Zeina Hannah © Dieter Hartwig

Auf dem Grund

Die Performance Not G ood Alone von Hanna Hegenscheidt

Die Bilder einer Geschichte: in ihrer Performance fragmentiert Hanna Hegenscheidt den Film Angst essen Seele auf von Rainer Werner Fassbinder, dreht ihn in Loops gegen sich selbst und öffnet seine Geschichte hin zu anderen möglichen Enden.

Das Bewegungsbild beschrieben: Der ungesehene Tanz als die Fassade des Innen, die in ihm eingeschriebene Zeit als seine Verwirklichung in einem fensterlosen Innen, das sich in ihm ungesehen seine Wände möbliert. Zeit als Fassade, Geronnenes, Eingraviertes. Zeit als innegehaltene Zeit. Zeit angehalten ohne eingefroren zu sein. Zeit in Bewegung, in unendlich kleiner Bewegung, die immer in sich weiterschwingt, zum nächsten Anstoß hin weiterschwingt.

Ein Film als Rahmen, in Fragmenten er wieder und wieder sich verzeitigend, implodiert seine Handlung zu einem Kern: Kulissen, Geräusche, Kostüme, Körper. Nichts aber stellt etwas dar, alles kommt in der Perzeption erst zu sich. Die Wahrnehmung als Geburt der Welt, die Fleischwerdung aus einer irdischen Struktur heraus. Körper, die aus ihren Äußerungen erst zu sich kommen. Die Äußerungen der Körper, das was von ihnen kommt und das was durch sie kommt, ist vor den eigentlichen Körpern da. Aus ihren Äußerungen finden sich bildlos die Körper erst in einer Gestalt im blinden Körper zusammen, eine Gestalt, die es vorher so nicht gibt, die nur aus Erinnerungen bestehen wird: Erinnerung an den Film, aus dem sie sich anreichern, den wiederum sie anreichern. In Wiederholungen tauchen Szenen auf, Fragmente von Szenen, ohne sich zu einer Handlung als Lösung von aufgerissenen Fragen auflösen zu können.

Dem blinden Hörer wird es so ermöglicht Fragen nach Rassismus, nach Unterdrückung, nach alltäglicher Dummheit nachzugehen, wird so einerseits zu einer einfachen empathischen Lösung in seinem Gehirn, wird aber auch zu einer Handlungsaufforderung, die die Wiederholung über ein ästhetisches Konzept hinaushebt.

Zum anderen stellt die Performance von Hanna Hegenscheidt eine anders geartete Frage nach Wahrnehmung überhaupt zur Diskussion. Sie sieht die Sinneseindrücke des Tastens, des Hörens und Riechens im Körper tatsächlich sich unter Bildern sammelnd, stellt diese Bilder aber zugleich in Frage, macht sie im Kopf des Blinden zu einer Frage der Praxis, auch der politischen Praxis: nichts ist endgültig so wie es aussieht, immer ist da eine Macht, die noch das Aussehen der Welt erst durchsetzen muss und immer auch anders durchsetzen kann, kann oder könnte, eine Frage allein gesellschaftlicher Macht, gesellschaftlicher Machtverhältnisse.

Beschrieben nun aber das Gehörte: Geräusche, Gesprochenes. Leibhaft im Raum ein Text so sehr wie Aufgenommenes aufgenommen, eingespielt und beides von ganz anderswo her, von einer ganz anderen Zeit her der Raum, der sie eben mitbrächte. Der Film: Rainer Werner Fassbinders Angst essen Seele auf. Brigitte Mira als ältere Liebhaberin eines marokkanischen Gastarbeiters, an deren Liebesbeziehung der Regisseur in komplexen Bildern die Vielschichtigkeit des Rassismus in den Sechzigern darstellt und jeder Mensch, der den Film heute sieht, bemerkt sogleich, wie wenig der Streifen an Aktualität verloren hat.

Das Bild nimmt in der Performance von Hanna Hegenscheidt die Stelle des Urteils ein, des Urteils, das getroffen werden muss, die Entscheidung, die ergriffen werden muss. In der Performance übernimmt die Rolle der Entscheidung der Film mit seinem bekannten Ende, seinem Ausgang. Gerade aber weil es sich hier um einen Film handelt ist die Entscheidung für die Zuschauer*innen offen, können sie sich gerade gegen die Unmenschlichkeit entscheiden und nur in der Performance wird der Film auf diese Weise geöffnet, wird das Ende selbst noch einmal ganz anders offen. Nichts hat sich seit dem Erscheinen des Filmes am bundesdeutschen Rassismus geändert, differenzierter ist er wohl geworden, strukturell etwas verschoben, und so stellt die Performance von Hanna Hegenscheidt auch die Frage nach der politischen Wirkung von Kunst und sie stellt sie, indem sie sie in der Wiederholung aufgreift, sie immer und immer wieder aufgreift: „Stop staring at me you stupid pig!“

Das Unfertige

Findet die sehende Wahrnehmung im Bild ihre Dominanz, unter die die anderen Sinne sich bereitwillig unterordnen, unterwirft der Körper des Blinden als Ganzes sich Geräusche, Gerüche, Ertastetes, Erfühltes stellt es unter das Gesprochene der Audiodeskription der Simone Detig, die dem Blinden ins Ohr flüstert, was sie sieht. Bilder erstehen ihm aus dem Besprochenen, ein Raum aus Gegenständen, Kostümen und Körpern wie ihren Bewegungen, ihrer Anwesenheit.

Was ist Anwesenheit. Ist Anwesenheit nicht eine Struktur von Bewegungsvorgaben oder Ermöglichungen und Verhinderungen von Bewegung deren Vergegenwärtigung, deren Präsenz solcherlei Struktur mit Leben füllt, sie beseelt. Woraus bestehen die Gegenstände, die Requisiten. Was macht sie mobil, was belebt sie. Gegenstände, keine feste Richtung legen sie fest, in der Bewegung erst schreiben sie sich als Struktur in den Körper ein. Die Handlung bringt sie als solche Ermöglichung hervor, eine Struktur des Unfertigen, der Handelbarkeit. Anwesenheit wäre somit eine Vorhandenheit als Offenheit für seine Veränderung als Gegebenheit, forderte zur Entscheidung geradezu auf.

Sind die Requisiten für Handlungen offen, bringt ihr Spüren, ihr Hören, ihr Riechen eine Erfahrung ins Spiel, die das Gesehene, die dem Zu-Sehenden eine Eigenständigkeit öffnet, die aus dem Film, aus aller festen Handlung heraustritt, ihm und seinen Bestandteilen eine unabhängige Wirklichkeit eröffnet, erfüllt von einer Subjektivität der Betrachter*in, die eingreift, indem sie sich körperlich zum Feld der Wirklichkeit der Handlung selbst macht, indem sie sie aus dem Film gelöst erfährt. Die Filmwirklichkeit, erfüllt von den Filmtexten, zitiert sie wörtlich als Text in der Performance. Wie eine Abstraktion der Atmosphäre des Filmes, etwas, das von der Betrachter*in nicht nur aus der audiovisuellen Erfahrung imaginär produziert wird, die eine ganz andere Realität durch den Geruch und das Spüren wie Tasten erfährt, die hier wie reproduzierbar erfahren werden kann, das zweidimensionale Bild in seiner Illusion als dreidimensionale Illusion erfährt. Indem das Spiel in der Performance dreidimensional wird, erlebt als Kulissen, als Kostüme, als leibhaft erlebte Performer*innen, erfährt es seine Veränderbarkeit, erfährt es die Möglichkeit einer anderen Welt, setzt sich die Handlungsrichtung wie von selbst außer Kraft, wird das Ende der Handlung geöffnet.

Ähnlich wie die Requisiten und ihre Unfertigkeit, wird der fertige Film zu einer Materialsammlung, die sich neu zusammensetzt, den fertigen Film ins Unfertige kippend, seinen Inhalt öffnend.

Die Performance

Eine Bar, eine Stuhllehne: imaginär. Die Gegenstände sind nicht vorhanden. Die Handlung trägt sich gegenstandslos vor, lässt das Nichtvorhandene vorhanden erscheinen. Im Wort wird das Nichtvorhandene vorhanden, wird die Funktion von Sprache gleichsam vorgeführt. Das Wort dokumentiert immer eine Abwesenheit und in der Erfüllung einer Handlung ohne die Dinge, an denen sie sich abarbeitet, indem sie sich erfüllt, spricht sie von ihrer eigenen Leere, zieht das Geschehen in die Unsichtbarkeit hinein. Die Pantomime entleert sich der Welt, um bloße Handlung allein sein zu können.

Man könnte das Ganze aber auch anders sehen: indem die Handlung nackt erscheint, lässt sie die unsichtbaren Strukturen erkennen, die, wie eine Maschinerie hinter aller Handlung steckt. Als Projektionsfläche wird so der Film und seine Handlung, der, zerschlagen in diverse Fragmente, sich unterschwellig ausspricht, ohne zu einem Plot führen zu müssen. Einen Blinden in dieser Landschaft von Bruchstücken sich bewegen zu lassen, diese noch weiter in seinem Körper fragmentiert erscheinen zu lassen, ihn eine Grundstruktur der Kulissen ertasten zu lassen, zwischen denen sich Handlungspartikel immer wieder und wieder wiederholen und dabei blockieren, sich selbst unter Beobachtung blockieren, wie eine Szene zu einem Bild unter Beobachtung gleichsam gefriert.

Die Bildlosigkeit, die Gezwungenheit zur Sprache, zum Aussprechen der Welt, während in dieser verbalisierten Welt gehandelt wird, erfüllt Sprechen einen Raum, schafft sich diesen einen Raum, worin es überhaupt sprechen kann. Solcher Raum ist hier in der Performance der blinde Körper, der sich in seinen Berührungen das Mobiliar auflädt, durch das hindurch er sich bewegt.

Menschen wie Gegenstände oder Möbel werden aus dem Gebrauch genommen und dies erfährt seinen Modus als „Außer Betrieb“. Die Performer*innen, immer wieder fallen sie aus ihren Rollen, sind rollenlose Figuren, die sich in einer Ecke des Raumes sammeln und in eine Richtung blicken, einfach nur Konstellationen bildend, Individualität abstreifend: eine Masse an Material, das auf seinen Einsatz wartet, wie der auf den Boden umgedreht gelegte Stuhl. Der kindlichen Vorstellung nachgebend, was denn mit der Welt passiere, wenn wir sie, oder einen ihrer Räume verließen, in Hanna Hegenscheidts Performance sinkt die Welt lebendig von einer eigenen Seele erfüllt, in sich zusammen und wartet auf ihren nächsten Gebrauch, den sie erleben darf.

Bewusst wird ausgegrenzt, wird das Publikum in zwei Hälften aufgeteilt, wird dann nur zu einer Hälfte gesprochen und eine aufgestellte Wand verhindert, dass auf der anderen Hälfte das Gesprochene verstanden werden kann. Andererseits sind ein Teil der Performer*innen im Spiel und andere scheinbar außerhalb, indem sie zuschauen, die Beobachter*in also spielen, spielen, dass es kein Außerhalb gibt außer einem Außerhalb, das immer im Spiel ist.

Aus einem Materialreservoir bedienen sich Fragmente, die zugleich mehrmals wiederholt werden, in unterschiedlicher Besetzung wiederholt werden. Die Geschichte wird zur Geschichte überhaupt, erhält etwas Zufälliges, dessen Ende obendrein offen ist.

Wiederholung und Tasten

Der Gang, verstärkt durch je spezifische Schuhe, macht die Performer*innen erkennbar, lässt in noch von mehreren Füßen hervorgerufenem Getrappel Personen ahnbar erscheinen, aber freilich nur dies, gehalten erneut in einem imaginären Rahmen.

Was ist Wiederholung. Was ist sie in einer vorgegebenen Szenerie, löst die Wiederholung etwas aus dem Film heraus, aus Fassbinders Angst essen Seele auf. Durch die Mobilität der Elemente ist die Wiederholung bereits angelegt, ist angelegt aber auch, dass die Wiederholung ein jedes Mal anders sich wiederbringt, andere Elemente wieder bringt eine andere Betonung wieder bringt, aus anderen Konstellationen der Elemente aber auch ein jedes Mal Veränderungen hervorbringt. Grundsätzlich muss sich der Raum in all seinen Äußerungen im Körper des Blinden zusammensetzen und tut dies bildlos als Rausch der Sensitivität, dem strukturierend wieder die Sprache entgegengesetzt werden muss.

Der Raum muss sich vorstellen, bevor er in Bewegung zum Leben erweckt werden kann, muss ein Gerüst dem blinden Gedächtnis aufbauen, woran er sich dann in Figuren auskleidet. Das innere Bild als die Sichtbarmachung eines Geschehens, als seine Lokalisierung, als die Verwandlung in einen Raum, der mittels Sprache durchquerbar gemacht werden kann und dies auch von einem Blinden.

Eine jede Bewegung hinterlässt im Körpergedächtnis Spuren, in denen für den Blinden Raum wie Bewegung innerlich sichtbar werden. In Sinnespartikeln des Hörens, des Fühlens, des Spürens ersteht eine Raumlandschaft aus den Bewegungen, etwas schreibt sich ein, dem im Vorfeld aber auch ein Gedächtnisgerüst vorgegeben werden kann, durch etwas wie eine Art Interieur, an welchem sich Geräusche an Taktiles, das vorher erfahrbar gemacht wurde, festhalten kann, den Sinneseindrücken die Möglichkeit gegeben werden kann, Fleisch zu werden.

Öffnet sich in der Tastführung im Vorfeld einer Performance die Bewegung für den Blinden hin zur Entwicklung eines bildlosen Körpergedächtnisses, das Bewegung im Nachhinein erfahrbar werden lässt, erlaubt das Tasten der Hand in Verbindung mit dem Ohr eine Wiedererkennbarkeit eines Geschehens in seiner spezifischen ästhetischen Realisierung, verschmilzt so die Vorgaben einer Bewegungsstruktur mit seiner Aktualisierung, der präsentischen Realisierung, bringt Vergangenheit und Gegenwart auf eine spezielle Weise zusammen, lässt beides auseinander erstehen und miteinander kommunizieren.

Lisa Densem und Luc Dunberry © Dieter Hartwig

Audiodeskription und Tastführung

Einleitende Worte aus einem Gespräch mit Simone Detig über strukturelle Momente des Stückes: „Alle Performer*innen sind immer auf der Bühne, es gibt keinen Blickkontakt zwischen denen, die miteinander sprechen. Manchmal entstehen surreale Momente dadurch, weil Posen eingenommen werden, die weder zur Handlung noch zum Dialog passen. Etwa wenn eine Performerin auf der Seite liegt und scheinbar teilnahmslos an der Handlung teilnimmt.“ Erst durch solche Beschreibungen, die bereits als Interpretation gesehen werden könnten, ist es dem Blinden Autor möglich, dem Stück in vollem Umfang zu folgen.

Simone Detig spricht von Soundlandschaften denn die Performer*innen sprechen mal von hier, dann von dort und viele Dinge passieren gleichzeitig.

Simone Detig meint, durch die Vorbereitung der Audiodeskription bekomme sie das ganze Stück nicht mit, sei nur fokussiert darauf, wie die Dinge funktionieren und ob und was davon mitgeteilt werden muss. Sie nehme nur wahr, was passiert und beurteile es nicht. Eigentlich die optimale Herangehensweise an Bildbeschreibung.

Vier Holzelemente, die als Momente auf der Bühne sind, die beweglich sind, die als Abschirmungen oder als Unterschlupf, als Räume fungieren oder fungieren können.

Der Raum: 20 mal 15 Meter, die Bühne zwischen dem Publikum, das in je einem Block zur Rechten wie zur Linken sitzt.

Der Autor begeht den Raum, begegnet den Elementen, die er nun umgeht.

Die Elemente: Leisten, zwischen denen Sperrholzplatten geschoben. Abgrenzungen, Möglichkeiten des Ausschlusses, akustisch wie visuell zu realisieren, teilweise auch Plexiglasscheiben, allein die Akustik dabei ausgeschlossen, die Sicht wie in einem Aquarium.

Der Ausschluss zunächst, der Ausschluss der Sinne. Die Bewegung umgeht die Wand, die Wände, es sei denn es handelte sich um den begehbaren Kasten: Metapher einer in sich geschlossenen Kommunikation mit sich selbst. Wände. Schrauben stehen sichtbar heraus. Unterschied zwischen Wand und zu Behausungen verbundenen Wänden, und am Schluss werden die anderen abgrenzenden Mauern zu Behausungen zusammengeschoben. Alle Elemente vermitteln etwas Behelfsmäßiges, etwas Mobiles.

Der begehbare Kasten: Gitter durch die beobachtet werden kann. Es erinnere sie an einen Beichtstuhl, so die Assistentin. Öffnungen, jederzeit kann mit Händen hineingegriffen werden. Diverse den Körper zerteilenden Momente durch den Kasten, der nicht nur ganze Menschen auf die eine oder andere Weise ausscheidet, der die Ausgrenzung quer durch den ganzen Menschen ermöglicht.

Austauschbarkeit des Ausschlusses durch Rollen an Wänden und Kasten, die den Ort um die Performer*innen austauschbar und variabel erscheinen lassen. Einzig diejenigen sind nicht betroffen, die über die rollbaren Räume bestimmen. Andererseits aber erscheint der Ausschluss als etwas, was auch beseitigt werden könnte, wenn es sich nicht um Sprachbarrieren handelt und auch die sind bekanntlich zu beseitigen.

Es ist immer von einer Seite etwas nicht zu sehen, nicht einsehbar. Das Publikum ist von seiner Positionierung her bereits für bestimmte Ausschlüsse prädestiniert. Woher aber kommen diese Prädestinierungen. Es scheint eine Grundkonditionierung hier zu geben, eine Art der Veranlagung. Sie wird aber, und vielleicht ist dies die zentrale Aussage der Performance, mittels der Kulissen und der Kostüme aufgeweicht, wird flexibel gestaltbar. Nichts in diesem Spiel bleibt berechenbar, alles ist offen und vor allem die Perspektive.

Hanna Hegenscheidt: „Ich gehe mit den Textfragmenten eher choreographisch um und nicht narrativ. Das ganze Geschehen zielt nicht auf ein Ende und gerade dadurch wird das Ende mit einer Offenheit versehen, von der aus Wirklichkeit nochmal ganz anders sehbar wird.“

Keine feste Geschichte also, Tanz dagegen durch Material, das auch ganz andere Geschichten ergeben könnte. Alle Linearität wird einerseits verabschiedet, Ästhetik wiederum als Öffnung von Strukturen vorgestellt.

„Der Kasten, ein kleiner Raum, der längswärts auf den Boden gelegt ist. Mit Rollen versehen ist er mobil. Ein kleiner Raum mobil im Raum, der jetzt aufgestellt wird. Ein Stuhl in ihm, derselbe, der sich an zwei weiteren Orten im Raum befindet, einer, der erste, wird von Lisa am Anfang besessen,“ so Simone Detig.

Oben offen, der Boden mit Teppich ausgelegt lässt eine ganz andere Akustik zu, lässt die Hereintretenden bei sich sein, wirft sie auf ihre Bewegungen akustisch zurück.

Auf sich zurück wirft sie auch ein Spiegel, der gegenüber der Tür angebracht ist und der so groß ist wie die Tür. Neben ihm allerdings ein Fenster über Eck, durch das in den Raum von außen hereingegriffen werden kann. Zwei Arten der Verspiegelung, der des eigenen Blickes und der des Blickes des Anderen, also auch hier aber eine Offenheit, eine Möglichkeit des Ausweichens.

Jeff: Alltagsstil, irgendetwas in oder vor den Sixties und dementsprechend auch der smell. Fühlt sich wie Vorhangstoff an. Hat einen Schnauzer, lange braune Haare, und eine Brille, soll als Referenz zu Fassbinder gelten, keiner klaren Zeit zuzuordnen. Jeff ein schwerer Gang, leichte Lederschuhe, klingt nur im Vergleich mit den andren schwer, jetzt leicht, schnell und federnd.

Zeina: Sehr zierlich, Hochwasserhose, dicker Stoff in Grau, T-Shirt mit rundem Ausschnitt, Halbschuhe. Dicke lange Haare, sehr klare Bewegungen. Im Schreiten hört man einen stark von den Fersen herkommenden Schritt, hat ein ganz anderes Gewicht im Schritt, leichter und doch bestimmt.

Lisa: durch Schuhe erkennbar, klackern stark, trägt Jeansrock und graues, langes Leinen-Shirt, ist fünfzig Jahre. Zeina ist dreißig. Jeansrock von Lisa ist beim Gehen zu hören, ist vorne geschlitzt, macht sie unbeweglich, hat kurzes Haar und eine schwarze Strumpfhose unter dem Rock, was das Rascheln beim Gehen noch betont

Luc: trägt einen schwarzen Overall, der bis zum Nabel geöffnet ist, trägt darunter ein Leoparden T-Shirt, trägt Stiefeletten, die beim Gehen einen besonderen Ton vom Leder her erzeugen, Gummisohlen, ein weiblicher Gang, ist so groß wie Zena.

Bewegungsfiguren: „Lisa mit Zeina. Lisa öffnet die Türe, knipst das Licht an, holt etwas heraus, eine Zahnbürste. Rennt los:„ Ali! Dort hinten ist das Badezimmer, ich muss sogar eine frische Zahnbürste haben, ich habe mal zehn Stück gekauft, es war ein Sonderangebot.“ Sie nimmt etwas von oben kurz über ihrem Kopf, schaut es an und reicht es jemandem, alles in Pantomime. Dieselbe Szene jeweils allein und synchron gespielt, alles insgesamt dreimal“, so Simone Detig.

Solche Fragmente als Loops, in deren Mitte die Ali-Szene steht, eine andere Sequenz beispielsweise das pantomimische Biertrinken: ein Glas wird genommen zusammen mit einer imaginären Flasche einer Bierflasche, die geöffnet wird, um das Bier in das Glas einzuschenken.

Text und Bewegung treiben die Bilder voran, auch und vom Film her, die Referenzen des Filmes, die Bilder des Films, die die eigentliche Handlung verabschieden, die sich abstrakt und zugleich konkret herausschälen, die den Film übersteigen, seine Moral übersteigen, wie Brigitte Mira die spießige Moral ihrer Kolleginnen übersteigt.

Der Blinde kennt keine Geschichte, er kennt nur Bilder, in die er die Geschichte zurückverwandelt. An den Innenseiten seiner Haut lagern sich die kondensierten Partikel des Erfahrenen ab, die seine Imagination wieder in Bildern zusammenführt.

Wenn es aber nicht das Narrativ sondern eher das Choreografische ist, was den Zugang zu der Performance ermöglichen soll, ist es, wie es die Choreografin Hanna Hegenscheidt sagt, der Rhythmus, der das Verstehen mit sich bringt.

Aber: Was ist hier Rhythmus. Muss er als Aufschlüsselung des Bildes verstanden werden, könnte es nicht der Rhythmus sein, der noch einen ganz anderen Zugang zum Bild ermöglicht auch und gerade für den Blinden: „Man muss sich da auf einen Rhythmus einlassen anstatt zu verstehen, wie eine Geschichte funktioniert, eher von einem Gefühl her, das die Fragmente erzeugen“, so Hanna Hegenscheidt.

Der Rhythmus anstatt der einfach zu verstehenden Geschichte, die Haut und das Fleisch als Verstand: Was die Performance von Hanna Hegenscheidt zudem also vorschlägt, ist ein vollkommen anderes Herangehen an Verstehen überhaupt, ein Erspüren einer Aktion, ein Erspüren, aus dem heraus das Verstehen sich vom ganzen Körper her entfaltet.


Jeff Wood © Dieter Hatwig