Rosmarie Burger, MEHR kann man NICHT tun, 2003, Acryl auf Stoff,100 x 130 cm. Foto: Adel

Das Lachen der Malerin

Über ein Gemälde der Malerin Rosmarie Burger

In ihrer Arbeit MEHR kann man NICHT TUN spielt Rosmarie Burger mit der Erotik des Unsichtbaren im Sichtbaren, bringt fünf nackte weibliche Figuren in einer Art Tableau so zu einander, dass die unterschiedliche Art der Ausführung zusammengeschaut werden kann, als handelte es sich um verschiedene zeitliche Stadien eines Werdens, einer Entwicklung.

Fünf weibliche Akte sitzen beieinander, die eine oder die andere berührt eine oder eine andere; keine nimmt mit einer anderen Blickkontakt auf oder bezeugt auf andere Weise eine Kommunikation. Einige Figuren sind in ihren fülligen Körperformen ausgemalt, andere existieren hauptsächlich in ihren Konturen, die wiederum in unterschiedlichen Farben realisiert wurden.

Die Beschreibung eines Bildes für einen Blinden: Ein Spiel der Imagination, die die Körper als Ganze sehen lässt, aber auch eine Imagination der Zeit, die die Figuren in eine Abfolge von Stadien sieht, sie vor dem inneren Auge zu einem Prozess vereint und da auch gerade, wo die Figuren „unfertig“ erscheinen.

Andererseits findet Entwicklung, Prozess im Bild nur da seine Darstellung, wo das Dargestellte sich vervielfacht: eine Spiegelung hinein in ein Inneres als dessen Werden.

Die nackten Körperformen werden bei Rosmarie Burger zu Objekten, da sie über keine offenen Augen verfügen, um Blicke im Blick abzuwehren. Sie werden aber auch zur bloßen Überschreitung, reduzieren sie Weiblichkeit doch auf bloßes Fleisch, das genauso wenig über Augen verfügt wie über Behaarung oder Ohrmuscheln. Es fehlen alle Organe des Wahrnehmens bis auf die Haut und dennoch: Rosmarie Burger hat eine Steigerung von Nacktheit gefunden und dringt in MEHR kann man NICHT TUN gleich dessen Auflösung mit herein ins Bild.

In ihrer gegenseitigen Berührung bleiben die Figuren dennoch unberührt, werden die vollen Brüste, die breiten Hüften, wird ihr Geschlecht gleichsam ausgestellt, etwas gibt sie hin, sie selbst scheinen das aber nicht zu sein: bewegt sind sie von einem Leben, das sie wohl spüren lässt, eine Berührung, die sie aber unberührt lässt.

Die augenlosen Gesichter, nur noch Körper sind sie: einzig die Berührung durch die Haut erstellt Wahrnehmung, erstellt in der gefühlten Berührung die Wahrnehmung des anderen tut es wie für den Betrachter, tut es für ein Außen. Die geschlossenen Augen sind einfach Fleisch, das sich zusammenzieht. Sie wirken wie schlafverklebt. Das rückt diese Körper in die Nähe von Träumenden, ihre Bewegungen ins Traumwandlerische und der Blinde sieht sie stark verlangsamt, um sie in ihren Körpern sich ganz spüren zu lassen, die eigenen Bewegungen spüren zu lassen. Ein Zitat von Georges Bataille kommt in den Sinn, das Michel Foucault in seinem Essay Vorrede zur Überschreitung wiedergibt: „Wenn der Mensch die Augen nicht souverän schließen könnte, würde er schließlich nicht mehr sehen, was gesehen zu werden verdient.“ Was da aber zu sehen ist, ist weder Abbild noch Darstellung handelnder Figuren, es ist die leere Wahrnehmung selbst. In den Worten der Assistentin: „Die Figuren haben keine Augen, aber einen Blick.“

Das Nebeneinander von ausgemalter Fleischlichkeit und nur von Blässe gefüllter Kontur. Es ist der Gedanke an Proteus, der mythischen Figur, die in keine feste Gestalt sich stecken lässt. Oder ist es andersherum Proteus als Metapher für ein Werden, das in keinerlei Linearität fassbar ist.

Anatomisch sind die Konstellationen kaum möglich und wenn sie als möglich erachtet würden, könnten sie nur als schmerzhaft empfunden werden. Das Anatomische wird unter Schmerzen außer Kraft gesetzt, die Physis ist in ihrem Bild eine Metapher der Überschreitung. Rechts die Zweiergruppe etwa: die vordere der beiden Figuren schiebt ihren Arm in die hintere, als verkeilte er sich in ihrem Körper. Die Dreiergruppe mit einer Figur als Mittlerin zwischen beiden bricht das Statuenhafte auf, stellt eine Beziehung her, die eher als Gleichnishaft zu bezeichnen wäre.

Dabei weist die unterschiedliche Stärke der Konturen auf Verwandtes, und in diesem Verweisen werden die Unterschiede deutlich, die auf unterschiedliche Grade seiner Verwirklichung, seiner Realität hinweisen. Eine imaginäre Zusammenfassung ähnlicher Figuren zu Stadien einer Form ergibt sich so, die derart zusammengefasst die Darstellung einer Bewegung ergäben. Einer Bewegung und vielleicht die eines Prozesses, eines erotischen Prozesses, der alle Vorstellung von Einzelkörpern durchbricht, sie hineintreibt in ein Bild der Auflösung, der zerreißenden Auflösung, wie sie der Französische Autor Georges Bataille in seinem Roman Das Blau des Himmels auf einem Friedhof zwischen einer Unzahl brennender Grabeskerzen ansiedelt, wo des Nachts zwei Liebende sich dem Akt hingeben und der männliche Ich-Erzähler die Geliebte entkleidet, ihre Kleider wie ihre Brüste mit der Erde des Friedhofes besudelt, während er die Vision eines Absturzes schaut, eines Absturzes in den Abgrund, der zugleich als Absturz in den Sternekosmos von ihm begriffen werden soll.

Ein Tableau von Positionen, die sich teilweise berühren, immer aber in sich gekehrt und verzückt, aber dennoch ohne alle Psychologie, ohne alle Emotionalität, geradezu nachlässig. Gerade weil die Augen fehlen treten sie als Blick undargestellt heraus. Ein Blick allerdings, der das Bild ins Leere verlässt ohne überhaupt zu sein, sein zu können, der nichts nach innen oder nach außen in Interaktion stabilisiert, der nur Einbildung bleibt.

Die geöffnete Tür des Ausstellungsraumes, aus einem kleinen Lautsprecher ihre Stimme in den Hof dringend. Eine Ausstellung von Gemälden der Malerin Rosmarie Burger ausgerichtet von der Kunstzeitschrift vissidarte 2006 in Meran vier Jahre vor dem Tod der Künstlerin. Er hört diese Stimme, hört sie zehn Jahre später, hört die Aufnahme, die sie damals bei ihrer Ausstellung hatte abspielen lassen. Als wolle sie zu ihrem eigenen Bild in Kontrast treten, lässt Rosmarie Burger im Ausstellungsraum in Meran einen Text von James Joyce, den sie selbst für die Ausstellung aufgesprochen hat abspielen. In ihrer tiefen verrauchten Stimme, die etwas von Verruchtheit an sich hat, lässt sie ihre Molly-Penelope in erotischen Träumen schwelgen, fällt in ein Lachen an Stellen, an denen Molly im Text selbst amüsiert ist, fällt aus dem Text heraus und klingt gerade an diesen Stellen wie Molly selbst. Vielleicht ist es aber auch ein Lachen über die Obszönität der Ernsthaftigkeit eines Klassikers der Moderne, sogenannte Hochliteratur begleitet von obszönen Lachen der Vortragenden, die sich über den Ernst des Literatur- wie des Kunstbetriebes lustig macht.

Konfrontiert mit ihren Bildern, deren erotischen Charakter Rosmarie Burger immer in Frage stellte, tritt zur Fleischlichkeit ihrer gemalten Körper ihre fleischliche Stimme und zeichnet eine ganz andere Spur: das Bild erlangt seine Erotik erst in der Stimme und dem was sie erzählt. Gehen wir mit diesem Gedanken noch einmal zurück zum Bild.

Das Acrylbild, die schwächer gemalten Konturen bringen im Dämmerlicht die Figuren auf der rechten Seite zum Verschwinden, oder von der anderen Richtung her: im Laufe des Sonnenaufganges treten sie überhaupt erst in Gestalt, ein Paradox, ein lebendiges Bild des in keinem Bild Darstellbaren: ein Bild von Zeit und Bewegung. Die Mittelfigur auf der linken Seite liegt mit ihrem Kopf auf der angrenzenden Frau der Zweiergruppe.

Mittig also die anlehnende Figur, rechts von ihr eine abgrenzende mit gespreizten Schenkeln ihr Geschlecht zeigend. Die Zweiergruppe vertikal sich ausrichtend, zu einem Turm sich aufbauend, Phallischem nicht unähnlich. Dann aber wieder der Gedanke: im ganzen Bild sei nur eine einzige Figur dargestellt, die in unterschiedlicher Intensität ausgeführt ist, als würden sich die Stadien der Arbeit selbst darstellen. Sieht man von der Formwerdung der Figur ab, könnte sich in diesen unterschiedlich ausgeführten Stadien aber auch ein Prozess der Formwerdung überhaupt darstellen oder umgekehrt und genauso berechtigt, ein Verschwinden aller Form.

Was aber stellt den Weg solchen Verschwindens besser dar als der Prozess der Auflösung, die Unfassbarwerdung allen Halts in der Form, in der Figur und was charakterisiert solchen Identitätsverlust präziser als der Zustand der Ekstase das orgiastische Einswerden mit dem anderen oder mit sich selbst.

Rosmarie Burger stellt solche Auflösung nicht dar, es wäre auch ein allzu albernes Unterfangen. Könnte es aber nicht sein, dass sie eine Art moderner Allegorie der Auflösung und des Verschwindens darstellt, dass sie ein Bild eines nicht zu bebildernden Prozesses schaffen will, eine Bildabfolge, die die Auflösung in der erotischen Erfüllung umreißt?

Aber was bedeutete dann der Titel des Bildes, MEHR kann man NICHT TUN? Rein grammatikalisch bedeutet er erst einmal eine Unmöglichkeit, zu der sich auch bekannt wird. Er könnte aber auch als Möglichkeit verstanden werden, mehr kann man eben auch NICHT tun und nach Aussagen der Malerin war eben genau das gemeint: ein bewusstes Unterlassen, ein Fließen-Lassen, ein Sich-aller-Handlung-Enthalten.


Dieser Text über Rosmarie Burger erscheint in gekürzter Fassung Ende Dezember 2016 in der Südtiroler Kunst- und Kulturzeitschrift vissidarte, die Lust & Liebe in den Fokus ihrer 12. Ausgabe rückt.

vissidarte erscheint einmal jährlich und liegt im Raum Meran, Brixen, Bozen und im Vinschgau in Galerien, Bibliotheken und in ausgewählten Cafés und Restaurants aus. Die Zeitschrift ist kostenfrei erhältlich und wird von Katharina Hohenstein & Sonja Steger, die gemeinsam mit anderen 2005 die Zeitschrift gründeten und seitdem die Redaktion leiten, herausgegeben.

Die in der 12. Ausgabe von vissidarte vorgestellten Künstler, Literatinnen und Fotografen lassen einen umfassenden Blick auf das Thema Lust & Liebe zu; neben Südtiroler Kunstschaffenden finden sich in Wort oder Bild Kreative aus Frankreich, Italien, Deutschland, Slowenien, Österreich und der Schweiz auf den Seiten von vissidarte.

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