Clara Mayr, Rauch, 2024 Foto Clara Mayr

Der Rauch als letzte Gewissheit

Die Bildhauerin Clara Mayr im Bunker 23 Tartsch/Tarces Italien in der Gruppenausstellung „Wärme dich das Feuer brennt“

Die Erinnerung eines Erblindeten: dick und schwefelgelb aus sechs Konvertern herausquellende Wolken von Rauch, schwer und plastisch, ja wie greifbar sich träge und doch bedrohlich langsam in Richtung seines Mansardenfensters schiebend. Rauch als sichtbare Form aus der Distanz. Der Junge geht hinaus aus seiner Kammer, geht hinunter in den Garten. Alles von einem orangefarbenem Dunst eingehüllt, schwefliger Gestank legt sich um Hals und Kehle, metallener Geschmack im Mund.

Jahre später denkt der Blinde an eine Szene aus Amarcord von Frederico Fellini, wo ein alter Mann im Nebel die Orientierung nur wenige Meter von seinem Haus entfernt verliert und sogleich glaubt, gestorben zu sein.

Der Rauch scheint so lange vom Sehenden getrennt, solange er ihn als Form von Rauchwolken sehen, sprich erkennen kann. Sehen hält die Welt scheinbar vom Leib. Sobald der Sehende aber in ihn eintaucht, wird er zum Dunst, vielleicht zum orangenen Nebel der alles einnimmt, sich um alles legt bis er sich als schwarze, schlierige Schicht auf alles niedersenken wird. Zehn Minuten später dasselbe Spiel der Konverter.

Der Blinde sitzt in seiner kühlen Dämmerkammer und greift nach den Bildern längst vergangener Zeiten in seinem Inneren.

Sehen hält ihn aber nur vermeintlich fern von Bedrohlichem, etwa der Gefahr von Pseudokrupp, einer Krankheit, die in den Siebziger Jahren eine steile Karriere unter Kindern in Stahlarbeitergegenden starten sollte.

Da ist die Ferne, die ein Sinn herstellt, da ist die Nähe, die ein anderer Sinn hervorbringt. Da ist eine Skulptur, die beides spielerisch ineinander schiebt. Da ist die Riechbarkeit von skulpturalen Rauchwolken in einer Ecke eines Betonbunkers. Der Blinde fasst sie an. Tastet mit seinen Händen ihren Wölbungen nach, denkt an den Satz vom Rex und vom Pfaff, dem einen im Reim das Konvex seines Bauches zugedacht, dem anderen das Konkav des Bauches des Asketen. Konvex ist der Bauch vom Rex, konkav ist der Bauch vom Pfaff. Aber ist der Blinde hier nicht bereits wieder ganz anderswo?

Die Berührung wie das Tasten bringt ganz automatisch Bilder hervor und der Blinde ertrinkt fast in ihren Fluten.

Vielleicht ist Kunst und hier eine Skulptur in ihrer Disziplin und Konsequenz eine wunderbare Schule der inneren Bilder und ihrer Fruchtbarmachung in der Disziplin der Sprache, die wiederum nur aus der Nähe von Wort und Bild herrührt. Vielleicht aber ist es auch die Riechbarkeit der Rauchskulptur als Rauch von ihrer Machart her, die die Form noch einmal ganz anders in die Haut eindringen lässt.

Rauch und im Unterschied dazu der unbestimmbare Dunst, der dem Nebel verwandt ist. Der Rauch hat eine nachvollziehbare, eine benennbare Quelle. Im Rauch sich zu befinden heißt nicht selten den Ursprung, die Quelle, die Ursache verloren zu haben. Der Dunst wie der Nebel sind von der Haut feststellbar aber nicht bestimmbar. Das Auge wiederum sieht die Form, die Haut nimmt im Dunst und Nebel nur eine veränderte Form an sich wahr.

Für einen Erblindeten, der den Rauch als sichtbare Form verloren hat, der nur die Materialität des Rauchs mit seinen anderen Sinnen feststellen kann, gerät die Tastbarkeit der Form des Rauchs als Skulptur zu einer anderen Form der Einbildung, wird zu einer Umwandlung der Erinnerung in eine Materialität, die unmittelbar das Gedächtnis anspricht. Die ausladenden Wölbungen erscheinen ihm wie Formen des Barock, der Kirchenarchitektur etwa in Gestalt des Zwiebelturmes. Umgekehrt bricht der riechbare Rauch der Keramik das Gedächtnis auf, um es in noch ganz andere Richtungen gleiten zu lassen.

Das Feuer und seine Spur im Geruch, der als Rückstand seiner Fabrikation geblieben ist. Bei tausend Grad in einem Ofen mit Papier gebrannt, was der Oberfläche einerseits eine Rissigkeit beschert andererseits dem Werk den Rauch des Brennungsvorganges beifügt. Eine japanische Technik namens Raku, bei der das Feuer mit einem Deckel erstickt wird. Die Keramik wird in den heißen Ofen gesteckt und glühend wieder herausgenommen.

Der Ort der Ausstellung eine Nische in einem Betonbunker, die den Geruch gut bei sich hält, die den Geruch als Relikt des Rauchs als Brand bei sich hält. Die Skulpturen sind damit tatsächlich geräuchert, färben bei Berührung schwarz ab. Die Technik bringt die Sinne des Erblindeten auf unerwartete Weise so zusammen, dass diverse Bereiche der Erinnerung angesprochen werden.

Der Rauch als Gedächtnis von Rauch, Gedächtnis seiner Fertigung.

Schall und Rauch als nicht ernstzunehmende Erscheinungen, als Flüchtigkeit einer Gegebenheit, als Schimäre. Eine Skulptur als Darstellung solcher Flüchtigkeit und zugleich als Darstellung von Nichternstzunehmendem, die in Gestalt eine Materialität und damit Realität vorstellt, der die Rationalität nicht mehr einfach durch platte Kategorisierung entkommen kann.

Aber was ist Rauch. Zu allererst ist es ein flüchtiges Zeichen von Zeit, etwas, das, kaum gesehen, bereits wieder vollkommen verändert erscheint. Es ist eine Unfassbarkeit in mehrerer Hinsicht, es ist Unberührbarkeit, es ist Unzerstörbarkeit, es ist Unabschließbarkeit, da ein Einschluss ihn absterben ließ, weil er seine Ursache löschen würde.

In einer skulpturalen Darstellung aber verwandelt sich die Zeit des Phänomens in die Zeit der Rezeption. Aufhebung der Zeit der Erscheinung in der Tastbarkeit des Phänomens. Die Zeit wird von der flüchtigen Zeit des Phänomens in die Zeit des Menschen und seiner Wahrnehmung transformiert, wird Eigenzeit.

Ausstellungsansicht: Clara Mayr, Rauch, 2024 Foto von Othmar Prenner

Die Betrachtung des Werkes durch den Blinden hinterlässt Spuren an seinen Händen, die er in der fortgesetzten Berührung anderer Dinge wiederum hinterlässt, was er nicht sieht, worauf die Sehenden ihn hinweisen müssen. Die Betrachtung des Rauches in der Berührung pflanzt sich in der Welt fort und ihre Spur ist Metapher für Clara Mayrs metaphysische Sicht des Rauches überhaupt. Der Kerngedanke einer von der Zeit her, andererseits von der Form und dem Unterschied zwischen den Sinnen, ihr Ineinander, ihre Schwelle. Dem Prozess der Rezeption nachgegangen öffnet sich wörtlich eine Welt von ihrem Anfang bis zu ihrem Untergang von Zerstörung und Vernichtung her hin zu einem mitgedachten Neuanfang.

Die Unfassbarkeit hat einerseits etwas mit der Zeit zu tun, andererseits mit der Form. Der Rauch ist eine Materialität die sich permanent verändert, deren Bild eine Form setzt, die es im Augenblick ihrer Sichtbarkeit überhaupt nicht mehr gibt, die im Moment der Sichtbarkeit bereits ihre eigene Vergangenheit darstellt.

In der Wahrnehmung der Formen des Rauchs entsteht eine andere Zeit, die Eigenzeit der Rezeption, die die Erfahrungen des Rezipienten in die Erfahrung mit Rauch als Form und Material in die Wahrnehmung einmischt.

Den Rauch sehen, ihm in seiner Existenz zusehen bedeutet der Zeit zusehen, bedeutet einer Veränderung in der Zeit zusehen, bedeutet einer Vergänglichkeit in ihrem Prozess zusehen, sie beobachten.

Die Eigenzeit des Ertastens, Riechens und Fühlens eines Materials wiederum erfährt Wölbungen nach außen, nach innen, erfährt etwas, das sich in die Hand hineinschmiegt, das sich von der Haut weg ausbeult, erfährt vor allem sich in einer Materialität, die die Form zu transformieren ermöglicht.

Rauch als Zeuge einer Veränderung, eines chemischen oder physikalischen Prozesses, als Zeuge einer Erhitzung, die alle Bestandteile des Prozesses verändert, miteinander verschmilzt.

Dann aber Rauch als Zeichen, als bewusst gesetztes Rauchzeichen: der Rauch verlässt hier seine Rolle als unvermeidliches Nebenprodukt, da, wo ihm eine andere Ebene der Lesbarkeit verliehen wird. Er ist hier nicht mehr allein indexikalisches Zeichen, etwas, das von der Anwesenheit von etwas anderem spricht, eben dem Feuer als seinem Ursprung, er wird hier zum symbolischen Zeichen, bringt mit sich ein allein ihm eigenes Schriftsystem: der Rauch um des Rauchs willen.

Indem Clara Mayr in ihren Raucharbeiten den Ursprung des Rauchs offen lässt, öffnet sie dem Rauch eine ganz eigene Bedeutung, macht sie ihn überhaupt erst zu einem Zeichen, das in seiner Bedeutungslosigkeit vom Rezipienten auf ein Bild, oder, in einem Blinden und seinem Berühren, seinem Tasten, seinem Riechen zu einer Form in der Zeit des Bildlosen zurückfallen lässt.

Das Bildlose als das Vergangene als dem inneren Bild der Vergangenheit unterworfen, darin bereits der Eigenzeit unterworfen.

Ohne einen erkennbaren Ursprung ist Rauch kosmisch gesehen das Zeichen der Zukunft überhaupt. Der Untergang wird einen Rauch übrig lassen, dessen Unfassbarkeit eine metaphysische Größe zurücklässt, die zugleich Metapher für alles Geschehen auf der Erde bedeuten muss. Schall und Rauch eben, ein Nichts, was allein bleibt.

Aber Clara Mayr geht noch weiter: sie macht die geformte Form des Rauchs wiederum zu einem Formmaterial, zu einem neuerlichen Pool von möglichen Formen einer künstlichen Form gewordenen, etwa einem Gesicht aus Rauch.

Schlägt sie aber damit nicht einen vollkommen anderen Blick auf Welt vor, eine Hinterfragung aller möglichen Erscheinungen in Welt, eine immer im Hintergrund anwesende, vielleicht lauernde Ebene der Vernichtung und Zerstörung. Ist damit Clara Mayrs Auseinandersetzung mit Rauch heute nicht eine Anspielung auf unsere Zeit als der Zeit der Rückkehr des Krieges.

Ein Nachdenken aber auch über Paul Celans Todesfuge, wo der Dichter vom Grab in den Lüften spricht, wo man nicht eng liegt und dabei den Rauch der Gaskammern von Ausschwitz meint.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Clara Mayr spricht nicht explizit von Ausschwitz, spricht nicht von Paul Celan, spricht aber vielleicht von einer neuen Zeit des Rauchs und an der Schwelle zum 21. Jahrhundert muss der Rauch des vergangenen Jahrhunderts präsent gehalten werden und gerade in einer Zeit des Wiedererstarkens von Faschismus und Nazismus.

Der Titel der Ausstellung, Wärme dich das Feuer brennt, im Bunker erhält so einen grausigen Beigeschmack und Clara Mayrs Riechbarkeit ihrer Skulpturen trägt vielleicht nicht von ungefähr dazu bei.

In einem faschistischen Bunker, der zwischen zwei faschistischen Systemen liegt, liegen Gedanken an gerade diese Zeit des vergangenen Jahrhunderts nahe, bricht gerade an einem solchen Ort die Nähe zum Jahrhundert der Vernichtung auf als furchtbare Kontinuität, die Clara Mayrs Werk dezent anspricht.

Der Rauch ist also auch immer Träger einer Botschaft des Todes, trägt seine Schrift in sich und trägt einen ganz bestimmten Tod bei sich als etwas, das es nie zu vergessen gilt. Unterschwellig immer anwesend, immer anwesend wie die Vernichtung.

Clara Mayr, Rauch, 2024 Foto Clara Mayr