Bildlos der Tanz als Raum oder:
Ein Blinder erspürt aus der Bewegung sich Geschichte
Zur Performance SWAY von Tatiana Mejía
Zuerst war da eine Erscheinung, war da eine Vision, ein Traum des Großvaters: die Enkelin soll groß werden. Eine ganze Performance setzt sich mit der Vision des Großvaters auseinander, setzt sich mit ihr als Segen wie auch als Fluch auseinander, setzt sich durch mit dem Wunsch des Ahnen, dass die Enkelin eine große Ballerina werden soll. Tanz und seine Erarbeitung in der Ausbildung ist harte Arbeit, gehorcht der Disziplinierung des Körpers, und nur ein disziplinierter Körper produziert Schönheit im Sinne des abendländischen Tanzes als Ballett hier des Russischen Balletts Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gesehen in der Dominikanischen Republik.
Das Zu-Sich-Kommen einer Prophezeiung. Das Zu-Sich-Kommen des Wunsches des Ahnen, ein Einüben, ein vorsichtiges Herantasten der Bewegungen an ihre Perfektion. Zu Beginn aber auf der Bühne ein akustisches Chaos, gegen das sich die Worte der Tänzerin letztlich durchsetzen: in ihren Worten setzt sich der Wunsch des Großvaters durch, dem sie folgt, indem sie ihn ausspricht.
Da ist mit der Bach Cellosuite die Metapher der disziplinierenden Ausbildung, da ist das Hineinwachsen in das Ballett, da ist aber auch die Erinnerung an die eigene Herkunft und die Tanzformen der Karibik, da ist vor allem der Dembow, da ist der Mapouka aus der Elfenbeinküste. Beides kommt in Tatiana Mejía Körper zusammen, drückt sich in ihm aus, Stimme wird es, Gesang aber auch Schrei, Widerwille gegen die Disziplinierung aber auch gegen die Zuschreibungen, die die Gesellschaft für eine Schwarze Frau bereithält.
Das Zu-Sich-Kommen eines Bildes des Selbst aus der Projektion im Auffinden der Projektionsflächen und der Befreiung von ihnen als Schwarze performende Frau. Aber, was wird gesehen, was wird gehört.
Vor der Sprache aber ist die Bewegung, die sich im Hören und Sehen überhaupt reflektiert, die mit sich ins Gespräch kommen muss. Ein Blinder hört sie, hört sie zunächst ohne Beschreibung, ohne vermittelte Visualität, hört sie in ihrer Unbestimmtheit, hört sie als Wut, hört sie als Traurigkeit und aber auch als Wille sich zu behaupten. Er spürt aber auch eine Weichheit, die zu weich ist sich vom Tanz als Frau und Mensch brechen zu lassen, sich von Vorurteilen ausgrenzen zu lassen und all dies ist für den Blinden in den Bewegungen zu erspüren.
Schritte, Sprünge, nackte Füße, Schlagen gegen die eigene Brust, Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung. Tanz als das Medium, in welchem der Mensch zu sich kommt, in welchem er zum Wunsch der Ahnen kommt, in welchem er zu seiner, hier ihrer Bestimmung kommt. Der Wunsch steht vor der Bewegung, der Wunsch steht vor der Sprache als dem Passiv, etwas geschieht mit mir durch den Wunsch des anderen.
Bestandteile: die Bewegung, die Stimme, das Gesicht und die Mimik wie die Musik. Die Musik reduziert die Bewegung auf ihre Sichtbarkeit, da ihre Hörbarkeit hinter der Musik verschwindet.
Das Gesicht obliegt allein der Beschreibung, die sie in die Nicht-Hörbarkeit der Handlung deskribiert. Das Gesicht wird von der Beschreiberin, zunächst Elisabeth Leopold und später von Swantje Henke, nachgemacht, um es tastbar zu machen, es muss also auf eine andere Weise in einen anderen Sinn übersetzt werden und wird dadurch zu einer Maske. Ist aber so gesehen nicht alle Mimik im Fall ihrer Beschreibung, ihrer Übersetzung eine Maske. Wird diese Maske aber dann nicht erneut in der gehörten Bewegung, der gehörten Stimme aufgebrochen, ja in eine andere innere Bewegung des blinden Rezipienten verflüssigt.
Jede Beschreibung ist eine Metapher, sobald sie über anatomische Maße hinausgeht, sobald sie sich Stimmungen hingibt und eine jede solcher Beschreibungen ist eine Interpretation. Es gibt keine neutrale Bewegung, es gibt keine neutrale Mimik, gerade in einem Ort wie einem öffentlichen Ort als Kunstraum ist alles der Interpretation unterworfen.
Die Mimik in Verbindung mit tierischen Lauten lässt die Performerin auf eine andere Ebene kommen, macht sie in ihrem Spiel oder Tanz zu einem Mischwesen. Eine Löwin werden als Notwendigkeit für eine Frau, die nur auf diese Weise Mensch werden kann.
Verschiedene Ebenen im Verlauf der Entwicklung zur Performerin durchlaufen, verschiedene Tanzarten im Tanz vereinen, verschiedene Musikstile zusammenbringen.
Im Hören allein ein Gespür entwickeln, das die Performance in einer Weise erfahrbar macht, eine Art Em-Pathie entfalten lässt. Aus dem Fühlen und Hören, aus der Beschreibung eben ein empathisches Gespür entwickeln, das über das Sehen hinausgeht.
Das Gesicht als Maske, als Fratze nachzuahmen, zu imitieren für das nachvollzogene Gespür, unter Anwesenheit der Sehenden Grimassen ziehen.
Bildlos ist der Tanz für einen Blinden die Erkundung eines Raumes in der Zeit, der Zeit, in der die Geschichte eines Körpers zu ihrer Bewegung kommt. Was an Geschichte und Geschichten sich in diesen Körper eingeschrieben hat, bringt der Körper in den Bewegungen, die der Raum in ihm anspricht, zu denen der Raum den Körper hin anspricht, erneut hervor. Die Performerin ist das Medium vieler Zeiten, der Zeiten, die sich als Geschichte in die Geschichte des Raumes eingeschrieben hat, wie der Inschriften ihres Lebens, die sich in ihren Körper als Spuren eingegraben haben.
Zeiten, die sich miteinander auseinandersetzen. Ein Körper, der aufmerksam solchen Dialog verfolgt. Indem er all diese Auseinandersetzungen in ihm verfolgt, gelangt der Körper zu seinen Bewegungen, denn nichts als Bewegungen sind diese Dialoge, sind seine Interpretation durch die Geschichte einer Performerin und die in ihren Bewegungen hervorgerufenen Vorstellungen des Raumes.
Blinde Wahrnehmung als Aufspüren einer Heimsuchung
Gespürte Bewegung, gehört, dass die Füße nackt sind. Worte, ihre Beschreibungen, die der Bewegung ein Gesicht geben. Da ist die körperliche Materialität, da ist ihr Gewicht, ihre Leichtigkeit, da ist das Gespräch zwischen den von der Performerin im Tanz gespürten Bewegungen, die ohne Bild allein abstrakt als Dialog zwischen Körper und Raum vom Blinden gespürt werden. Der Blinde saugt Geräusche und Gespür in sich auf, saugt die Stimme, ihren Gesang, ihre Erzählung in sich auf.
Wenn sie zu Beginn ihrer Performance konstatiert, dass alles vor langer Zeit begann, ist zunächst in diesen Worten wohl ihre persönliche Geschichte gemeint, ihre Beziehung zu ihrem Großvater. Tatiana Mejía ist Schwarz und betont das auch, ist stolz darauf. Ihr erster Satz an den blinden Autor ist, ich bin Schwarz. Nein, ich bin eine Schwarze Frau.
Der blinde Mann fühlt in diesem Moment, wo er keine Hautfarbe sieht, ganz persönlich die Macht der Zuschreibung. Er spürt ganz körperlich die scheinbare Unbedeutendheit von Hautfarbe und doch zugleich in den Erzählungen der Geschichte, der Kolonialgeschichte das Gewicht der Gewalt, das der Satz „Ich bin schwarz“, angenommen hat und immer noch bei sich trägt. Er spürt diesen Satz aber auch als Moment der Befreiung gegen die gewendet, die ihn einst als Merkmal der Unterdrückung geformt haben.
Vor blinden Augen beginnt eine Abfolge von Bewegungen, die von Kraft spricht, die im Zusammenhang der Bewegungen eine Form der Disziplin annehmen, deren Ursprung zuallererst westliche Kultur ist, hier beispielhaft die Tanzsuiten für Solocello des Johann Sebastian Bach. Du musst etwas über deinen Körper ziehen, deinen Ballettdress anziehen, deine Tanzschuhe anziehen. Immer wieder und wie in einer beschwörenden Ansprache gegen sich selbst, Wiederholung der Selbstdisziplinierung auch immer wieder lustlos wiederholt: „Ich muss die Schuhe anziehen, ich muss die Schnürsenkel binden.“
Musikalisch gibt es wohl keinen stärkeren Bruch als den zwischen der barocken Tanzsuite und Dembow und Mapouka, bearbeitet von Ale Hop. Eine getanzte Befreiung aus der Disziplin heraus, nicht gegen die Disziplin, eher auf ihr aufbauend und andere Wege, andere Wege der Tanzbewegung findend.
Schnelle Schrittabfolgen, schnelle Fuß- und Beinarbeit des Dembow auf dem Boden bildlos zu spüren, eine durchdringende unaufhörliche Bewegung, tausende kleine Abfolgen wie von tausenden Schritten. Das Beuge-dich der Sklaven gegen die Herren und Herrinnen im Dembow gewendet. Hier beugt sich niemand mehr außer dem Rhythmus des Befreiungstanzes, des Tanzes als Ausdruck der Befreiung.
Im Mapouka sind die Hüftbewegungen kein Ausdruck eines erotischen Stils, sondern Ausdruck eines Abschüttelns der einzwängenden Gesten und Posen, auch der abendländischen Kultur der Disziplinierung. Schnelle Hüftbewegungen, die keine animierende erotische Konnotation tragen, viel mehr die Unfassbarkeit eines selbstbestimmten Körpers einer Frau.
Der Blinde liegt auf dem Boden und erfährt die Bewegungen, die er nicht genau bestimmen kann, die manchmal eine Stimme von der Performerin erhalten, gesungen von einem Podest aus, das keinen festen Platz auf der Bühne hat, das, eingebaut in die Performance herum geschoben wird, von einer Befreiung singend, die von keinen festen Platz des Widerstandes singt, bloße Energie aber nicht festlegbar, nicht vereinnehmbar.
Wellen von Wucht und Wut vom Boden her gespürt, den ganzen blinden Körper durchziehend, ungesehene Bilder auslösend von einer Stimme her, die nur Stimme ist. Der Blinde spürt eine Energie, die sich im Raum wie von selbst Bilder sucht, um zu verstehen. Ein Bild wiederum hierfür ist eine Welle aus Plastik, die zwar durchsichtig ist und dennoch alle Erkennbarkeit in sich verschwimmen lässt.
Projiziert irgendwann einmal der Schwan, dessen Sterben der Großvater an einer russischen Ballerina so bewunderte. Auf ihrem Körper ist er zu sehen und ist doch zugleich der Hahn aus der Karibik in seinen Kämpfen aber auch in der Magie.
Die abstrakten Videoprojektionen von Boris Seewald wiederum, die Inspiration sichtbar machen, ohne sie eindeutig lesbar machen zu wollen: ein Versuch die Wirkung von Inspiration auf den Körper der Performerin sinnlich fassbar zu machen, um diesen Versuch scheitern zu sehen, ein Scheitern des Sehens als Kreativität.
Alles was aber da auf sie wirkt setzt ihr Körper um, macht ihn stark, lässt sie die Fäuste ballen, lässt sie zur Superwoman werden, lässt sie dennoch weich bleiben, menschlich bleiben, und ihr letztes Lied deutet der Blinde in dieser Weise, die Hände als Fäuste hoch gereckt wird sie zur tierischen Durchsetzungskraft, wird zur fauchenden Wildkatze. Auf der anderen Seite aber erinnert sich der Blinde an Beschreibungen eines traurigen Gesichtes und an zarte Bewegungen des Zweifels, die gerade alleine in dieser Superwomen keine Erfüllung finden.
Der lautstarke Techno in seinen wummernden Wiederholungen als der artifizielle Ausdruck eines Nichtendenwollens der Kreativität lässt die Projektionen, das ausleuchtende Bühnenlicht ausfaden.
Im Nachhinein betrachtet war die Entscheidung von Tatiana Mejía und Jon Kiriac, einen Blinden als Beobachter noch vor der Audiodeskription in die Arbeit einzubeziehen nicht nur so begrüßenswert wie ungewöhnlich. Vor allem schuf Tatiana Mejía tatsächlich einen utopischen Raum, der den Körper des blinden Rezipienten bildlos und ohne alle Beschreibung, das heißt ohne jedes Bild, allein als Körper mit hereinnahm. Der Blinde erfuhr nur die Energie der Bewegung, erfuhr sie, vor allem wenn er auf dem Boden saß oder lag als reine Energie, als Energie des Widerstandes, als Wut, aber auch als Verletzlichkeit einer Frau, die sich wehrt, ohne gleich die Widerstandsformen in Gestalt der entsprechenden Handlungen und eben Bewegungen vorzustellen sprich vorzuschlagen. Der Blinde kam so vor allem in den Genuss einer reinen Energie, die sich immer und vor allem für die Zukunft ihre Bewegungen und Handlungen erst noch finden oder erfinden muss. Der Blinde konnte Utopie erspüren.
Cast Artistic Direction & Performance | Künstlerische Leitung & Performance Tatiana Mejía Dramaturgy | Dramaturgie Elisabeth Leopold Outside Eye & Stage Design | Outside Eye & Bühnenbild Cécile Bally Music | Musik Ale Hop Video mapping Kalma Video Animation Boris Seewald
Licht Design | Light Design Leo G. Alonso Costume | Kostüm Anna Mirkin Audio Description | Audiodeskription Swantje Henke Production | Produktion Jon Kiriac Production Assistant & Community Outreach | Produktionsassistenz & Community Outreach Céline Rodrigues Monteiro Outside Ear Gerald Pirner