Dialogisches Fotografieren performt
Eine Performance des blinden Fotografen Gerald Pirner und der sehenden Fotografin Sonia Klausen anlässlich ihrer Ausstellung im Schaukasten des U-Bahnhofes Kleistpark in Berlin
Fotografieren ist für einen Blinden zu allererst ein Dialog.
In Zeiten von Corona gab es keinen leibhaftigen Dialog mehr zwischen mir und meinem Modell, der Fotografin Sonia Klausen, was uns dazu brachte, einen körperlosen Dialog erfinden zu müssen. Wir begannen uns Bilder als Dialog, als Gespräch, als gegenseitig angelegte Fragen und Antworten zu schicken.
Wir übernahmen die Isolation als Aufforderung zu Selbstporträts in welchem der eine die andere dem anderen, der anderen antwortete.
Eingebunden waren dabei von vorneherein Bildbeschreibungen von Sonia Klausen Fotografin wie meiner Arbeitsassistentin Heidi Prenner als auch meine Bildkonzepte. Letztere sind zentraler Teil meiner blinden Ästhetik
Die Fotografin und der Fotograf betreten den Schaukasten als Performerin und Performer und stellen sich einander gegenüber auf. Die Performerin beginnt sich der Scheibe entlang zu bewegen und nimmt eine Position ein. Ihre rechte Hand ist über dem Kopf platziert. Die Beine sind überkreuz und die linke Sohle weist zum Ausgang hin.
Der blinde Performer bemerkt, dass die Bewegungen der anderen zum Stillstand gekommen sind. Er beginnt nun seinerseits sich entlang der Scheibe in Richtung seines Gegenübers zu bewegen.
Er trifft auf die Finger der anderen. Wie einer Aufforderung folgt er ihrer Hand, ihrem Arm. Ertastet sich den ganzen Körper der Performerin und entdeckt ihre Körperhaltung und deren Form.
Er geht zurück zur Hand und den Fingern. Er erkennt ihre Form als Kuhle und beginnt sich in sie hineinzubewegen, sich in sie hineinzudrehen; eine reale wie imaginäre Bewegung.
Sie spürt, dass er ihre Position eingenommen hat und löst sich von ihm. Sie steht neben ihm und beobachtet, wie er langsam die Arme ausbreitet und nach unten auf die Knie sinkt. Er verweilt eine Weile auf seinen Knieen. Er lässt einen Zwischenraum zwischen seinem Körper und dem Glas. Eine leichte, fast unsichtbare Bewegung und sie schlüpft unter seinen Armen hindurch und übernimmt nun wiederum seine Pose.
Er steht auf und erhört wie sie ihre Arme ausbreitet. Sie verharrt in dieser Position.
Von hinten tritt er an sie heran, greift ihr unter die Achseln und hebt sie hoch. Er beginnt sie zu bewegen wie eine Marionette. Es entsteht ein Tanz. Gemeinsam tanzen sie aus dem Schaukasten hinaus.