Gekürzte Vorabversion von: Bilder vom Rand des Bildes
Reflektionen zum Dokumentarfilm Shot in the Dark vom Frank Amann
Ein Ticken in Reihen abstrakter akustischer Punkte, die sich zu Auf- und Abwärtsbewegungen sammeln und übereinanderlegen. Hinein münden sie in einen Schwarm von Signalzeichen, die sich zu einer Fläche verdichten und an György Ligetis Atmosphères erinnern, obwohl dessen Cluster mit analogen Instrumenten gespielt sind.
In biographischen Skizzen um Erblindung, in Reflektionen um Wahrnehmung, untergründig, aber immer in Gedanken um Ästhetik, sucht Frank Amann in drei Portraits dreier blinder FotografInnen sich anzunähern, und der Begriff der Annäherung trifft sein schrittweises Herangehen wohl am ehesten. In kleinen filmischen Erzählungen, die einander antworten und abwechselnd die drei Protagonisten charakterisieren, schiebt sich ein Bild vom Sehen der Blinden, von Bildern der Blinden, von ihrem Erfahren von Licht und ihrem künstlerischen Umgang mit der Verletzung der Erblindung zusammen, das vollkommen neu nicht nur über Bild, Licht und Blindheit nachdenken lässt, das letztlich die Frage aufwirft, ob von der Sicht der Erblindung aus nicht ganz anders über Licht überhaupt nachzudenken wäre.
Der blinde Autor dieses Textes hört den Film über das Audiodeskriptionssystem Greta, das ihm über einen Kopfhörer einerseits die Szenen beschreibt andererseits die amerikanischen Zitate der Künstlerinnen übersetzt und durch verschiedene Sprecherinnen eingesprochen vorträgt, während der Originalfilm von „außen“ durch den Kopfhörer hindurch gleichzeitig zu hören ist.
Dunkel und aus dem Dunkel heraus Schritte, schnelle Schritte, als wollte da jemand schnell aus dem Dunkel herauskommen. Im Sound-Hintergrund Krähen, später werden sie hinter Pete Eckerts Haus auftauchen und Pete Eckert wird mit einer Bluesharp mit ihnen zu kommunizieren suchen.
Beim langsamen Ticken einer Ampel halten die Schritte an, Tickgeräusche akustisch an nahegelegenen Gebäuden gebrochen, und als die Ampel in den schnelleren Go-Modus umschaltet verschluckt das Ticken das eigene Echo, als wäre es zu langsam, käme es dieser Geschwindigkeit nicht hinterher.
Audiodeskription: „Im Bild: Ein Schild vor einem Bahnübergang mit der Aufschrift Railroad Crossing. Man hört das Klingeln einer Schranke, die sich langsam senkt.“ Schnitt. Zu Hause bei Pete Eckert: „An einem windigen Tag erkannte ich durch reflektierte Schallwellen zum ersten Mal den Klang eines Stoppschildes. Der Klang des Schildes schimmert und bewegt sich wie ein im Raum schwebender Geist. Den Pfosten höre ich nicht, der reflektiert zu wenig, als dass ich ihn hören könnte. Aber das im Raum schwebende Ding höre ich. Ich erfahre die Welt, indem ich hingehe und den Pfosten ergreife, ah, das ist ein Stoppschild.“
Frank Amanns Film ist das Porträt dreier US-amerikanischer FotografInnen, einer Frau aus New York und zweier Männer aus Californien. Shot In The Dark geht aber vor allem dem Ursprung der Bilder nach, und nicht nur dem Ursprung der inneren Bilder der Blinden: er stellt den Ursprung der Bilder als eine tiefe Verletzung dar, macht die Erblindung zu einer Möglichkeit über Bilder von Sehenden wie Blinden nachzudenken, lässt Erblindung als das Moment erscheinen, aus deren Geist Bilder geboren sein können, und sowohl Bilder der Erblindeten, der Geburtsblinden wie der Sehenden.
In einem jeden, einer jeden Erblindeten vollzog sich ein Schnitt, ein Riss, ein Bruch, eine Verletzung, die in seinem und ihrem Inneren sich durch all sein und ihr Denken und Fühlen fortpflanzt, das ihn und sie aufspaltet in ein Davor und ein vollkommen anderes Danach. Es ist der Prozess des Erblindens selbst, die Erfahrung einer grausamen Verletzung, der unvorstellbare Schock, der eine Sensibilität wachruft, die das gesamte Fühlen und Spüren nochmal ganz anders erfahren lässt, eine vollkommen andere Welt erweckt. Shot In The Dark zeigt die Erschaffung von Kunst und ihren grausamen Ursprung auf, verbindet in der Trennung des Schnittes, findet Bilder für das Abgeschnittensein der Wahrnehmung vom Bild und der Imagination als Heilung dieser schmerzhaften Wunde.
Der Erblindete muss im Verlust seiner Augen den ganzen Körper zu seinen Augen machen. Die blinde Berührung kennt das Ganze nicht, von der das Bild spricht, lässt nur das Gefühl des Spürens und des Fühlens zurück, von den Gegenständen und Körpern wiederum nur eine Spur, ein Bruchstück, ein Fragment, einen Teil. Das blinde Ganze ist immer eine Abfolge von Berührungen, ist eine Zeitenfolge, ist ein Prozess, an deren Ende eine Imagination steht, die die diversen Zeitabschnitte wiederum integriert, sie zur Vorstellung von etwas Ganzem verführt.
„Ich nutze Objektive und Kameras, um zu sehen was ich nur ahne“, so der stark sehbehinderte Bruce Hall, der sich seine Welt, die Welt seiner Familie durch Vergrößerungen ihrer Fotos näherbringt.
Das Bild eines der Zwillinge, von dem nur Teile des Kopfes, eine Hand, ein Teil des Arms zu sehen ist, vieles verschwommen, anderes im Dunkeln, als fehlte das Bild, das die Teile des menschlichen Körpers zu einer Ganzheit zusammenfasste, als wären Spuren von Berührungen übriggeblieben, oder genauer nur Erinnerungen an sie.
Während Sonia Soberats in ihren Arbeiten ihrer Vorstellung und Imagination von Licht Ausdruck verleiht, Pete Eckert in seiner Kunst von dem Schmerz über seine Erblindung ausgeht, beide Bilder konstruieren, um Licht aus der Sicht der Blinden zum Ausdruck zu bringen, hält Bruce Hall die Kamera auf die Welt seiner Söhne, seiner Familie, um sie überhaupt betrachten zu können und um sie so durch seine spezifische Visualität einzufangen.
Bruce Hall: „Ich habe niemals im Traum daran gedacht, Menschen zu fotografieren, […] wenn man noch nicht einmal ihre Augen sieht, […] wirklich schwierig“.
Die Sprengung der Optik in der Vergrößerung: aus dem Rahmen genommen, wirkt die höchstvergrößerte Normalität der Naturfotografie Bruce Halls entgrenzt, obgleich Realistisches abgebildet ist, einzig der Modus des Bildes ist ein anderer. Beobachtet von der fühlenden Hand wird in ihrem Blickwinkel und das heißt vergrößert in die Art hinein, in der die Hand spürt, eine Pflanze zu einem abstrakten Kunstwerk. Die Kamera übernimmt den Blickwinkel der Hand und des Fingers, die hautnahe Rezeption wird auf einen anderen Sinn übertragen, wird der normalisierenden Perspektive entrissen, wird in die Perspektive der Taktilität übersetzt. Dem Taktilen der Hand nachgehend, entfällt die integrierende Maßeinheit des Bildes, die alle Teile des Fotografierten seinen Proportionen unterwirft. Plötzlich ist nichts mehr sofort zu erkennen, zumal es sich bei den Unterwasserfotografien um eine vergrößerte Pflanzenwelt handelt. Als hätten sich die Poren der Haut in eine Unzahl von Augen verwandelt, beobachtet die Kamera die Herausbildung eines neuen Wahrnehmungsorganes, oder genauer: die Verwandlung eines Sinnesorganes in ein anderes.
„Ich möchte ausdrücken, wie ich mich gefühlt habe, es war als würde ich von einer Klippe ins aufgewühlte Meer stürzen. Unter einem finsteren stürmischen Himmel.“ Auf Papierbögen zeichnet Sonia Soberats ihre Vorstellungen. „Über all das setze ich einen schwarzen Himmel. Das ist der Himmel.“ Sie zeichnet. „Schwarz. Mit Blitzen. Dort sieht man hohe Wellen. Und ich möchte Sand haben. […] Wie mache ich den Fels, dass ich hoch hinaufklettern kann. Stell dir vor wir hätten einen Tisch dieser Größe und einen weiteren kleineren und einen noch kleineren. Dann kann ich einen auf den anderen stellen.“ Sie zeigt in den Raum. „Ich brauche einen schwarzen Himmel, deshalb brauche ich dort Schwarz. Der Felsen wird hier sein und hier das Meer.“ Die Imagination braucht einen realen, spürbaren Grund, etwas, das sichtbar ist und nur deshalb gespürt werden kann. „Wir haben etwa drei Meter Stahl. Spürst du das?“, fragt der Assistent. „Ja. In Bezug auf das Foto ist das der Vordergrund, der Himmel. Und das ist der Hintergrund. Im Hintergrund wird sein das Meer, der Himmel der Sand und das Gerüst. Alles im Hintergrund. Du musst das Gerüst so stellen, dass du mich im Profil siehst.“ Die blinde Künstlerin Sonia Soberats geht die Leiter hoch und setzt sich auf das Gerüst oben. Im Raum ist es dunkel, nur auf das Gerüst fällt Licht.
Das Foto als Ergebnis der Bildkonstruktion hier in der Audiodeskription: Unten rechts blaues Licht durch wellenartige weiße Linien durchzogen. Links bilden rotbraune Linien, die sich stellenweise verdichten eine felsenartige Fläche, oben grüne Streifen. Oberhalb des Randes Sonia Soberats Oberkörper mit einem gelben Tuch. Ihr Kopf ist abgewandt, ihr Gesicht liegt im Halbdunkel. Vor ihrem Gesicht schießen Lichtblitze ins Schwarze. Anstelle ihrer Beine weiße Linien.
Die Auflösung von Natur als Künstlichkeit, als ein artifizielles Konstrukt, das Sonia Soberats nutzt als Darstellung ihrer inneren Seelenlandschaften.
Die Wirklichkeit und ihr Bildnis. Die Produktion eines inneren Bildes bei Sonia Soberats, immer wieder kreisen die Bilder um das Fehlen visueller Bilder. Innere Zustände werden in konstruierten Bildern erfahrbar gemacht. Indem Sonia Soberats einen Fels aus Stahlstangen ersteigt, ihr solches Ersteigen Angst macht, wird die Reihenfolge umgekehrt: die Bilder werden im Nachhinein erst körperlich, lebendig, werden aus der Imagination in die Körperlichkeit übersetzt. Zuerst ist das Bild da und dann folgt dem Bild der Gegenstand seiner Abbildung, bringt das Bild den Gegenstand erst hervor, ermöglicht die Erfahrung des Gegenstandes, in welchem sich dessen Bild im Nachhinein erfüllt.
Die Erfahrung des Bildes entsteigt der Imagination, ihr erst folgt die Verkörperung, die die Visualität des Bildes nach sich zieht. Die Erfahrung eines Felsens, die Mühen ihn zu ersteigen, das was dem Felsen in seiner sichtbaren Gestalt an Mühen, die er dem Menschen, der ihn zu bezwingen sucht abverlangt und selbst da noch, wo der Fels Imagination ist, für die Fotografin erzwingt er Mühen, die der Künstlerin abverlangt werden, der Künstlerin, die vorher Himmel, Meer und Sand für die zu erstellende Fotografie mit ihrem Assistenten einteilt, räumlich verteilt.
Sonia Soberats verwandelt Natur vom Himmel bis zu einem Felsen und bis zum Meer in konzeptionelle Ideen, die sie sich von einem Assistenten im ihrem Studio zusammenbauen lässt. Die klaren Vorstellungen, die Sonia Soberats in ihrem Inneren von dem Bild hat, möchte sie in den Erfahrungen der Sehenden wiedergefunden wissen, das Spiegelbild, das das Bespiegelte überhaupt erst hervorbringt. Sie lässt sich ihre Bilder beschreiben und ist enttäuscht, wenn das, was dargestellt sein soll von den Sehenden nicht entdeckt wird.
Pete Eckert über die Arbeit im Dunkel seines Studios: „Hinten im Studio fühlte ich mich manchmal beobachtet und zwar von niemand Freundlichem. Ich hatte das Gefühl, dass mich Geister beobachten. Ich jagte sie mit der Kamera, um sie zu fotografieren. Es waren mehrere, einer davon weiblich. Sie saßen da und schauten zu. Sie waren richtig verspielt, es interessierte sie, was ich da mache. Die Fotografie machte sie neugierig.“
Es verwandelt sich auch der Kirchenraum mit dem Eintritt von Pete Eckert in eine andere Kirche, wo anhand der Besucher einer Messe und des sie zelebrierenden Priesters Pete Eckerts vollkommen eigenwillige Kunst der Überblendungen, seine blinde Konstruktion des Lichtes von Frank Amann vorgestellt wird. Die Überblendungen, erzielt durch Mehrfachbelichtungen, machen den Priester einerseits zu etwas Geistigem, schälen die Geistigkeit geradezu körperlich aus ihm heraus, spielen aber auch mit dem Wortfeld des Geistes, wo in der Überblendung nicht nur die Geistigkeit hervorgeholt wird, wo der Priester zugleich zu etwas Geisterhaftem sich wandelt, und Pete Eckert den Priester hinter dessen Überblendungsschatten ausblendet, hinter einer pastoralen Geste verschwinden lässt. In seiner speziellen Art der Überblendung arbeitet er eine Spiritualität aus der Figur heraus, eine Spiritualität nicht des Amtes, eher eine Spiritualität des Ortes und der erspürten Situation.
Ein menschlicher Körper scheint sich in seine Geisterhaftigkeit zu verwandeln, sich in sie hinein zurückzuziehen. Oder in anderer Richtung gesehen: über seine Art der Fotografie holt Pete Eckert aus dem Gesehenen die Geisterhaftigkeit heraus, die in einem jeden menschlichen Körper steckt, genauso wie die Geistigkeit, die ebenso wenig Darstellung im Sichtbaren finden kann.
Wenn kein gesehenes Bild sich vor Bilder stellt und sie damit ausgrenzt, sie verhindert, überschwemmen die inneren Bilder die blinden Augen, die sie austragen und nichts hält sie davon ab, denn alle anderen Sinne bringen nur noch mehr Bilder hervor, die das einst Gesehene nur um so deutlicher hervortreten lassen. Blindheit bedeutet nicht, dass kein Bild gesehen werden könnte. Blindheit ist kein Zu-Wenig an Bildern, Blindheit bedeutet ein Zu-Viel an Bildern, da kein visuelles Bild ein Bild anhielte, da kein visuelles Bild Bilder ausgrenzte, sie in Schranken wiese. Das Berührte, das Gehörte: wenn keine Optik ihm eindeutig ein Bild zuweist, steht ein jedes im Inneren gesehene Bild auf der Kippe, gerät in einem jeden Moment ins Rutschen, ins Taumeln, läuft Gefahr, dass andere Bilder über es herfallen.
Ein großer Lichtkegel wird immer wieder auftreten, der sich allein in und durch seine Gestalt als produziert darstellt. Es wird eben keine Anstrengung darauf verwendet, Licht als etwas Naturgegebenes erscheinen zu lassen. Licht ist nicht da, ist niemals einfach so anwesend, Licht wird zu einer Vorstellung der Blinden. Licht muss produziert werden und diese Produktion muss gezeigt werden.
Da beginnen sich die Dinge von Eigenschaften zu lösen, die im Bild untrennbar mit ihnen verbunden erscheinen, etwa den Farben oder dem Licht, dessen Erscheinung die Farbe als Eigenschaft der Dinge in ihrem Aussehen erscheinen lassen. Farbe wie Licht werden sich in den Arbeiten von Pete Eckert wie Sonia Soberats von den Dingen lösen, sich von ihnen emanzipieren.
Der von der Hand des blinden Fotografen geführte Lichtstrahl löst den jeweils angeleuchteten Körperteil aus dem Körper, wie die Berührung durch die Hand dies ja auch tut, spürt mensch sie blind, spürt mensch sie bildlos. Das Bild am Ende seiner Konstruktion stellt eine Abgeschlossenheit dar, in der das Fragment dann wieder aufgeht: eine Art Dialektik stellt sich hier dar, die obendrein einen Blick auf die Produktion zulässt und die Berührung in einen Zusammenhang mit der Imagination stellt, die ein zentrales Moment der blinden Wahrnehmung ist.
„Ich glaube man versteht erst wirklich wie kraftvoll Licht ist, nachdem man erblindet ist.“ Sehende werden reflexartig bei diesem Gedanken einer Blinden wenigstens den Kopf schütteln, zumal das Licht von dem hier gesprochen wird kein esoterisches inneres Flackern meint, sondern das, was auch die Sehenden als Licht mit ihren Augen wahrnehmen.
In den Arbeiten von Pete Eckert und Sonia Soberats werden Körper und ihre Teile nicht angestrahlt, sie dienen eher dazu, das Licht an ihnen sichtbar zu machen und die Körper scheinen sich unter dem Licht zurückzunehmen, scheinen die Loslösung des Lichtes von den Körpern zu unterstützen, als erlebten wir unter den Körpern die erneute Geburt des Lichtes.
Die Bilder des Blinden sind immer beschädigt, da ihnen ihre eigene empirische Erfahrung widerspricht, oder genauer: die vereinheitlichende Ganzheit all der empirisch für den Blinden erfassbaren Eigenschaften findet keine integrierende Einheit, wie sie für den Sehenden durch seinen Sehsinn im Bild erstellt wird.
Am Klatschen im Wald wird der Sinn von Pete Eckerts Klatschen, das in der Kirche ja schon auffiel klar, wird klar an seinem Statement: „Aus Geräuschen lassen sich Bilder bauen. Tasten, hören, erinnern, man kann sich ein Archiv aus Erinnerungen bauen. Wenn ich an bestimmten Orten bin, sammle ich immer mehr Informationen und baue so immer weiter an meinen Bildern. Ein Bild vor meinem geistigen Auge fast so klar, als hätte ich es gesehen“.
Pete Eckert misst seine Bilder regelrecht aus und tut das in Schritten, indem er von Gehörtem, von Getasteten von Gespürtem ausgeht.
Foto in der Audiodeskription: „Pete hat zwei Gesichter, eines ist gelb beleuchtet. Er schaut in die Kamera seine rechte Gesichtshälfte ist von seinem dunklen Profil überlagert.“ Die Ganzheit ist eine Einbildung der Blinden.
Während das Bild alle Partikel seiner Erscheinung in sich integriert, ermöglicht der Film durch die Trennung von Bild und Tonspur Momente des Bildes zu betonen und dadurch den Zusammenhalt einer Szene zu erstellen oder umgekehrt sie von einander zu trennen. Die Musik von FM Einheit, ursprünglich aus den Bildern herauskondensiert, fließt wieder in die Bilder und ihre Beschreibung zurück, und lässt sie in ihrer abstrakten, echolosen und vollkommen unromantischen Ästhetik so kalt erstrahlen wie es eben die Hand tut, wenn sie im Seewasser eine Meerespflanze in ihrer Berührung fragmentiert erscheinen lässt, der Berührung, die ohne Bild keine Ganzheit sieht, die dadurch einzig auf die Fläche der Hand und des in ihrer Berührung ausgeschnittenen Gegenstandfragments zurückgeworfen ist. Mimetisch ausgedrückt wird in der Musik von FM Einheit aber gar nichts. Eher ist es eine Struktur von körperlichen Eigenschaften, die in Verschiebungen und immer wieder veränderten Kombinationen ein Gewebe aus Klängen hervorbringt, das die Bilder ungesehen zum Strahlen bringt wie die Hintergrundbeleuchtung von Glasmalerei. Eine Tonspur, die nicht nur alle Sinne miteinbezieht, aus ihren Bewegungen schöpft, die sie einander kommentieren lässt und die Kommentare wiederum in Text und Bild rückkoppelt.
Den Zusammenhang erstellt für den Blinden hier nicht das Bild, dessen Funktion die Musik von FM Einheit übernimmt: während für den Sehenden das Bild die Einheit der Dinge herstellt ist es im Film die Musik, die solche Einheit bewirkt, die Handlungen wie Assoziationen miteinander kurzschließt.
Gegen all die Verletzung durch den Verlust der Sehkraft, von der der Film immer wieder spricht, die er zum zentralen Moment einer Ästhetik der Erblindung macht, setzt die Musik von FM Einheit in ihrer absolut leidenschaftslosen ja emotionslosen Kommunikation mit den Bildern, die alle Anteilnahme, alle Betroffenheit verweigert, unspektakulär und ohne auch nur einen Hauch von Dramatik, einzig darauf bestehend, Kunst und nur Kunst als Kriterium ästhetischer Betrachtung zuzulassen; setzt mit der in ihrem Innerem aus Verzweiflung geborenen Kunst eine Ebene ein, die sich ganz bewusst aller Emotionalität enthält, die Bilder der Erblindeten einer rein ästhetischen Betrachtung zu überantworten sucht, einzig Kriterien gelten lassend, die auf Kunst und nur auf Kunst Anwendung finden sollen.
Die Imagination, erfüllt vom Bild, vom gespürten Bild, drängt geradezu nach Darstellung, braucht die Darstellung um kommunizierbar zu werden, einen Austausch anzetteln zu können, um zu befruchten und befruchtet zu werden.
Aus diesen beiden Erfahrungen, dem zerbrochenen Bild in der Erblindung und dem Wissen um die Möglichkeit seiner Ganzheit, die nur noch imaginiert werden kann, speist sich die erblindete Ästhetik, die erblindete ästhetische Wahrnehmung als ein Nicht-Mehr, das zu einem Noch-Nicht kommen will. Die Verletzung der Erblindung überzieht sich mit Bildern.
Der Bruch birgt für die künstlerische Arbeit Erblindeter neues und enormes Potential: Entfällt das Bild als integrierende Einheit der Eigenschaften der Dinge, suchen sich die Komponenten und Eigenschaften der Dinge, die Momente des Sinnlichen wie die Momente der Sprache neue vereinheitlichende Komponenten, die sie zu ihrem Rahmen machen. Zu allererst aber lösen sie sich vom Begriff, mit dem sie beginnen zu spielen, der selbst zu einer unberechenbaren Eigenschaft wird.
Am Anfang steht „die Grausamkeit der Erblindung“, als Ursprung des Bildes war der Bildverlust im optischen Sinne zu sehen, und was da gesehen wurde, waren Bilder, die aus dem Schmerz kamen und diesen Schmerz nicht nur zu überwinden suchten. Auf der Suche auch nach Bildern für den Schmerz. Die Bilder die da gefunden wurden, waren Bilder des Blinden und in eben dieser Doppeldeutigkeit: Die Verletzung die Verkrüppelung der Sinne als Ursprung des Bildes, ja des Lichtes.
Frank Amann nimmt all diese Bilder filmisch wörtlich und erschafft so einen wunderbaren Film über das Licht.
Der vollständige Text wird demnächst im Rahmen eines Buchprojektes erscheinen.