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Hörlandschaft aus Plauderei und Kinderstimmen. In feinem Knirschen durch Sand oder Splitt zieht ruhig ein Rad vorbei und tut das so gemächlich, dass die ferne Ahnung von Motoren für einen langen Moment dahinter verschwindet. Schritt um Schritt etwas genähert, das solch Draußen nicht weiter lässt. Flüchtig alle Geräusche vor ihm in einem Vorraum versammelt, um ihnen weich aber bestimmt seine eigene akustische Welt überzuziehen. Nicht zuletzt wohl seiner wechselvollen Geschichte wegen wirkt er wie eine verwunschene Zone, der auch das vertraute Berliner Backsteingemäuer das Fremdkörperhafte nicht zu nehmen vermag.
Was unter Raum verstanden konstituiert ihn. Wird er als Halt von Plätzen gesehen zu denen hin verräumt werden kann, trägt er die Illusion platzierter Gegenstände habhaft zu sein und sein Bild versiegelt diesen Umgang. Bewegung, in solchem Raum lediglich Mittel der Erreichbarkeit, unterwirft sich dessen Exklusivität, da das Bild doch garantiert, dass alles andere verschwunden. Umwandet bei Sich gehalten, festgestelltes Raumaußen vom Innen getrennt, garantiert das Subjekt nur eine Richtung jenes Sich und auch der irreversible Zeitpfeil nimmt wohl hier seinen Anfang. Denken und Fühlen zwischen Wänden, die ihr Bild zu etwas still gestellt, das uns aushalten kann und das wir aushalten im Glauben da wieder hinauszukommen – noch der Blinde hat dieses Bild und hat es bildlos solange ihm nichts zustößt.
Stimmen von gewendeten Köpfen in verschiedene Richtungen geworfen ohne Rücksicht auf den, der angesprochen. Aber der schaut selbst und merkt das gar nicht. Verspiegelte Wände und die, die von ihnen überrascht, in erster Irritation zu hören. Sprechen verloren ins Eigene, das zugleich mit den Augen gesucht, die aber sehen zuerst andere. Der Vorraum des Fridericianum am ersten Tag der Pressebesichtigung: so manch einer der sonst in Schreiben oder Sprechen von Kunst Publikum nicht unerheblich vorbildet, hier nun selbst unvermittelt einer Kunstsituation gegenüber.
Bildlos ertastet die Hand nur Eigenschaften. Erst im Gesichtssinn erfahren Mauern Gebäudeform, dem Blinden dabei aber nur den Begriff übrig lassend, den die Stimme erklärt und der hinter ihr sofort verschwindet… Im Modell kehrt sich alles um. Die Form zu Tastbarkeit verkleinert wird zu Zeit in welcher Hand um Hand sie erspürt, so dass das Bild noch ungesehen zu Vorstellung kommt. Für die Sehenden werden dabei Eigenschaften in Farbe simuliert, die Hand des Blinden sieht das, denn Mauern fühlen sich anders an…
Eine eingedroschene Tür und im Eddingschriftzug „Terror now“ das gegengezeichnet was folgt. Diagonal von oben eingeschlagen ein baumartiger Träger und quer durchs ganze Zimmer, Nahaufnahmen zerfetzter Menschenkörper darauf, zerrissene Gesichter, herumliegende Leichenteile. Einzeln die Bilder von Klebeband eingerahmt, dass sie festhalten und keiner in Vielzahl entkommt.
Zustoß der Berührung Hand erfüllt, allein sie Kontur allem Gegenständlichen und aus ihm etwas herausgerissen, das in ihrer Fläche und deren Krümmungen jedes Mal anders montiert… Kanten, Materialübergänge, formend geformter Hautabdruck, Eigenschaften wörtlich eingestürzter Körperäußerungen, die bildlos keine Gestalt halten. Verschwunden ist diese hinter ihrem Fragment, das die Hand sich zuteilt als wäre es von ihr… Berührter Gegenstand seiner Gestalt sich entzogen, im Alltagsraum dem Blinden umgehbar, solange der Gebrauch unter seinen Vorgaben gelingt.
Apr 27 2007
Der Schrei des Dionysos
Zum Orgelkonzert von Hermann Nitsch im Rahmen des Festivals Maerzmusik 2007
Von nacktem Fleisch und Gestöhn überschwemmt, erscheint das Heute als Zeit, in welcher zwischen verordneter Tabulosigkeit und Körpervirtualisierung der Sex - und vor allem wo er mit Trieb verwechselt - zum zentralen Verdrängungsmechanismus wird. Geschlechter nach Pawlowscher Art abgerichtet vermeintlich befreiender Schablonen entlang, bestiegene Abziehbilder über Silikonimplantaten, denen die Rauschwirkung im Beipackzettel vorgeschrieben.
Mär 25 2007
Das Bild das fehlt
Arkadien & Anarchie, eine Ausstellung zum Divisionismus im Deutschen Guggenheim
Einer der rede, sagt sie von wo aus sie stehe, ein Gerüst zu sehen, darauf er, die Faust hoch, unter ihm noch andere aus etwas herausgeballt, das Häuser zu einer Masse zusammenschieben, nach hinten verschwimmt sie, wird von einer Straßenbahn gehalten, dass sie nicht ausläuft, sich nicht verläuft, eine massige Barrikade gegen Soldaten, wenig später würden sie angreifen…
Hören ist nie Beleg für Verborgenes. Erscheinen bezeugt es oder Verschwinden. Gehörtes aber ist da, und selbst wo es nicht erkannt, ist es in Gestalt. Das Auge hingegen bringt im Schauen selbst Nicht-Zu-Sehendes hervor, weist dem Blick Verborgenes aus. Gartenarchitekten wie Lenné spielten in ihren Landschaften mit diesem optischen Phänomen, errichteten etwa Hügel, um die Spazierenden in romantische Erwartung zu versetzen, entzauberten dabei allerdings auch das Sehen, im Eindruck im Vollzug entsprechender Bewegung werde alles irgendwann ins Sichtbare gezerrt.