in seinem essayistischen Schreiben mit Bildern auseinander. Letztlich geht es seinem Schreiben aber nicht nur um die Rehabilitierung der inneren Bilder, es geht darin auch um eine Rehabilitierung der anderen Sinne und den von ihnen hervorgerufenen Bilder, es geht um ein Gespür, das vielleicht am ehesten mit einer Art Verflüssigung des Bildes umschrieben werden könnte. Am Bild hängen unzählig viele Bilder, sie zu Wort kommen zu lassen, sie mitschwingen zu lassen sieht er als einen Anfang, von welchem aus er sein blindes Denken sehen möchte und Sehen hier verstanden als einen radikalen Umgang mit dem BILDLOSEN BILD.
Der Erblindete hat keine Bilder, die ihn vor seinen Bildern schützen könnten, hat kein Bild, das ihm die Bilder reduziert oder komprimiert, kein Bild, das die Bilderflut abhält, keines, das ihm die Bilder der Wirklichkeit „da draußen“ vom Leib halten könnte. Im Gegensatz dazu verfügen die Sehenden über visuelle Bilder, die ihnen die inneren Bilder wieder zurück in den Kopf treiben. Die visuellen Bilder würden so als Damm verstanden werden können, als ein Ventil, das der Blinde sich selbst in seinem Geist organisieren muss. Solcherart Damm, solcher Art Ventil, solcher Art der Dosierung und zugleich Auswahl muss dem Blinden eine besondere Sprache werden, eine Sprache der besonderen, der gesonderten Bilder.
Die Sprache muss ihm nicht nur der Raum seiner Bilder werden, sie muss ihm einen Raum schaffen, der groß genug ist noch für die Bilder seiner Bilder, den Bildern all seiner Sinne Raum zu bieten. Empfindungen blinder Wahrnehmung finden so in all ihrer Diffusität, in ihren Überlagerungen, in ihren Auswucherungen, in ihren gegenseitigen Befruchtungen einen Ausdruck in Wort und Sprache, der als blinder Sprachbildraum eine Kraft des blinden Bildes sich entfalten lässt.
Der Raum des Erblindeten als Monochromie
Die Erblindung führt das Sehen des Autors auf einen Weg, der durch nichts ausgewiesen ist denn durch Begegnungen mit seiner sich verändernden Sinnlichkeit. Horizontlos befindet oder bewegt er sich in einer absoluten Ununterscheidbarkeit eines Außen, dessen Eigenschaften allein in Bruchstücken seinen Sinnen entgegentritt, die zunächst nur in wenigen Worten zu Ganzheiten zu imaginieren wären, nur in wenigen Worten den Raum mit Eigenschaften möblierten. Alle Differenz ist ausgeblichen ist von einem einzigen Zustand überzogen, aus dem heraus sich eine absolute Ununterscheidbarkeit entspinnt, die alle Differenz überzieht, in sich hineinsaugt, sie nivelliert.
Eine Art Horizontlosigkeit, die ihm sein Blick aufzwingt, aus der ihm keine Differenz des Sichtbaren mehr heraushilft : kein Ding, kein Wesen, einzig ein Raum voller Eigenschaften aus Ertastetem, Gehörtem, Geschmecktem oder Gerochenem tritt ihm entgegentritt. Ein Zustand, dem sich die Blinden allein in einem Zum-Raum-Werden-Wollen und Zum-Raum-Werden-Müssen wiedersetzen können, um überhaupt ein Bild sich zu erwirken, das ihnen ermöglicht aus dem Raum wieder herauszukommen.
Diese Horizontlosigkeit nimmt für den Erblindeten auch einen monochromen Farbzustand an, kann tiefstes Schwarz sein aber auch sein Gegenteil, grellstes Weiß. Farbe ist für den blinden Autor, der an Retinitis Pigmentosa erkrankte, etwas, das er nicht mehr sieht, worin er aber steckt, was er durch seine Stimmung ist, was er also zugleich ist und was sich durch seine Stimmung ausdrückt. Es ist ein monochromer Farbzustand, der tiefes Blau sein kann, dunkles Rot, gelbdurchwachsenes Grün oder Schwarz oder Weiß. Farbe ist ein Zustand, der sich in der Helligkeit oder eben Dunkelheit ausdrückt, in welcher die Farben tatsächlich in seinen Augen erscheinen, in ihnen, nicht vor ihnen, sie sind in seinen Augen und sind zugleich nur ein Zustand seines Gehirns, drücken kein Außen, kein Objekt aus, sie sind die Verschmelzung mit dem Außen in einer bestimmten Nuance der momentanen Gestimmtheit.
Farbe ist für den blinden Autor der Raum, in welchem er steckt, der ihn zugleich durchzieht, ist der Raum, der er ist, der er selbst ist, ohne dass er von diesem selbst gelöst werden könnte. Die Farbe aber ist ein Stadium, in welchem der blinde Autor sich immer befindet, das ihn ganz und gar durchdringt und zugleich umgibt. Die Farbe ist das Ende aller Differenz, ist die monochrome Ausfärbung alles Visuellen. Es ist die innere Selbstdarstellung eines Gemütszustandes, es ist die Realität dargestellt, ohne dass es da etwas im Konkreten gäbe, was sich überhaupt darstellen ließe. Vor allem Versuch aller und welcher Darstellung auch immer wird die Differenz, die das Blindenbild aufwirft und aufwirft in einer Differenz bereits nihiliert, wird ohne die aufgeworfenen Differenzen wieder zerstört.
Und doch: die tatsächlich gesehene Monochromie der Blinden ist dem Sehen der Sehenden nicht ganz unähnlich, auch wenn in dieser horizontlosen Sicht keine Gegenstände als Gesehene in die Wahrnehmung treten. In dieser horizontlosen Sicht des Erblindeten lässt das Gehirn die inneren Bilder bei sich und unter der farbigen Monochromie auftauchen, ähnlich wohl dem Sehen der Sehenden, die hinter ihren optisch gesehenen ihre inneren Bilder ebenso zu sehen vermögen können, wenn ihr Gehirn, beim Lesen eines Buches etwa, von Inhalt und Handlung evozierte Bilder vor ihrem geistigen Auge erscheinen lässt. Hier korrespondiert das Sehen der Blinden mit den Empfindungen, die die anderen Sinne im Körper der Erblindeten hervorrufen, korrespondiert das im Berührten etwa hervorgerufene Bild mit der Monochromie der erblindeten Wahrnehmung, mit der Horizontlosigkeit, bricht sie auf in einem Material, im Fragment einer Form und die Berührung legt ein Bild unter die Monochromie, unter den horizontlosen Raumzustand, lässt ihn in der Berührung aufbrechen, ein Aufbrechen, das freilich auch in einem Geräusch, einem Geruch oder einem Geschmack sich vollziehen kann.
Der Erblindete ist letztlich also eigentlich nicht in einem Raum, er ist der Raum selbst, der Raum seiner Empfindungen, deren erster Bruch, deren erste Reflektion das Spüren einer Hülle ist, die ihn umgibt, die er mit einem Namen, einem Wort, einer Bezeichnung von dem scheidet, was ihn dahinter umgibt, was ihn als Raum in einer Abgeschlossenheit umgibt, deren eventuelle Offenheit -und nach welcher Seite auch immer hin - er erneut nur empfindet: er spürt die Luft, spürt die Kleidung und diese Wahrnehmungen von etwas ihn Umgebenden vollziehen das, was für die Sehenden das Bild vollbringt, eine Trennung hervorbringt, das Bild nämlich, das von etwas trennt, das ohne diese Trennung gar nicht wahrnehmbar für Sehende wäre, das Bild, das Bild des Raumes, das die Sehenden meist mit dem Raum selbst verwechseln.
Berührung, Zeit und Raum
Die Erblindung zwingt zu allererst dazu, das Gesehene nicht mehr wörtlich zu nehmen, differenziert nach einer begreiflich erfassbaren Aufteilbarkeit nach einer Differenz von Ganzheiten, von Essenzen, es bleibt nur eine Buchstäblichkeit von Materialien übrig, die vollkommen anders gelesen werden will als die Wörtlichkeit von Form und Ding, gelesen von der Berührung aus, die das Berührte immer in der Begrenztheit von Hand und Finger fragmentiert. Die Berührung wird so zeitlich, wird im Tasten zu etwas, das sich Schritt um Schritt zusammensetzen muss, in einer jeden Bewegung die hereinbrechenden Bilder befragend, um sie einem Ganzen zu unterwerfen, das es nur in der Einbildung gibt, einem Ganzen, dem die fragmentierende Hand sogleich aber widerspricht, das sie unterbricht, das sie aussetzt.
In der Zeitlichkeit spaltet sich die Berührung in Spüren und Tasten. Während das Spüren die Zeit bei sich hält, lässt sich das Tasten weitertreiben, lässt sich von Material oder Form, von Gegenstand oder Wesen an seinem Körper weiterführen, lenkt die Berührung in ein Tasten, in ein Aggregat von Berührungen, aus dem heraus eine Gestalt in einem inneren Bild ersteht. Die Zeit nimmt der Berührung in einem Vorstellungsbild des vermeintlich Ganzen das Kommando über die Berührung ab, um dieses Vorstellungsbild bestätigt zu sehen oder eben nicht, zwingt ihr ihren eigenen Plural auf, den Plural der Berührungen, der die singuläre Berührung erweitert: nur im Plural der Berührungen entsteht eine Gestalt und sie soll so ja auch entstehen, soll aus dem Plural der Berührungen erstehen, ohne dass sie freilich wie eine Aneinanderreihung von Tastmomenten erstünde, ein Puzzle, das immer auf den darauffolgenden Stein warten müsste, um seine Fortsetzung und letztlich sein Ende in einer Gestalt erfahren zu können. Eine jede Berührung bringt ein Bild hervor und die ihm folgenden Berührungen bringen das nächste Bild hervor, das das vorhergehende Bild überzieht, es in gewisser Weise außer Kraft setzt, wenn das Ganze im Laufe der Berührungen seine Gestalt verändern muss, dem veränderten Vorstellungsbild angeglichen werden muss, das Vorstellungsbild selbst sich verändern muss.
Die ganz andere Art der Berührung wiederum sammelt bei sich die Zeit, lässt sich von ihr nicht weitertreiben, bannt sie bei sich, um im Spüren zum Moment, zum Augenblick zu werden, der immer eine Kommunikation zwischen dem Berührten, dem Raum und der inneren Stimmung des Berührenden zur Darstellung verhelfen kann. Das Erfahren eines Gegenstandes oder eines Menschenwesens ist für Blinde die Kommunikation zwischen beiden bildlosen Zeiten der Berührung, wobei das Verweilen der Berührung oftmals eher dem Material und seiner Struktur gewidmet ist, das Tasten als Ertasten der Form und den verschiedenen Momenten seiner Gestalt.
Den Raum in Eindrücken aller Sinne zu erfahren, ohne dass ein Bild die Empfindungen zu etwas Ganzem bündelte, heißt den Raum und seine räumlichen Gestalten als Fragmente zu erfahren, einer Erfahrung der Bruchstückhaftigkeit sich entgegen zu sehen, die Geburtsblinden auf freilich ganz andere Weise zuteil werden dürfte als Erblindeten mit der Erfahrung des Bildes und sei es nur in der Erinnerung.
Der Raum wiederum in all seiner Mannigfaltigkeit an sinnlichen Eindrücken, die alle Sinne aufs unterschiedlichste ansprechen, wird vom Blinden in all diesen Empfindungen auch in den diversesten Bildern aufgenommen, Bilder die sich gegenseitig überlagern, teilweise gegenseitig verstärken, teilweise aber auch widersprechen. Der Blinde wiederum wird in seinen inneren Bildern ein Bild einer Atmosphäre eines Raumes sich durchsetzen spüren und sei es in der monochromen Farbempfindung, die auf eine solche Atmosphäre reagieren wird, die sich aber auch wieder von einem Moment auf den anderen verändern kann, durch Gespürtes, Gehörtes, Gerochenes, Geschmecktes unberechenbar verschoben werden kann.
Blindheit und Fotografie
Mit dem Übergang hin zur Fotografie, suchte der blinde Autor von vorne herein einen vollkommen anderen Weg des „Bildermachens“ einzuschlagen, der eben nicht einfach Bilder macht, sondern sich auf eine ganz andere Art der Auseinandersetzung mit seinen Modellen einzulassen versucht. Zu diesem Umgang mit seinen Modellen, der sich aus Nähe und Berührung heraus entfalten sollte, gesellten sich seine eigenen inneren Bilder, die er mit seinen Modellen in Kommunikation treten ließ. Es waren wieder seine eigenen inneren Bilder, die er als das sah, was aus ihm heraus musste.
Ein weiterer Aspekt, der bei der Bildproduktion mitschwang war der Anspruch, einen Vorschlag einer Kommunikation über innere Bilder, eine Kommunikation unter Bildern anzustoßen. Bilder eines Blinden sollten von Sehenden gesehen werden, sollten ihm von Sehenden beschrieben werden, um seine eigenen inneren Bilder zu präzisieren: Kommunikation von Bild und Beschreibung, um aus beidem eine Bildsprache weiterzuentwickeln, die diese Kommunikation in weiteren Bildern dokumentieren sollte.
Das blinde Sehen ist verkrüppelt, es ist lädiert. Retinitis pigmentosa ist der Zerfall der Netzhaut, der für den Autor und Fotografen in einem von ihm zu beobachtenden Durchlöchern seines Visus, einem langsamen Zerfressen-Werden seines Visus von Statten gegangen ist. Seine Bilder geben strukturell diese Verkrüppelung seines erblindeten Sehens wieder, ohne sich in irgendeiner Art des Realismus sich wiederzufinden: es sind Bilder des Versehrten, des Anormalen. Es sind aber auch Bilder des Traumhaften, Bilder wie aus einem Märchen, Schimären genauso wie Dokumentationen von Zufällen, Bewegungen, die dabei überrascht werden, wie sie aus dem Dunkeln treten und erstarren müssen, weil sie von Licht berührt werden.
Auf zwei Arten versucht der erblindete Fotograf sich den Zu-Portraitierenden zu nähern, sie zu spüren, sie aus seiner inneren Vorstellung heraus zu berühren: Licht wird ihm dabei zum Malmittel, das er mit einer Pose seines Modells konfrontiert. Er weiß also durch seine Vorgaben bereits eine Menge vom Bild und lässt in Beschreibungen des Bildes diese Vorgaben auf das Bild in seinem Kopf einwirken, überprüft seine Vorstellung mit dem beschriebenen Bild, um in einem weiteren Bild diese Vorstellungen nochmals neu zu sich kommen zu lassen. Seine Vorstellung wiederum konfrontiert sich mit der Vorstellung der Pose wie der ganz speziellen Ausleuchtung, die mehrere Schichten übereinanderlegt, die Pose oder Geste, die Portraitierte und das Licht, das so zur Hauptdarstellerin wird, zum alles entscheidenden Moment.
Wirklichkeit wie Wahrnehmung stellen sich in einer Gebrochenheit dar, die sich insgesamt in Frage stellen lassen, die das Bild auf den Ursprung des Bildes zurückführen: die erzählenden Beschreibungen als fragile Versicherungen von Wirklichkeit, eine Konstruktion von Wirklichkeit, die dem Gehirn ermöglicht, den Menschen durch sie hindurch zu führen, letztlich aber nur durch das Bild des Gehirns hindurchzuführen.
Das Bild aber nimmt in der Berührung seinen Ausgang, die Berührung ist die Berührung des Lichts: es schwemmt die Figur nicht aus, misst sich lediglich an ihr, misst seine Reichweiten, misst an der Figur seine Kraft, die Kraft die es benötigt, die Figur in eine bestimmte, aber nicht vorher bestimmbare Wirklichkeit zu ziehen, eine Möglichkeit des Bildes sich realisieren zu lassen.
Zwei Herangehensweisen lassen sich an den Bildern des erblindeten Autors und Fotografen beobachten: einerseits die Selbstportraits, in denen er das Licht eingeschränkt durch seine Anatomie verkrüppelt. Er leuchtet bewusst nur mit einer Hand aus und der Radius seines Arms begrenzt die Wege des Lichtstrahls, beschränkt seine Möglichkeiten. Im Selbstportrait wird sein Körper im wahrsten Sinn des Wortes zum Maß seines Bildes, des Bildes seiner selbst. Da ist also einerseits sein eigenes Augenlicht als Maß, das Maß seiner Erblindung, das die Versehrtheit seines Bildes wiederspiegelt, da ist andererseits die Beschränktheit seiner Bewegung, die anatomische Unmöglichkeit, die er annimmt, die er aufgreift und über die er auch nicht hinausgehen will. Seine Bilder sind versehrt, sind löchrig, sind wie angefressen. Sind verkrüppelt.
Anders seine Portraits, in denen er sich offensiv das verlorene Licht zurückzuerobern sucht. Licht wird hier von ihm als Berührung verstanden, eine Berührung, die er den Körpern der Portraitierten angedeihen lässt. Von einem Moment an nimmt Licht seinen Ausgang und beobachtet sich selbst dabei, wie es die Figur, die Person durchstreift, wie es an ihr seine Spuren hinterlässt. Das Bild, die Fotografie ist ein Dokument der Auseinandersetzung zwischen Licht und Schatten, eine Auseinandersetzung in deren Verlauf Wirklichkeit entsteht und dies eher nebenbei, ein Abfallprodukt, das eben auch anfällt wie sein zentrales Moment, die Auseinandersetzung zwischen Hell und Dunkel, die Wirklichkeit als momentane Zustandsbeschreibung wiedergibt, einen im Fließen begriffenen Zustand, der im nächsten Moment bereits sich vollkommen verkehren kann, als sein Gegenteil erscheinen kann, ein wenig an die mittelalterliche Mystik der Mechthild von Magdeburg und ihr autobiografisch eingefärbtes Buch Das fließende Licht der Gottheit erinnernd, das in erotischem Ton der Liebesbeziehung der Seele mit der Gottheit gewidmet ist.
Während in den Selbstportraits die Auseinandersetzung zwischen Licht und Schatten zu verfolgen ist, die allein dadurch schon eine spezielle Gestalt gewinnt, geht er offensiv mit Körper und Raum oder Körper im Raum um, bewegt sich um das ganze Modell herum, legt zunächst Wert auf Konturen, sowie darauf, das Modell insgesamt auszuleuchten, es als Ganzes mit seinem Licht zu berühren, es als Ganzes sichtbar zu machen, das Ganze sichtbar zu machen, ein Ganzes, das es eigentlich gar nicht gibt, auch nicht für die Sehenden.
Seine Portraitfotografie lernt von seinen Selbstportraits und lässt sich auf das Unvollständige ein, auf das Fragment, auf das Bruchstückhafte, zu dem die Portraitierte unter seiner Ausleuchtung nun werden muss: weder das Modell noch Formen des Modells und ihre Wirklichkeiten sind es, die als realistische Darstellung seine Arbeit bestimmen. Einzig seine inneren Bilder und sein Hilfsmittel, das künstliche Licht, verwirklichen die Bilder seiner Imagination.
Das Licht ist für den Blinden nie einfach da, es muss entstehen, muss produziert werden. Licht und Sichtbarkeit werden für den Erblindeten zu einem Akt des Gedächtnisses, zu einem Wissen darüber, ob der blinde Fotograf an einem bestimmten Punkt ausgeleuchtet hat oder nicht und wieviel Helligkeit das Modell erfahren soll beziehungsweise, ob es an einer bestimmten Stelle mehr im Dunkeln bleiben soll. Die Kamera wird so zur Dokumentation des Gedächtnisses, das sich die Intensität der Ausleuchtung „merkt“.