Die Haut und was unter dem Bild ist
Florentina Holzingers Tanz in den Sophiensaelen in Berlin
Über Early Boarding in aller Ruhe in den Saal und ganz nach vorn. Die Tänzerinnen sind schon auf der Bühne und einige wärmen sich auf, der Ton, mit dem der Abend später begonnen werden wird, ist als Einstimmung bereits zu hören.
Die Szenen werden einem Blinden beschrieben, einem Blinden, der die Szenerie mit den ihm verbliebenen Sinnen verfolgt. Im Verlauf der Performance, die etwas über zwei Stunden dauern wird, wird er das beschriebene Bild sich von der Welt lösen sehen, wird er die zu sehende Welt und die sich in ihr bewegenden Frauen sich von ihrem Bild durch Gehörtes hindurch emanzipieren „sehen“.
Aber was heißt das, könnte es sein, dass dieses Stück Tanz zur Emanzipation der fotografierten Frauen von ihrem Bild beiträgt, oder ist die für den Blinden bildlose Nacktheit, auf die immer wieder innerhalb des Stückes von der Dozentin hingewiesen wird, für den Blinden hörbar präsent gehalten wird, nur ein willkommener erotischer Abend mit dauernd sichtbarem weiblichem Fleisch.
In einer Audiodeskription wird dem Blinden von Marie Fuß die Szenerie beschreibend ins Ohr geflüstert. Nicht nur das Geschehen erfährt der Blinde so, er erfährt auch etwas, was er nach strenger Orthodoxie der Audiodeskription gar nicht erfahren dürfte, er erfährt von den Gefühlen, den Emotionen der Frau, die ihm an diesem Abend das Stück beschreibt und der ganze Verlauf, das sei hier bereits vorweggenommen, wird sie sehr stark aufwühlen, gerade weil sie das Stück vorher nicht kannte, sie ihre Emotionen ganz unmittelbar in die Audiodeskription einfließen lassen musste.
Der Blinde, dem das Bild, die Inszenierung beschrieben wird, erfährt also das beschriebene Szenenbild wie das Bild der Emotionen der Beschreibenden, hört, spürt, fühlt die Aufführung und ihre Wirkung , die sie in einer Sehenden auslöst. Nimmt die ganz unmittelbaren Stimmungen der Rezipientin auf, ihre Amüsiertheit wie ihr Entsetzen. Vielleicht gehört aber gerade bei Florentina Holzinger das zum Tanzstück dazu, die Erfahrung des Unerträglichen und wie ein Publikum darauf reagiert.
Die vermittelnde Audiodeskription verliert so all ihre Objektivität. Ungewollt nimmt die Stimme der Audiodeskriptorin eine Stimmung an, zu der sie die Aufführung zwingt. Durch das Entsetzen zur Emotion gezwungen, zur Subjektivität, die aus ihr herausbricht, gewinnt das Beschriebene im Hörenden ein ganz körperliches Gewicht, das in seiner Unmittelbarkeit direkter zu ihm, dem Blinden spricht, als jede vermeintlich objektive Bildbeschreibung dies vermögen würde.
Weil der blinde Autor dieser Zeilen von vorneherein über das Stück, den ganzen Abend in den Sophiensaelen schreiben wollte, nahm er den Abend auf und tat das mit einem Kunstkopfmikrophon, das aus zwei separaten Mikrophonen besteht, die in jeweils ein Ohr geschoben werden. In einem Ohr wird das eigentliche Stück aufgenommen, im anderen die von Marie Fuß eingeflüsterten Audiodeskriptionen.
Aber nun zum eigentlichen Abend.
Ein Summen, unklar ob es aus Lautsprechern kommt oder von den Tänzerinnen, die auf dem Boden sitzen, die in dieses Summen hinein geifern, lautstark lechzen und fauchen, ein gutturales Fauchen von Katzen, die einander zu vertreiben suchen und doch zu einander wollen. Schreie, einer unklaren Begierde nachgebend, ihr in Schreien Ausdruck verleihend. Das Summen fächert sich in Skalen auf, nimmt eine Art Clusterklang an, das an György Ligetis Atmosphères erinnert, das die Raumfahrt in Stanley Kubricks 2001:Odyssee im Weltraum begleitet, nur dass die Stimmen nun hörbar von den Tänzerinnen kommen, mit Schreien und Stöhnen gemischt. Die jungen Tänzerinnen setzen sich mehr und mehr von einer achtzig Jahre alten Dozentin ab, die neben sich einen Haufen undefinierbares Zeug liegen hat. Später wird sie noch mehr dieser wurstartigen Masse aus ihrem Unterleib herausziehen, die sie stolz und trotzig ihren Schülerinnen präsentieren wird, eine Masse, die wohl an Gedärme erinnern soll.
Fleisch muss gesehen werden, von der nackten Ballettlehrerin eingefordert, deren nackte Lust auf Mädchen als „obskures Objekt der Begierde“ mit der Disziplinierung der nackten Mädchenkörper zusammenzufallen scheint.
Alle erheben sich, der Dozentin wird aufgeholfen und sie eröffnet ihnen, dass sie sie heute die Beherrschung ihres Körpers lehren wolle und all dies unter beschwingter Musik, die an eine Varieté-Show erinnert. Ballettstangen werden aufgestellt, eine Tänzerin nackt und allein angetan mit langen schwarzen Stiefeln, erklimmt einen mauerartigen Paravent, von dem aus sie Cornflakes herabkippt, um danach herunterzuspringen und einen Staubsauger zu holen und sie einzusaugen. Schließlich saugt sie auf allen Vieren die ganze Bühne ab, immer wieder mit breitem Mund und schwarz gemalten Zahnlücken boshaft in das Publikum grinsend. Zwei Tänzerinnen schminken sich, wieder andere lockern sich die Beinmuskeln durch Klatschen und werden aufgefordert zu den Stangen zu gehen und konzentriert mit zwei Händen auf ihnen den Körper Schritt um Schritt in diversen Ballettpositionen durchzudeklinieren.
In der Bildbeschreibung fällt die Erzählung gleichsam aus dem Bild heraus, verliert in ihrer Körperlichkeit den Kontext, der sie hält, weil sie zu schwer für das Bild wird, das die Erzählung nicht mehr halten kann.
Eine Spürbarkeit von Wort und Bild als Laboratorium des Tanzes, die an diesem Abend die Grenzen von Bild und seiner sprachlichen Ausdrückbarkeit austesten sollte.
Florentina Holzingers Tanz durchbricht allen automatisch sich einstellenden Zusammenhang der Register der Sinne untereinander, lässt im Gespürten seine Benennung nicht mehr automatisch sich im blinden inneren Bild einstellen. Das Gesehene in seiner Fleischlichkeit reißt die Beschreibung mit sich, lässt den Blick aber auch nicht mehr vom Geschehen los, wenn das Gesehene wieder von den Sehenden loskommen soll, oder wenn die Sehenden das Gesehene wieder loswerden wollen.
Das Unerhörte als das bislang unmittelbar Nichtgesehene, die Nacktheit, die die Frage ihrer Steigerung stellt: vielleicht ist Pornografie die infantil blöde Frage, was hinter dem Fleisch stattfindet, was unter der Haut denn so passiert, die Frage, inwieweit die Gefräßigkeit der Augen befriedigt werden kann und dass diese Fragen hier von einem Blinden gestellt werden bedeutet nicht, dass er und seine Bilder unschuldiger sind als die der Sehenden. Um eine andere Art von Bildern handelt es sich dabei freilich, Bilder, die aber nicht minder gewalttätig ihr Wesen und Unwesen in seinem Inneren treiben dürften.
Am nackten Körper der Frauen, deren bildloses Bild für ihn sich allein in Beschreibungen zurückgezogen hat, spürt der Blinde einen musternden Blick, der ihn an die Blicke auf der Straße erinnert, wenn Vorübergehende ihm mit ihrem Geglotze ins Gesicht grabschen, weil er nicht über einen Blick verfügt, der sie daran hinderte.
Frauen setzen sich hier den Blicken aus und wie viele Männer aus diesem Grund im Saal sitzen, der Blinde will nicht darüber spekulieren. Der Philosoph Gerd Mattenklott schrieb einst einen Aufsatz über das gefräßige Auge, das sich alles uneingeschränkt einverleibt. Florentina Holzinger geht dem nach, lässt die Fleischerhaken eines Schlachters zum Einsatz kommen, um eine Frau daran aufzuhängen, wie man ein Tier aufhängt, um es ausbluten zu lassen.
Der Blick, der bemächtigt, der genießt, der demütigt, der verdinglicht und vor allem da, wo er nicht erwidert wird, wo Mensch sich nicht wehrt oder vor dem Blick sich nicht wehren kann.
Aber ist das an diesem Abend tatsächlich so, setzen sich da nicht Frauen bewusst den Blicken aus und natürlich nicht nur denen von Männern, ist es aber nicht vor allem der Blick des vermeintlichen Objektes, der da auf eine ganz klandestine Weise zurückblickt, Was wir sehen schaut uns an, formulierte es der französische Kulturwissenschaftler Georges Didi-Huberman einmal.
Nach Florentina Holzingers Tanz ist für den blinden Autor kein Theater, kein Tanz mehr so wie früher zu sehen, wie sie früher gesehen wurden zu sehen. Das „Sehen“ stellt das Stück gänzlich in Frage oder hinterfragt es vielmehr, differenziert es in Sehen, Schauen und Glotzen. Ein ganz anderer Sinn wird in seiner Doppeldeutigkeit aufgerufen, die Berührung, abgesetzt vom Grabschen aber angereichert durch das Berührtsein, das den Äußerungen des Publikums deutlich anzuhören war. Der Blinde hörte Stöhnen in einer Art Schmerz, Marie Fuß drehte sich um und sah die weit aufgerissenen Augen, als die Frau an den Fleischerhaken hing.
Das Wort legt sich im Bild über das Fleisch, legt sich über die Wunde und ist mit dem Bild der erste Schritt eines Heilungsprozesses.
Das Wort ist aber auch der erste Versuch, die Wunde, die das Bild selbst schlägt in seiner Benennung zu heilen. Andererseits verletzt auch das Wort und das mit ihm geführte Bild, das von ihm hervorgerufene Bild vertieft die Wunde noch mehr. Kein Wort ohne Bild und kein Bild ohne Wort.
Die gespürte Unerträglichkeit, die das Erzählte in der Erzählung dabei beobachtet, wie sie sich auf die Unerträglichkeit vorbereitet, das Publikum auf die Rolle der Komplizenschaft einschwört, dieses „Ihr wusstet das doch alle, habt bei seiner Vorbereitung zugesehen, habt zugesehen, wie die Fleischerhaken bereitgelegt wurden.“
Ein Aspekt der Performance ist, dem Theaterblut das Theatrale zu nehmen, es real erscheinen zu lassen und nur hieraus erklären sich die Ohnmachtsanfälle des Publikums, die das Gesehene für wahr nehmen. Die weitestgehende Form der Wirklichkeitswerdung wird in Momenten des Schmerzes demonstriert, da wo es richtig weh tut, wo der Schmerz überspringt auf den sehenden Körper und der/die im Empfinden das Gesehene selbst empfindet, wo er/sie von ihm berührt wird.
Die Performance ist also in der Zwickmühle zwischen einerseits Wirklichkeit und andererseits Theaterblut, oder anders formuliert: ist dieser Schmerz wirkliche Wirklichkeit oder muss ich ihn nicht ernst nehmen, weil ich im Theater sitze.
Das Ende der Audiodeskription
Im Beschreiben löst sich das beschriebene Bild vom Geschehen, das in der Emotion der Beschreibenden einen Zwischenraum in der Stimme für den Hörenden auftut, der immer durch ein Schlucken, ein erschrecktes Zwischenatmen vom Erzählten getrennt ist und doch gerade in diesem Zwischenraum sich die Lebendigkeit der Beschreibenden sich sammeln lässt. Dieser Zwischenraum verabschiedet alle Objektivität, wäre sie doch allzu leicht mit dem zu Sehenden zu verwechseln, wo hier gerade das Objekt als ein von den Augen zu Genießendes zu sehen wäre, von ihnen zu fressen wäre und die Fressenden sollten aufpassen, dass sie dabei nicht einen Fleischerhaken verschlucken.
Keine Moral also wäre hier dem Männerblick von außen als Verteidigungslinie entgegenzustellen, da das Tanzstück in sich einige Selbstverteidigungslinien eingebaut hat und Moralverteidigungen gar nicht nötig hat.
Dennoch: die Audiodeskription kann nicht mehr objektiv sein, angesichts dieses Stückes gibt es keine Objektivität mehr. Die Audiodeskription verfällt ihrem eigenen Menschsein, erlebt eine Nähe, von der aus sie beschreibt und ihre eigenen Empfindungen nicht mehr aus der Beschreibung heraushalten kann. Die eigene Betroffenheit, der von der Bildbeschreiberin erfahrene Schmerz und das Erschrecken vor ihm, von dem sie nicht absehen kann, von dem sie sich nicht abwenden kann, ohne dass sie ihre Beschreibung unterbrechen würde. Der Zwang zur Beschreibung, der Zwang zum Erkennen, wie der Zwang zum Bild, die Aufgabe des Wortes, das aufgegebene Wort, der Auftrag des Gehirns an Wort und Bild.
Das Bild findet keine Ausflüchte mehr in andere Bilder, kommt vom Bild als Behauptung nicht mehr von sich los. Das Bild trennt sich aber auch von den Worten, Erklärungsketten halten sich nicht mehr an ihm fest, das Bild lässt einfach nicht mehr von sich los und im Blinden reißt es sich in eine Innenhaut als Gravur, die immer wieder mitschwingt, die sich selbst immer wieder mitliest, ohne dass es andere Innensichten zuließe. Das Bild suspendiert seine Beschreibung indem es seine eigenen Erklärungsbilder wird, deren Herkunft klar zu Tage tritt und nicht weiter oder weg vom Bild führt, von diesen Bildern wegführt. Es gibt keinen Ausweg aus der Körperlichkeit des Schmerzes, viel zu tief gräbt das Gesehene sich ins Fleisch. Das Bild der Florentina Holzinger löst in seiner Beschreibung keine weiteren inneren Bilder aus, wie ein schwarzes Loch hält es alle weiteren Bilder, die sich mit ihm beschäftigen, bei sich: das Bild des Schmerzes wird so schwer, dass das Wort gar nicht mehr an ihm halten will.
Haut und vorgeführtes Bild
Die Aufforderung der Dozentin an die Tänzerinnen nackt zu sein, die Darbietung der Wirkungen der Dressur sehen zu müssen, das Spiel der Muskeln, den Effekt der Muskelanspannung auf Kommando, das Publikum wird zum Zeugen und zum voyeuristischen Täter, übernimmt die Zeugenschaft für die Dressur, die Disziplinierung. Der nackte Frauenkörper, der hier vor den Augen des Publikums abgerichtet wird, in der Institution des Tanzes, vor einem Publikum für das das alles geschieht, eine Anatomie der Disziplin am lebendigen Frauenkörper. Reminiszenzen, Zitate, Ballettgeschichte und Ballettgeschichten als Aufweis einer seit Unzeiten vollzogenen Praxis, als Beweismaterial für die Erstellung eines Bildes durch Disziplin, das zugleich das Bild der Disziplinierung als Genealogie von Schönheit ergibt.
Der Dialog mit den Anweisungen an den Maestro, von dem der Blinde zunächst glaubt, er sei nicht imaginär, da auf die Anweisungen immer so brav geantwortet wird, die Selbstreferenzialität der disziplinierenden Kommandos, die aber auch als Lustgewinn einer Domina erscheinen, in ihren späteren Ergüssen über den Orgasmus und das ganz wörtlich genommen.
Zwei Tänzerinnen kommen mit Eimern mit Wasser gefüllt, kämmen sich vor den Eimern die Haare, um sie in ihnen zu waschen. In einem Schaukelstuhl schminkt sich eine andere. Wieder eine andere sitzt auf einem Motorrad, das auf Seilen über der Bühne hängt.
Auf großen Bildschirmen ist die Nummer und das Motto der jeweiligen Lektion zu lesen, etwa: Lesson one: how to be where you are.
Eine Tänzerin mit einer Kamera wird gerufen, die die anderen Tänzerinnen bei der Arbeit filmt, was sogleich auf den Bildschirmen in Vollbild übertragen wird. Die ehemalige Primaballerina als Dozentin sinniert über das Verhältnis und die Beziehung von Kopf, Körper und Raum. Aufmerksam folgen die Tänzerinnen ihren Ausführungen, während dessen die späteren brachialen Aktionen bereits vorbereitet werden: eine flechtet sich den Ring in ihre langen Haare, an welchem sie später in die Luft gezogen werden wird, um in der Luft an den Haaren im Raum herumgedreht zu werden.
„Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, aber es sieht gut aus“, so die Dozentin.
„Ihr habt die Sonne zu sein und müsst sie zugleich gebrauchen.“
Die Tänzerin mit den schwarzen Zähnen startet den Staubsauger wie ein Motorrad, flucht als er nicht sofort anspringt, rauscht dann über die Bühne und kotzt der ersten Publikumsreihe vor die Füße. Während eine Schlagerdiskonummer eingespielt wird und die Kotze vor sich sauer hinzustinken beginnt, fordert die Dozentin die Tänzerinnen auf: „Let’s come back and do the big poses.“ Sie steigert sich in die wunderschönen Formen so sehr hinein, dass sie dabei einen Orgasmus bekommt und einen solchen bei ihren Tänzerinnen ebenso zu spüren glaubt.
Mit einem aufgespannten Regenschirm startet die Tänzerin mit den aufgemalten Zahnlücken erneut als moderne Hexe mit Staubsauger eine Mary Poppins-Nummer, die mit einem Crash endet und die Hexe blutüberströmt und dem ruinierten Regenschirm auf die Bühne zurückkommt und von der Dozentin mit einem „Be careful“ begrüßt wird.
Nach einem Hohen Lied auf eine „junge unschuldige Vagina“ die von der Dozentin inspiziert wird, während die Kamera das Gesicht der Frau filmt, verbeißt sich die Dozentin im Schenkel der Hexe und ihre Stimme gerät dabei in einen Höllensound und sie fordert die Tänzerinnen auf, ihr „die jungen Ratten zu machen“ und alle Tänzerinnen wieseln und piepsen auf dem Boden als Ratten herum.
Die Dozentin legt sich auf den Boden und die Tänzerinnen gehen mit gespreizten Schenkeln über ihr Gesicht, um sich von unten beschauen zu lassen und es folgt eine Lehrstunde über Orgasmus und Selbstbefriedigung. Komikartig wird Vogelgezwitscher eingespielt, wenn eine Tänzerin gegen einen Gegenstand rennt. Der Fluch der Hexe gegen eine Tänzerin zu schrumpfen und in den Uterus zurückzugehen, wird mittels eines Schrankes verwirklicht, ein schreiendes Baby bleibt in Gestalt einer Puppe mit Babygeschrei zurück und wird in kochendes Wasser in einen Hexenkessel geworfen.
Die Trainings gehen weiter und immer wieder die Aufforderung, die Tänzerinnen sollten etwas der Dozentin zuliebe tun und es würde sie noch schöner machen, alles im Walzertakt und noch als vier Seile herunterfliegen, mit denen gearbeitet wird wie mit den Stangen und zwei Tänzerinnen sich bis kurz über den Boden ziehen. Die Frau an der Stange fegt während ihrer Körperarbeit den Boden und die Musik verlangsamt sich ins Psychedelische irgendwo zwischen Mahler und Tschaikowsky, etwas Drohendes dabei einnehmend.
Zwei Tänzerinnen haben Karabiner an ihren ins Haar geflochtenen Metallreifen befestigt und werden nach oben gezogen. Eine andere hat das in der Luft schwebende Motorrad erklommen und wird mit einer der beiden durch den Metallreif an ihren Haaren verbunden, so dass beide an ihren Haaren hängend in der Luft schweben, die eine auf dem Fahrzeug sitzend, die andere an den Haaren an ihr hängend. Die Musik verlangsamt die Szenerie an das Adagio aus der Fünften von Mahler erinnernd, auf das die Dozentin mit einer Stimme singt, die wiederum an Nico von The Velvet Underground denken lässt, das Psychedelische die Stimmung an Drahtseilakte heranführend, das Zirkushafte der Szenerie unterstreichend
Alle seilen sich ab und die dritte Lektion beginnt: How to leave the Floor
Schnitt. Schluss mit klassischem Ballett. Es geht in den Zauberwald mit Feen und Hexen und es wird drastischer und blutiger. Tänzerinnen, die über Jahre ihren Körper beobachtet haben beobachten nun ein Publikum, das diese Zurichtung beobachten soll. Es wird tatsächlich immer heftiger und die Hexe reibt sich dabei schon mal die Hände. Eine Ansprache, trennt die beiden Teile der Performance voneinander, wird mit einer Zaubertombola und Publikumsbelustigung unterstrichen und führt hinüber zum Auftritt eines Wolfes und der Öffnung der Waldkulisse für den zweiten Teil. Die Musik führt mit einer Art Verbindung aus Dies irae und Schwanensee in die entsprechende Stimmung. Nach kurzer Leichtigkeit folgt eine anbetende Niederwerfung vor der Dozentin und dem Wolf, dem mit Geheul gehuldigt wird. Die Musik wechselt ins Unheimliche und die Hexe flüchtet ängstlich.
Eine andere Hexe schiebt den Stuhl nach vorne, die Beine werden der Dozentin gespreizt und mit Blut bespritzt, ein Geburtsvorgang wird eingeleitet und die Dozentin gebiert, unter langsamem Rap, eine Gummiratte. Im Play-Backstil singt die Dozentin den Rap mit und wird dabei vom Wolf gefilmt. Die Tänzerinnen reiten aufeinander, die einen in Brückenpose, die anderen wie Vögel auf ihnen sitzend.
Die ursprüngliche Hexe kommt zurück, schlägt mit einem Handtuch auf den Boden, nachdem sie die teilnahmslose Dozentin gesäubert hat.
Come sweet death
Der Tod in Gestalt von vier Gespenstern, an Woody Allens Die letzte Nacht des Boris Gruschenko erinnernd. Während eines von einem Gespenst dirigierten A-cappella-Bach-Chorals, Komm süßer Tod, schleudern sich Tänzerinnen gegen die Wand. Ein unaufhörliches Wecker-Ticken nebst immer wieder ertönender Totenglocke.
Imaginäre Schläge der Tänzerinnen gegeneinander bei Rückkoppelungsgeräuschen aus Geigenbögen vom Motorrad her, Ineinanderfallen der Akteurinnen hin zur totalen Verknotung einer von ihnen, die mit Blut bespritzt wird.
In der Zwischenzeit wird eine Tänzerin von einer anderen präpariert, ihr werden Fleischerhaken in die Rückenhaut gestoßen, und Florentina Holzinger nimmt dabei Anleihen beim Remake des Horrorfilms Suspiria, wo der Körper einer Tänzerin mit Fleischerhaken aus der Szene getragen wird. Die Präparatorin steppt nach getaner Arbeit zu King Crimsons Moonchild in roten Ballettschuhen.
Dann wird die Tänzerin mit den Fleischerhaken im Rücken hochgezogen, was auch an eine Galgenszenerie erinnert, vollkommene Stille im Publikum, entsetzte Gesichter, die ersten aus dem Publikum verlassen die Vorstellung, einige aber starren wie gebannt auf die Hochgezogene, die weich unter Walzerklängen eineinhalb Meter über dem Boden hin und her schaukelt. Die anderen Tänzerinnen unter dieser tanzen in klassischen Posen, während die Musik erneut ins Psychedelische verschwimmt und schließlich einen elektronischen Klangraum von zerkratzten Sphärenklängen einnimmt, etwas wie eine hängengebliebene Sirene.
Kampfszenen von drei Frauen, die Gesten im Stil von Moving without touching vollziehen: Schläge werden gemacht und allein bereits die Energie dieser Schläge trifft, verursacht Schmerzen wie Schmerzensschreie bei der imaginär Getroffenen. Alles endet in Resten sinnentleerter Ballettposen, die drastische Körperverknotungen nach sich ziehen und eine Tänzerin blutbespritzt zurücklassen, auch hier nimmt Florentina Holzinger bei Suspiria Anleihen, wo durch Energien, die ohne Berührung stattfinden, renitente Tänzerinnen gefoltert werden. Bei Tanz mündet die Szenerie in harmonischem A-cappella-Gesang.
Die Bewegungen der Tänzerinnen werden immer verkrampfter. Ein tiefes rhythmisches Wummern überspielt von den Klängen einer Spieluhr. Die an den Haken Hängende übernimmt einen Besen und reitet auf ihm.
Der letzte Showdown: ein markzerreißender Schrei und Brachialtechno setzt ein, eine Piñata, eine Stoffbonbontüte wird heruntergelassen und auf sie eingedroschen und sie verliert dabei ihren süßen Inhalt, während die Tänzerin noch an den Haken oben hängt. Das akustische Ambiente wogt wie unter Wasser und lässt die Mundharmonika von Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod sich Raum nehmen. Die heruntergelassene Tänzerin raucht eine Zigarette und betrachtet die Szene.
Unter der Melancholie von Ennio Morricones Filmmusik kehrt der Wolf zurück, wird von der Hexe attackiert aber von einer anderen auch verteidigt. Schlägerei zwischen beiden und beide werden von einem blutspritzenden Maschinengewehr beschossen. Die Hexe sägt einer Tänzerin einen Arm ab und leckt ihn. Der Wolf reißt einer anderen ein Plastikbein ab und frisst es, bevor er von dem blutspritzenden Maschinengewehr angeschossen wird. Eine Tänzerin knallt sich selbst gegen die Wand und die gesamte Szenerie vollzieht sich unter permanenten Geschrei und monströsem Elektronikgebrüll. Ein Stahlspieß wird hereingebracht durch den der Wolf gepfählt wird. Die Hexe, auf der Mauer sitzend, betrachtet das Geschehen. Taucht dann wieder unten auf der Bühne auf und verabschiedet sich unter anderem auf Englisch Italienisch und einem breitem österreichischem Dialekt.
An ihre Mutter gewandt entschuldigt sie sich dafür, dass sie Hexe war und verspricht nie wieder Hexe sein zu wollen. The heaven is crying because of me und das Stück beginnt wieder von vorne und wie am Anfang: die Mädchen sollen aber erst einmal den Müll rausräumen, bis die Dozentin schließlich sagt, es sei Schluss, weil das Publikum applaudieren wolle.
Auf der Suche nach den Zusammenhängen von weiblichem Körper und disziplinierender Macht des Blickes, aber vor allem Widerständigkeit von Frauen gegen eine Unterwerfung des Frauenkörpers unter das Bild von ihm, findet Florentina Holzinger drastische Bilder und Metaphern über Disziplin und Zurichtung, ja geradezu Dressur in der Ballettausbildung, die, wie im Film Suspiria von Frauen bestimmt werden, die ihr Leben aus der Lebendigkeit der Schülerinnen ziehen. Während die alten Lehrerinnen ihre Kraft dort aus ihrer magischen Hexenmacht schöpfen, ist es in der dargestellten Ballettpraxis der charismatische Nimbus einer Lehrerin, der sich von geradezu erotisch aufgeladener Disziplinierung der Schülerinnen nährt, das Magische insofern aber realisiert, als die jugendliche Tänzerin irgendwann die Lehre der Lehrerin selbst wird und dies in einem Akt der charismatischen Übernahme als realer Verkörperung, als Inkarnation des Geistes der Dressur, als dessen Wiederkehr lebt.