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Berührung aus der Unendlichkeit
Zur Performance The Infinitive Gesture von Ixchel Mendoza Hernández mit Emeka Ene und Sebastian Elias Kurth im Radialsystem Berlin
Dunkel. Ein elektronischer Ton, der an eine futuristische Landung eines Fluggeräts erinnert, das aus der Zukunft kommt und von ihr her landet. Dann die Skulptur, ein rotierendes Objekt, das nur zu einem geringen Teil ertastbar ist. Ein zerbeultes etwa 50 cm hohes Aluminiumblech mit einem Durchmesser von 3 mm. Als geschlossenes Objekt wird es sich in Bewegung setzen, als ob ihm daran gelegen ist, sich an einer jeden Stelle seiner Form berühren lassen zu können, um die Berührung aber wieder mit sich hinwegzunehmen. Es spannt sich schräg durch den Bühnenraum hinauf. Ein Objekt als Zeichen des ewigen Umlaufens, ein zerbeultes Objekt aber, Symbol des antiken Kreislaufes, Nietzsches ewige Wiederkehr des Gleichen, die eben niemals das Gleiche hervorbringt, eine zerbeulte ewige Wiederkehr eben.
Die drei Performer*innen stehen im Dreieck, starr der Blick ins Publikum. Sie setzen sich rückwärts in Bewegung, als wollten sie einem Objekt von oben, das mit dem Ton seine Landung angekündigt hat, Platz machen.
Wie die Flügel von Radaranlagen unter der Decke, und am Boden in halber Höhe Objekte, mit unterschiedlich starken Stablampen an den Flügeln. Unterschiedlich starke Stablampen werfen unterschiedlich starke Schlagschatten an die Wand dem Publikum gegenüber, riesenhaft sie allemal. Von ihren Schatten die Performer*innen weit überragt, wie der Raum, in welchem sie sich in ihrer Welt belassen fühlen können.
Langsame ausladende Bewegungen den Eigenraum auslotend. Die Augen, der Blick folgt der Ausmessung des Bewegungsraumes. Wie eine spukhafte Verdoppelung der Performer*innen übernimmt der Schatten die Erkundung der Wände, ausgeschickt von ihnen zu einer Expedition ins Nirgendwo des Unbekannten.
Die Musik verändert sich. Über einen breiten Klang-Bordun wirft sich ein Dreiklang in Moll, der, in sich elektronischen Flöten ähnlich, die Terz in seinem Inneren zu einem Spielball seiner nach innen gewandten Beweglichkeit machend: dabei, tastenden weichen Schreien gleich, die den Raum des Eigenen akustisch durchsuchen. Während die Bewegungen bis hier vor allem von den beiden Männern getragen waren, kommt nun Ixchel Mendoza Hernández langsam nach vorne in die Mitte und lässt sich langsam mit gespreizten Beinen auf die Knie sinken, den Rücken hohl, der Kopf zuckend.
Sebastian Elias Kurth beginnt seinen eigenen Körper mit seinen Händen von vorne zu untersuchen, Ixchel Mendoza Hernández dasselbe oder ähnliches mit dem Handrücken und der Seite. Ihre Augen beobachten die eigene Bewegung.
Zuerst war es ein Raum, der in Bewegungen ermessen oder ausgemessen wird, danach sind es die eigenen Bewegungen, die in diesem Raum ausgetestet werden. Jeder, jede für sich aber, wie eingesperrt in die Eigenwelt.
Aus dieser Eigenwelt kommt Ixchel Mendoza Hernández langsam in den Stand, kommt aus einem Austesten ihrer Beine hoch, als lernte sie aus ihren Bewegungen heraus stehen. Lernprozess der ausgetesteten Möglichkeiten. Austasten einer Anlage. Einer Veranlagung. Metapher für den genetischen Code. Emeka Ene untersucht derweil seine eigene Sensitivität und bringt sich so selbst als spürende Person überhaupt erst hervor. Aus solchen Untersuchungen des Eigenen kommen sie alle und immer noch von einander getrennt zusammen, ganz nahe zusammen. Sie bilden eine Art kritische Masse. Die Zuschauenden spüren, dass es jetzt zu einer grundlegenden Veränderung kommen muss, dass diese Nähe zu einem communis führen muss.
Bis hierhin dreht Ixchel Mendoza Hernández die Entwicklung um, macht sie zu einer inneren Logik der Berührung und Selbstberührung, denkt den Uterus hinaus in ein Außen des Autoerotismus, der zuerst ausgeschöpft sein will, bevor der andere, die andere oder das andere überhaupt wahrgenommen werden kann.
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Dann die ganz andere Bewegung, die das andere irgendwie in sich trägt, die es vielleicht auch sucht: Sebastian Elias Kurth streckt die Arme aus und lässt sie sich an Gelenken und Unterarmen berühren. Die Berührung lässt die Finger in eine flirrende Bewegung - wie von Wasserpflanzen – kommen, lässt sie ineinander sich suchen, eine Art Unterwasserwelt wiederspiegelnd und, im Gespräch mit den Performer*innen bei der Tastführung, sprechen sie von einer Algenwelt, in der Arme und Hände sich immer wieder umschlingen. Die Bewegung des Sebastian Elias Kurth steckt an und auch Emeka Ene und Ixchel Mendoza Hernández nehmen sie auf, lassen mit ausgestreckten Armen ihre Finger nach etwas Imaginärem suchen. Die Algenbewegung wird von nun an immer wieder auftauchen. Das Suchen aber hat noch kein anderes gefunden.
Ixchel Mendoza Hernández umspürt nun mit ihren Fingern den Körper von Sebastian Elias Kurth, umspürt ihn aber nur ohne ihn zu berühren, ohne ihn zu erfühlen, ja ohne ihn überhaupt zu sehen. Das andere wird so als eine Notwendigkeit erspielt, eine Notwendigkeit aus der Grenze des Einen heraus.
Das andere aber bleibt bis hierhin dennoch nur eine Ahnung und erneut suchen alle das andere an ihrem eigenen Körper, berühren ihn voller Intensität.
Ixchel Mendoza Hernández erfährt dann das andere in Gestalt von Sebastian Elias Kurth. Sie streift ihm den Arm entlang, nimmt aber auch seine Hand und führt sie über ihren eigenen Körper, lässt sie, die Hand des anderen ihren Körper erfahren.
Sie gehen in die Hocke, gehen in den Vierfüßlerstand und lassen sich von den anderen berühren und alle Hände berühren all die anderen, die Hände erkunden die Körper der anderen.
Eine Stimme. Sie beginnt zu sprechen, spricht davon, dass manches Mal die Hände sich hinausbewegen und etwas finden, das sie zwischen sich nehmen, um es zu drücken. Eine Stimme und eine andere und die dritte und alle sprechen sie dasselbe aus. Sie enden. Vorne, Ixchel Mendoza Hernández und Sebastian Elias Kurth holen Stablampen aus ihren Kleidern hervor, knipsen sie an und lassen sie gegen sich selbst gekehrt die Szenerie beleuchten.
Sebastian Elias Kurth und Ixchel Mendoza Hernández umarmen sich immer wieder innig. Emeka Ene kommt hinzu wird zunächst einbezogen, wird umarmt und liegt auf dem Boden, wird von der Stablampe ausgeleuchtet, wird von den beiden wieder weggestoßen. Licht ist Berührung von Körpern, setzt launenhaft ein, um erneut wieder zu gehen.
Von nun an taucht aber nicht nur der andere Mensch auf, es taucht auch das Werkzeug auf. Es ist die Öffnung einer anderen Welt. Es ist das Licht das einen anderen Raum eröffnet. Hier ist es aber nun tatsächlich eine Stablampe, um die sich immer wieder gebalgt, gebuhlt, eifersüchtig gewacht und die auch geklaut wird.
Die Stablampe als Suchscheinwerfer, die Stablampe als Sinnstifterin, die Stablampe, um die anderen zu untersuchen und immer wieder von Umarmungen eingerahmt - eine Metapher des Lichtes auch dies. Licht umarmt uns auf der Erde vom Anfang bis zum Ende. Wie Kinder, die sich um ein Spielzeug balgen, gehen die Performer*innen mit dem Licht, mit der Stablampe um, langsam und rücksichtsvoll, durchaus aber bestimmt und bestimmend, manchmal wird sie dem anderen gegeben, dann wieder abgenommen.
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Es sind nur zwei, die eine Stablampe haben, was von vorneherein für ein Ungleichgewicht sorgt: neben Szenen der Fürsorge, der Zärtlichkeit und Gegenseitigkeit gibt es eben auch die der Konkurrenz und Rivalität.
Beziehungen untereinander werden als von einem Ding vermittelt dargestellt, sind Vergegenständlichung unserer Lebendigkeit, unserer lebendigen Beziehungen als Menschen, die im Kapitalismus von der Ware als dem bestimmenden Ding, verdinglicht werden, das vom Menschen hervorgebrachte Ding, das seinen Schöpfer, den Menschen selbst verdinglicht. In The Infinite Gesture sind die Beziehungen dingvermittelt, sind Vermittlungen von Sinn, symbolisch als Waffe, als Dolch, aber freilich auch als Licht in der Nacht, wo Tiere sich in ihrem Gehen selbst beleuchten und finden, wo Tiere den Raum, einen wilden Raum hervorbringen, ihn evozieren in ihren Bewegungen.
Außerhalb von all den Beziehungen die Beziehung zum Raum, die Schatten die sie durch die Stablampe hervorrufen, durch den Umgang mit dem Licht hervorrufen, die Schatten als noch einmal andere Erscheinungen, die unvermittelt vom Umgang mit dem Licht erstehen. Die Schatten sind dazu da, den Raum unter dem Licht noch einmal anders erlebbar werden zu lassen, sind Werkzeuge der Erkundung des Raumes, sind Berührungen des Raumes in seinen Wänden.
Aggressivitäten, die vom Besitzen-Wollen der Stablampe hervorgerufen werden, die sie gegeneinander aufbringen, die sie sich gegeneinander verschwören lassen, wo zum Beispiel zwei Performer*innen eine/einen an den Beinen packen, weil sie/er sich beide Stablampen gekrallt hat. Die Erinnerung an die Anfangsszene von Stanley Kubricks Film 2001 Odyssee im Weltraum kommt auf, der knochenartige Gegenstand der Stablampe als Waffe, und Waffe und Krieg als Urszene der Menschwerdung.
Die Stablampe in ihrer ursprünglichen Funktion wird eingesetzt, um die anderen zu erkunden, aus den Erkundungen entsteht wieder Bewegung mit Licht, größere Bewegung, den ganzen Bühnenraum erfassende Bewegung, aus Licht und Bewegung wird die Nähe zu einem anderen Requisit, dem Kostüm, die Stablampe wird unter die Shirts gehalten und über die Kostüme kommen sie sich erneut näher, verknoten sich und stürzen auf- und ineinander. Die Musik eine elektronische Geige, ein isoliertes Soloinstrument, die sich in elektronischen Klang-Bordunen bewegt.
In der weiteren Entwicklung geht die Performance wieder zurück zu ihrem Beginn, die Umarmungen zerfallen wieder und jeder, jede endet erneut im Solipsismus.
Letztes Bild das Spiel des Lichtes mit sich selbst, das Licht das keinen Menschen braucht, um zu sein, Das aber auch nicht wahrgenommen und als Licht benannt werden würde und gibt es ohne Beobachter überhaupt Welt? Ein Bild der Natur vielleicht auch, die uns Menschen nicht braucht, um sich missbrauchen zu lassen.
Mit dem letzten Bild kehren wir zum Objekt zurück das unter sphärischem Tosen langsam und hinaus in den Weltraum sich um sich dreht, hierin noch einmal an Kubrick erinnernd, wo der in die Luft geworfene Knochen zum Raumschiff wird, das sich unter Walzerklängen ins Universum hinaus dreht.
Nicht von ungefähr erinnert das Umgehen mit der Stablampe und nicht nur mit ihrer Ähnlichkeit mit einem großen Knochen an die Urszene in Stanley Kubricks 2001 Odyssee im Weltraum. Jeder Gegenstand, auch der segensreichste wie eine Stablampe kann als Waffe eingesetzt werden und führt zu Krieg und damit zu Tod und Verletzung, kann aber auch zu Nähe und Menschlichkeit führen.
Die Unendlichkeit beginnt bei Kubrick mit einer knochenartigen Waffe, deren Einsatz zu einem triumphalistischen Wurf hinaus in den Kosmos endet, um von hier aus überhaupt erst zu beginnen. Eben dies führen Ixchel Mendoza Hernández, Sebastian Elias Kurth und Emeka Ene weiter, indem sie die Möglichkeit des Kampfes einbetten in seine Vermeidung durch Zärtlichkeit und Verbundenheit.
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Concept, choreography, text and performance: Ixchel Mendoza Hernández
Performance and co-creation: Sebastian Elias Kurth, Emeka Ene
Sound/Music: Hyewon Suk
Light: Annegret Schalke
Stage design: Dora Đurkesac
Stage and technical assistance: Louise Wach
Costume: Malena Modéer
Dramaturgy: Jenny Mahla
Perceptual facilitator: Joséphine Evrard
Produktion: M.i.CA.
Distribution: Tammo Walter
Audio description text and editing: Swantje Henke and Gerald Pirner
Coproduction: Radialsystem and Tanzfabrik Berlin :LOVE:
With the support of: Something Great - Zentrum für Internationales Zeitgenössische Darstellende Künste
Funded by Hauptstadtkulturfonds