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„Ich bin hier.“ Ein Satz der Raum schafft. „Ich bin hier.“ Ein Satz wie die Auflösung eines Versteckspiels. „Ich bin hier.“ Ein Satz, der Anwesenheit konstatiert, der zugleich aber bereits wieder versteckt. Wer ist dieses Ich und wie oft und auf wie viele Personen trifft der Satz zu. „Ich bin hier“ und im nächsten Moment dem blinden Hörer wieder entschwunden. Der Satz eine Garantie für wie lang. Ein jeder Tänzer, eine jede Tänzerin spricht den Satz aus, gibt sich und ihre Stimme zu erkennen, lässt den Raum in seinem Volumen und Maßen im Kopf des blinden Autors erstehen. Ein Satz, der einen Raum ausschreibt, ihn akustisch auslotet, ihn vom Echolot einer Stimme ausloten lässt. Schritte. Was in seinem Volumen angedeutet wird, wird als seine Begehbarkeit belegt. Schritte. ein Klatschen. Ein Schlag, vielfältig der, vielfältig ein Fallen, ein Aufschlagen. Anspruch der Anwesenheit, eines Da-Seins. Wie Spurensucher, ja wie etwas Tierisches, das sein eigenes Befinden erkundet. Das sein eigenes Empfinden sich selbst vorspricht, Aussprechen wie eine körperliche Selbstversicherung. Das, was da ist, ein Dasein auf den Spuren von sich, auf den Spuren zu sich, ein Dasein auf dem Weg zu einem Selbst, das einem Sich nachgeht.
Jun 19 2019
Ansteckungen an einem Körper im Schmerz
Eine schmale und weiche Hand, die einen Blinden sucht, ihn nimmt und zu sich heranführt und hineinführt in einen Raum. Auf Bewegung trifft der Blinde, begegnet ihr eher, sacht begegnet er ihr, um sich hineinwachsen lassen zu können. Geräusche, noch andere Menschen sind im Raum. Die anderen Sinne stellen aus Erkanntem Material für den Verstand bereit.
Jun 3 2019
Auf dem Grund
Das Bewegungsbild beschrieben: Der ungesehene Tanz als die Fassade des Innen, die in ihm eingeschriebene Zeit als seine Verwirklichung in einem fensterlosen Innen, das sich in ihm ungesehen seine Wände möbliert. Zeit als Fassade, Geronnenes, Eingraviertes. Zeit als innegehaltene Zeit. Zeit angehalten ohne eingefroren zu sein. Zeit in Bewegung, in unendlich kleiner Bewegung, die immer in sich weiterschwingt, zum nächsten Anstoß hin weiterschwingt.
Apr 17 2019
Der Abgrund der Farbe
Tasten im Paradox von Rauem und Glattem. Körner vereinzelt. Findlinge aus zäher Kälte aufgestöbert, und die Haut faltet wohlwollend sie ein. Träge das Berührte sich ihr widersetzend. Er legt seine Hand ganz auf, um die Unruhe zu spüren, sie ihm abzunehmen. Es scheint sich wegschieben zu wollen und er verweilt einen Moment. Befragt sein Spüren, befragt ein Gespürtwerden, um es letztlich einem Bild zuschreiben zu können.
Gebäude haben ihren Ruf, worin nicht allein ihre Geschichte sich spiegeln will, einen Ruf, der zudem nicht selten einen Mythos transportiert, dessen Herkunft aber, unschwer verfolgbar, über Entmythisierung manches Mal weit hinausgehen muss. Was einen solchen Mythos betrifft, brachte die Beschreibung des Neubaus des Jüdischen Museums in Berlin von Daniel Libeskind durch einen Journalisten Bilder hervor, die sich im Kopf des blinden Autors regelrecht eingefressen hatten, die zu einem allgemeinen Urteil sich in den Nullerjahren des neuen Jahrtausends verfestigt hatten und bis vor kurzem auf ihre Ent-Mythisierung in seinem Kopf geharrt hatten. Die These des Journalisten damals war, der Libeskind-Bau stelle einen zerbrochenen Davidstern dar. Ein Tastmodell in Händen suchte der brave Blinde nach vertikalen zerbrochenen Linien, in denen er dieses Bild sich bestätigen lassen wollte und wurde zutiefst enttäuscht, da derartige vertikale Auswüchse natürlich nicht zu finden waren und das grandiose Gebäude sich im Kopf des Blinden vollkommen neu zusammensetzen musste. Aber fangen wir nochmals von vorne an und nähern uns mit dem blinden Autor und seiner Begleiterin Monika Flores, Ausstellungskuratorin im Jüdischen Museum, dem Gebäude zu Fuß an, oder genauer: suchen wir wahrzunehmen, wie uns das Gebäude Schritt um Schritt näherkommt, hören wir, spüren wir zuallererst sein Näherkommen, das unsere Bewegungen nur hervorruft, sie evoziert.
Nov 23 2018
Der Blues der Straße als Punkrock
Die Bilder des Miron Zownir in der Berliner Brotfabrik
Was ist der Soundtrack eines Bildes, was ist sein Geruch, was strahlt es an einer, letztlich unfassbaren, Atmosphäre aus - etwas, worin sich auch ein Blinder aufhalten kann, bildlos verstehend.
Der Erblindete hat nicht zu wenig Bilder, er hat viel zu viele. Nichts an Bildern aber gibt es, was ihn von seinen blinden Bildern befreite, von einer inneren Bilderflut, von Bildern die ihre Referenz nur in seinem Inneren haben, die kein Außen kennen, worin sie sich würden wiederfinden lassen, um sich und die anderen Bilder differenzieren und bannen zu können.
Das Material, der Malgrund, Kreide auf einer gefundenen Holztür, verkleinert sie zu einem Tastmodell, vor dem der Blinde jetzt steht. Die Kreide in Schwelldruck übersetzt, die Zweidimensionalität ins Reliefartige, ins Dreidimensionale gebracht.
Malerei als Rückgriff auf das Material, die spezifische materiale Struktur, die in der Fotografie sich in eine Materialität des Fotopapiers zurückzieht, auf dem die Berührung Fingerabdrücke hinterlässt, den Finger, seine Haut dabei klebrig festhaltend. Das Gemälde wiederum zieht sich scheinbar in den Malgrund zurück, hinterlässt dabei aber spürbare Rückstände, Spuren, teils ein wenig fettige aber glatte, die vom Malmittel herrühren, teils körnige, die eher auf Pigmentrückstände schließen lassen, teilweise aber auch Verdickungen, worin der Malprozess seine Spuren hinterlassen hat, etwa in Übermalungen und verschiedenen Schichten des Auftrages.
„Und diese dicke Linie da“, fragt der tastende Autor.
„Das ist der Rest eines Handlösungsversuchs“, so die Künstlerin.
Malend sich im Malprozess beobachten, keine Objekte, Gegenstände oder Modelle als Gegebenheiten einfach nur aufgreifen, sie imitieren, sie wiedergeben, sie reproduzieren: das Ding wie die Figur, wie ihre Beziehung zueinander, unterstehen keinem Zweck. Außerhalb des Bildes haben sie keinen Kontext, der in das Bild hineinreichte. Realismus, Gegenständlichkeit oder das Konkrete sind für Simone Kill Möglichkeiten einer Malerei, die nur eines in ihrer Arbeit gelten lassen will, das Bild, ihr Bild. Das Konkrete ist eine Ausdrucksmöglichkeit, die die Malerin sich offen hält, aber auch nicht mehr als das.