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Im Grunde genommen ist das Bild keine Stillstellung. Es hält sich Momente fest, um sich von ihnen aus zu anderen Bildern zu bewegen, sich weiterzuentfalten, andere Bilder zu werden, andere Bilder oder andere Texte. Das Bild ist der Grund der Geschichte, der Grund allen Geschehens wie seiner Reproduktionen. Das Bild ist aber auch der Beginn der Bewegungen, der Beginn von Prozessen, die seinen Inhalt ausschöpfen und doch in ihm verankert bleiben.
Fünf weibliche Akte sitzen beieinander, die eine oder die andere berührt eine oder eine andere; keine nimmt mit einer anderen Blickkontakt auf oder bezeugt auf andere Weise eine Kommunikation. Einige Figuren sind in ihren fülligen Körperformen ausgemalt, andere existieren hauptsächlich in ihren Konturen, die wiederum in unterschiedlichen Farben realisiert wurden.
Nov 2 2016
Aus dem Nebel
Zu Angst II der Performancekünstlerin Anne Imhof im Hamburger Bahnhof in Berlin
Performer_innen werden von Performer_innen heruntergetragen. Mit ausgebreiteten Armen schaffen sich die Akteur_innen Raum und Platz für ihr Spiel durch das zahlreich erschienene Publikum. Später wird sich der Unterschied zwischen Publikum und Performer_innen immer wieder verlieren.
Okt 13 2016
Zeit im Spiegel ihrer Verdoppelung
Über Kassel 9.12. der Regisseurin Arianna Waldner Bingemer
Aber noch einmal und von vorn. Im Jahr 1967 dreht der Kunststudent Adolf Winkelmann einen Kurzfilm in seiner Universitätsstadt Kassel, in welchem er acht Minuten lang kurz vor Weihnachten durch die Straßen der Stadt geht, frontal dabei gefilmt von einer 16 mm Kamera, die er vor seinen Bauch geschnallt hat.
In biographischen Skizzen um Erblindung, in Reflektionen um Wahrnehmung, untergründig, aber immer in Gedanken um Ästhetik, sucht Frank Amann in drei Portraits dreier blinder FotografInnen sich anzunähern, und der Begriff der Annäherung trifft sein schrittweises Herangehen wohl am ehesten. In kleinen filmischen Erzählungen, die einander antworten und abwechselnd die drei Protagonisten charakterisieren, schiebt sich ein Bild vom Sehen der Blinden, von Bildern der Blinden, von ihrem Erfahren von Licht und ihrem künstlerischen Umgang mit der Verletzung der Erblindung zusammen, das vollkommen neu nicht nur über Bild, Licht und Blindheit nachdenken lässt, das letztlich die Frage aufwirft, ob von der Sicht der Erblindung aus nicht ganz anders über Licht überhaupt nachzudenken wäre.
Ein dritter Ansatz einer Schöpfungserklärung, der eines gnostischen Mythos, um das erste Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung, sei hier ebenfalls noch angeführt. Ein Mythos, der den Wind als eine sowohl erregende als auch schwängernde Substanz darstellt, der eben von dieser Erregung des weiblichen Wesens durch den Wind her die Motivation, sich auf den Wind einzulassen, wie sie in mehreren Mythen der Antike bekannt sind, erhellt.
Apr 30 2016
Nach der Utopie und davor
Zu Julian Rosefeldts Videoinstallation Manifesto im Hamburger Bahnhof
Der wunderschöne Schulfreund des Ich-Erzählers, Klaus Patera, hatte, auf wundersame Weise zu immensem Reichtum gekommen, im zentralasiatischen Hochland Stein für Stein eine Stadt erbauen lassen, in welcher weder Geldverkehr noch sonstige kapitalistische Gepflogenheiten herrschten. Nach persönlicher Einladung Pateras wurden die Menschen, die die Bevölkerung bildeten, ausgewählt und vor allem sollte es sich um „Aussenseiter“ handeln, denen einzig als Bedingung für ihre Umsiedlung ins Traumreich die absolute Auslebung ihrer Lüste und Wünsche als Aufgabe gestellt war.
Zwischen dem Geraschel von Plastiktüten eine im Plauderton sprechende Stimme, der anzuhören ist, wie die Sprechende sich umsieht und innehält, vielleicht von dem spricht, was sie sieht. Dann bleibt sie stehen, das Geklacker ihrer Stöckelschuhe verschwindet von einem Moment auf den anderen, bis es, etwas in der Richtung verschoben, wieder einsetzt. Sie beginnt erneut zu sprechen, eine asiatische Sprache, der anzuhören ist, dass der Kopf aus dem sie spricht in den Nacken gelegt ist und er sich erneut langsam von einer Seite zur anderen bewegt.
Kubusartige Sockel. Teilweise handtellergroße Löcher in ihnen, teilweise Verdickungen. Ein nicht präzise zuordenbarer Klang beim Klopfen. Es kann sich nicht um Metall handeln, könnte aber Organisches sein wie Holz. Unterschiedliche Töne, teilweise sehr tief, dann wieder lichter. In jedem Fall: Die Umkleidung wovon auch immer aus Organischem gewonnen, aus Pappe, aus Holz. Die Finger streichen über etwas, das sich wie gröberes Papier anfühlt, ein Streichen im halligen Raum vervielfacht, ein Gezischel aus Ecken, um sich aus anderen Ecken selbst zu antworten.
Zunächst die Welt nach dem GAU zu denken: Das Meer, das Erdbeben, der Tsunami, die Kernschmelze eines oder mehrerer Reaktoren. Aber was wäre eine solche Welt, wie sähe ihre Wirklichkeit aus. Vielleicht ist die Schwierigkeit ein Bild für eine solche Wirklichkeit zu finden das innere Thema einer Oper über die Reaktorkatastrophe von Fukushima und vielleicht ist gerade die Oper das naheliegendste Medium, um die Suche nach einem solchen Bild in Darstellung zu bringen. Freilich sind da die Bilder von Menschen in Schutzanzügen. Gerade diese Schutzanzüge, die das Leben vor Strahlen schützen sollen, sind in der Gegend von Fukushima so notwendig geworden wie sie für den Blick von außen auch zu einer Art Klischee geworden sind, unter dem das Leben selbst, das da noch immer pulst auch für Außenstehende zu einer Art geistigem Sperrgebiet geworden ist, das auch im Denken und Umgang mit den betroffenen Menschen in und aus Fukushima zu einer neuen Art von Vorurteilen geführt hat: nicht selten werden sie als Verstrahlte bezeichnet, womit vor allem die umgesiedelten Familien und ihre Kinder konfrontiert sind, die wie das behandelt werden, was man in antiken Zeiten als Aussätzige bezeichnet hatte.