Gerald Pirner, Portrait Nadia Schwienbacher, entstanden im Rahmen der Performance "Sprich zu mir, damit ich dich sehe", 2023. Foto: Gerald Pirner

Der befreite Bunker

oder von anderen Höhlenausgängen

Zur Ausstellung Benny Sven und die Künstlermenschen und der Performance Sprich, damit ich dich sehe im Bunker 23 Tartsch/Tarces Italien

Die vermeintliche Selbstverständlichkeit, dass das, was visuell sichtbar ist, tatsächlich das ist, was einzig zu sehen ist, stellte Platon schon vor mehr als 2000 Jahren in Frage: Sprich zu mir, damit ich dich sehe, ein Satz aus seinem Phaidros- Dialog. Nichts anderes sagt er als, dass hinter dem, was visuell zu sehen ist, ein Eigentliches spricht, das man nur hören kann. Das eigentlich Sichtbare hat mit dem Visuellen nichts zu tun. Was eigentlich zu sehen ist, gesehen werden könnte, muss den Sehenden ansprechen und bildlos spricht es auch den Blinden an und tut dies aus eben einer Nichtsichtbarkeit heraus. Es spricht und sein Sprechen findet sich in einem bereiten Körper, in welchem es sein Echo erfährt. Wird wahrgenommen vom ganzen Körper, der es spürt und solcher Spur in sich ein Bild zufindet, ein inneres Bild zufindet, um von sich sprechen lassen zu können. Ein Bild der gemeinsamen Einlagerung. Aus einer Stimme spricht es ungesehen an, um gesehen werden zu können: Ein ganzer Körper da, wo einst ein Auge war. Ein inneres Bild, das einst von Visualitäten verdeckt wurde.

Ein verzweigter Raum, eingemauerte Begehbarkeit als Kriegsdeckung. Die italienischen Faschisten suchen sich vor den deutschen Nationalsozialisten zu schützen und tun dies, indem sie einen Wall von Bunkern gegen Norden hin errichten.

Der Bunker

Was aber ist ein Bunker. Zu allererst ist er ein Versprechen und zugleich eine Drohung in Richtung gegen die, die ihn sehen, dass sie vor dem, was kommt, sich sicher fühlen können und zugleich natürlich eben auch nicht. Zum anderen aber zeigt er das auf, was tatsächlich kommen wird, die Kampfhandlung.

Der Bunker ist also eine Voraussetzung, einen Angriffskrieg führen zu können und dennoch vor dem Gegenschlag des Feindes sicher zu sein. Der Bunker ist also vor allem eine Illusion, ein Versprechen der Macht an die Beherrschten, die mit ihren Körpern und ihrem Leben diese Macht und ihre imperialen Wahnsinnsträume mit Blut, ihrem Blut ausfüllen sollen.

Einen Krieg gewinnen können heißt im 20. Jahrhundert für einen Staat noch, vorher Bunker bauen, damit eine Elite überleben kann, denn wer darf dahinein, wo es doch nur einige Plätze zu vergeben gibt. Ein Staat versetzt sich in die Lage, einen Krieg führen zu können. Er stellt mit dem Bunker aber auch nach außen hin einen Ort aus, wo Menschen vor dem Gegenschlag hin gelenkt werden und gesammelt werden können. Es öffnet im Bunker eine Verwundbarkeit. Stellt sie in Beton aus. zeigt sein Gottvertrauen, stellt es in Gestalt des Materials des Bunkers aus, stellt aus, ja, provoziert den Schlag, den es in der Zurschaustellung des Materials selbstsicher und überzeugt von der Überlegenheit in der Landschaft präsentiert.

Der Bunker ist beides, Größenwahn wie Paranoia, großmäulige Provokation und ängstlicher Blick auf den Nachbarn im Norden.

Ein Staat stellt damit nicht nur seine militaristische, bellizistische Zukunft, seine Vorhaben aus, stellt sich selbst den Beherrschten demonstrativ in Beton und Unangreifbarkeit gegenüber. Der Bunker wird damit eine Drohung gegen das eigene Volk, indem in eine friedliche Landschaft die Möglichkeit des Krieges von Seiten des Staates eingepflanzt wird. Der faschistische Staat stellt sich als Staat in Beton gegen alle seine Feinde aus, er stellt aus, dass die einen bei einem Krieg im Bunker sind und die anderen vor den Mauern verheizt werden.

Solchen Bunkern in Zeiten einer sich als postfaschistisch gerierenden Regierung zu begegnen bedeutet, ihnen ein vollkommen anderes Leben verleihen zu müssen, ihnen ein Innenleben geben, das von diesem Innen aus eine Unbezwingbarkeit gegen Staat und Faschismus ausstrahlt.

Die Konversion

Ein Bunker als Konversion, als Umwidmung in einen Ort der Kunst.

Ein Raum, der in seiner labyrinthischen Verschachtelung in der Sicht eines Blinden etwas Mythisches behält und entfaltet. Der Bunker als Labyrinth für einen Blinden, der sich in den Echos seiner Gedanken und Imaginationen verliert. Angesiedelt irgendwo zwischen den göttlichen Höhlen Kretas und den künstlichen „Höhlenausgängen“ der Dunkelheit und ihrer Bemalung, dem Fremden des Minotaurus opfernd, das vielleicht das Eigene ist.

Der Bunker ist das Ohr, das das Geräusch sich entwickeln lässt. Der Bunker als Ansammlung von Gängen, die akustisch ausgelotet werden wollen. Gänge, die sich aufeinander zu bewegen und wieder entfernen und hierzu die Geräusche ihres Begehens benötigen, um sich räumlich zu erfüllen, um zu sich zu kommen.

Gänge, die sich kundtun. Gänge die von sich sprechen. Gänge die sich zeigen. Gänge die zu leuchten beginnen in ihrem Klang, in ihren Echos.

Und plötzlich sieht der Erblindete Bilder seiner Jugend, in der er noch gesehen hatte: In den Sechziger Jahren gab es eine Fernsehserie, die schnell Kultstatus erhalten sollte, Belphégor oder das Geheimnis des Louvre. Ein Medium, das von einer mafiösen Truppe benutzt wird, einer kanaanitischen Götterfigur allein durch seine Anwesenheit ein Strahlen zu entlocken. Das Medium wusste davon nichts, es war immer in einer Art somnambulen Zustand, es trug eine Holzmaske und wurde von einem Kind mittels pfeifen durch die Gänge des Museums geführt, hin eben zu Belphégor, der in Anwesenheit des Mediums dann tatsächlich zu leuchten beginnt und so stark leuchtet, dass das Medium noch durch die Holzmaske hindurch geblendet ist. Ein Metall innerhalb des Steins sprach auf das Medium an, auf das eine Gangstertruppe scharf war.

Belphégor ist ein anderer Name für den Baal von Peor, der erklärte Erzfeind des Gottes Israels, und die Israeliten verfielen ihm und wurden dafür aufs bitterste bestraft. Bilam, der Priester des Baal von Peor, der einerseits durchaus den Gott Israels anerkannte und der sich gegenüber den Herrschenden der Region weigerte, das Volk Israel zu verfluchen, versucht andererseits den Israeliten die Frauen von Moab als Kriegsbeute unterzujubeln, freilich mit dem Hintergedanken, hierüber würde sich der Baal von Peor im Fleisch der Israeliten als Kult und Ritual fortpflanzen und überleben, gerade weil er den Gott Israel als den wahren Gott anerkannte, weil er den Israelitischen Gott in den Frauen mit Baal und seinen Kulten mischen wollte. Moses lässt ihn umbringen und alle Frauen, die mit moabitischen Männern im Bett waren. Nur die jungfräulichen Mädchen durften sich die Israeliten als Kriegsbeute nehmen.

In unserer Performance ist es nicht die kanaanitische Figur des Baal, des Belphégor, es ist der ganze Raum, in welchem die Erscheinung selbst stattfindet. Sie wird auch nicht zum Leuchten gebracht, sie wird durch Geräusche und die menschliche Stimme wie durch Schritte in Schwingung versetzt. Der Raum leuchtet gleichsam akustisch und wir alle sind ein Teil von ihm und seinem Leuchten. Es gibt bei uns keinen Belphégor. Es gibt nur einen Bunkerraum, der nur lebt, weil wir ihn zum Klingen und Leben bringen. Es gibt aber ein inneres Bild der Assoziation, ein Bild von Erinnerungen, ein Bild dessen, was uns aus vielleicht ganz anderen Zeiten berührt, uns aus dem Tief der Wände heraus anspricht.

Die Ausstellung

Einen Mann gibt es aber auch, der nicht sieht und der sich von einer sehenden Frau in einen Raum führen lässt, der dunkel ist, wie man ihm aber sagen muss, weil er noch nicht einmal dieses Dunkel sieht. Blindheit heißt eben nicht Dunkelheit sehen. Blindheit heißt nichts visuell sehen oder in Visualität wahrnehmen und Dunkelheit ist zuerst ein visueller Zustand, auch wenn der spürbar ist.

Eine Ausstellung im Bunker 23 kuratiert von Othmar Prenner mit dem Namen Benny Sven und die Künstlermenschen an zwei vor nicht allzu langer Zeit verstorbene Künstler erinnernd, eine Ausstellung, in die Gerald Pirner von seiner Assistentin Heidi Prenner sowie von Nadia Schwienbacher mit ihrer Stimme und ihrem ganzen Körper hineingeführt wird.

Einer Holztafel entgegen von der die Schritte wiederzurückkommen, bis sie den Entgegentretenden kurz umarmen, um ihn dann gegen das Material knallen zu lassen. Ein hölzerner Sessel verkohlt und seine Form so, als ob das Holz geschmolzen wie Metall, in der Berührung einen Film gespürt wie Rauch, der sich in der Berührung der Mauern des Bunkers im Stein fortpflanzt und das Material scheinbar überzieht, es zugleich in sich durchlässig machend, einen Stein in einem Gespür von Rauch durchsetzt.

Der Bunker ungesehen und nie vom Blinden begangen, das Erhören der Wände, die unerwartet auf ihn zukommen, sich von ihm im nächsten Moment zurückziehen, um sich sodann an einem kurzen Punkt zu vervielfältigen. Erfüllt von Schritten, die sich in anderen Gängen brechen, die die Echos anderer Gänge aufnehmen und im Blinden sich vervielfältigen und der Blinde weiß aus Gesprächen mit Besuchern, wie gerade diese Erfahrung des Verlustes von Orientierung die Besucher verwirrt, sie lähmt, sie einen Anflug von Panik spüren lässt.

Eine Performance

Das Geräusch ist eine Anwesenheit, die geweckt werden muss, die hereingebeten werden muss, die aufgerufen werden muss, die jeweils von unterschiedlichen Wesenheiten gerufen, in unterschiedlichen Weisen Gestalt annimmt, sich in unterschiedlichen Weisen ausdrückt. Kein Klang, kein Geräusch erscheint in der Weise, in der sie aufgerufen werden, in der sie geweckt werden. Raum erst formt sie, verschattet sie, bricht sie mit sich selbst, gestaltet sie und hinein in ihr Echo, in welchem der Raum sie wieder verschwinden lässt, denn nicht allein die architektonische Form des Bauwerkes ist es, die Geräusche birgt, vielleicht sitzen sie ganz tief in den Mauern, wo sie wirklich auf uns warten.

Dunkel. Einen Raum bildlos begehen entblößt ihn spürbar, lässt ihn nackt an die Nichtsehenden herantreten, lässt diese berührt werden von seiner Blöße. Wir sehen nie einen Raum, wir sehen immer nur das Bild eines Raumes. Vielleicht könnten wir Raum und Räume überhaupt nicht ertragen. Vielleicht ist das Bild des Raumes die Verkleidung des Raumes, dessen Nacktheit uns womöglich erschauern ließe. Und vielleicht meint Aristoteles genau das, wenn er in seiner Physik sagt, dass ein jeder Raum immer in einem anderen Raum steckt, und vielleicht ist dieser andere Raum seine Sichtbarkeit, die ihn hält und zugleich verbirgt. Wir brauchen dieses Bild, nichts brächte uns ansonsten wieder aus dem Labyrinth des Raumes heraus, nichts beschirmte uns vor ihm, behütete uns vor ihm.

Ausstellungsansicht mit Selbstportraits von Gerald Pirner, 2023. Foto: Frank Donati

Zwei Reihen von Menschen, die in den Raum eingehen, wie in ein Bergwerk und der Blinde denkt an Fritz Langs Metropolis. Geräusche. Schritte. Stimmen und Gesang im Duett. Wände nähern sich und verschwinden wieder. Eine Treppe hinunter. Die Hand auf der Schulter des Menschen davor. Ein Schacht hinunter und Thomas Manns Brunnen der Geschichte aus der Josephs-Tetralogie von diesem Hinunter her erinnert. Aber lenkt uns hier an dieser Stelle das Wort nicht von etwas Wesenhaftem in uns ab, das uns aus unserer eigenen Tiefe zuflüstert, das unverständlich mit uns spricht, uns auf eine erschreckende Weise anspricht, uns ängstigt.

Vielleicht ist das Dunkel das, wo wir von nichts abgelenkt werden. Vielleicht ist das Dunkel das Nichts, das uns wie aus einem schwarzen Spiegel uns selbst entgegenkommen lässt. Etwas, das wir selbst sind: der Minotaurs des Eigenen, vor dem wir zurückschrecken.

Hier aber steigen wir zusammen hinunter. Ein Kollektiv steigt hinunter. Unten eine Stimme. Hier bin ich und auf der Suche nach einem anderen, der langsam von einem Blindenstock hereingeführt wird.

Stille.

Der blinde Performer in seiner schwarzen Verhüllung sagt: „Ich spüre jemanden.“ Eine Lampe blitzt auf und bescheint eine vollkommen schwarze Figur. Selbst sein Kopf und Gesicht sind noch vom Schwarz eines Stoffes verdeckt. Der Arm der Figur streckt sich langsam in Richtung der Person, die da steht, und die diese Figur, beziehungsweise ihn, der dahinter steckt, erwartet hat.

„Da bist du ja endlich.“

Die Figur beschreibt, was sie tut. Sie beleuchtet nach und nach die Person. Die Person ist eine Frau. Die Frau beschreibt, was sie fühlt, wenn sie beleuchtet wird.

Die Figur berührt sie mit dem Strahl der Maglite. Jemand aus dem Publikum beschreibt, was zu sehen ist. Die Lampe fährt den Arm der Frau hoch. Die Figur fordert die Frau auf, ihre Hand auf ihren Nabel zu legen. Die Figur beleuchtet die Frau von vorne, richtet den rechten Arm der Frau in Richtung Publikum aus und sagt: „Wir haben gemeinsam einen Raum erfahren.“

Die Frau sagt, „ihr seid der Raum“, nachdem ihr die Figur den rechten Arm Richtung Publikum ausgestreckt hat.

Die Figur schaltet die Lampe aus und geht langsam zu Boden. Die Figur folgt kriechend der Frau, die hinausgeht wobei die Frau unentwegt sagt, „ich bin hier, ich bin hier, ich bin hier.“ Die Figur kriecht auf dem Boden der Frau hinterher.

Zurück bleibt die Projektion des so entstandenen Fotos von Nadia Schwienbacher mit dem ausgestreckten Arm.

Ausstellungsansicht mit Selbstportraits von Gerald Pirner, 2023. Foto: Frank Donati

Die Ausstellung Benny Sven und die Künstlermenschen im Bunker 23 in Tartsch/Tarces (Italien) ist noch bis Mitte Oktober zu sehen.

https://www.bunker23.it/