Traumräume in Glas
Das Mosaik auf der Fassade der Brotfabrik in Berlin Weißensee
Am Anfang war die Idee und die Idee will konkretes Bild werden. Wunsch, Sehnsucht, erfülltes Leben. Die Verfestigung eines Gedankens, einer Gedankenfolge in einem Symbol, vielleicht einer Bildmetapher. Das Surreale eines Bildes in seiner unabsehbaren Konsequenz: da radelt eine rote Ente in Richtung Meer und vielleicht nicht nur um den festen Boden schneller zu überwinden, vielleicht um den Grund des Meeres gleich auch mit zu durchfahren: Die erste Atlantikdurchradlung?
Dann war da das Material und die Buntheit seiner Steine. Elemente nehmen, sie sammeln, um aus ihnen ein Bild, einen Inhalt zu formen. Imagination und Utopie, ein Ort, den es vielleicht nie gibt und der gerade deshalb einen Platz braucht, um von seinem Fehlen zu sprechen.
Was ist ein Stein. Was ist Glas. Was ein Stein aus Glas. Der Stein und seine Seiten, seine Fugen. Der Stein wird da spürbar, wo er seinem Kontext entrissen ist und wo er diesen wiedergibt. Wo er in ihn eingepasst ist, verschwinden die meisten seiner Seiten. Damit verweist er von sich einerseits weg und hin auf das Ganze eines Uns. Andererseits: natürlich liegt nur er in der Hand, ist er nur als einzelnes Element spürbar, fühlbar und von jede*r anders zu erfahren. Der Glasstein wird zu einem Teil eines Gesamtzusammenhanges, erhält eine Perspektive, bringt eine solche mithervor. Der Stein herausgelöst wird Spur eines Weges, dem er fehlt und dadurch von sich sprechen lässt. Dennoch zeugt er von Tragfähigkeit, trägt den Weg in sich, erträgt ihn, ist aber unabgeschlossen, sucht das Bild als Ganzes dem er fehlt, will weiter, sucht seinen Zusammenhang, um über ihn noch hinauszugehen, hinauszukommen.
Der Ort die Straße das Haus
Die Mauern eines Gebäudes, in welchem ganz anderes Leben ermöglicht wird, aber was sagen davon schon Mauern, etwas, das nur erfahren werden kann, wenn man sich auf sein Innenleben einlässt, die Mauern überwindet, den Raum dahinter betritt. Was im Innen da aber so geschieht, davon kündet seit 18.10.2019 ein Mosaik an der Außenfassade der Brotfabrik mit dem Namen „Zurück ins Leben!“, das vom Europäischen Sozialfond unterstützt wird.
Was aber ist ein Mosaik, wenn man seine hervorstechende Eigenschaft, ein Gesamtbild aus kleinen Steinen bestehend, einmal weiterdenkt, daran andere Blickrichtungen einbeziehend? Das Mosaik ist ein Bild, das man nur sieht, wenn man seine Einzelteile erst einmal übersieht, um dann auf diese kleinen Teile wieder zurück zu kommen. Ein Bild aus der Fernsicht, ein Übersehen dessen, woraus es besteht,. Erst im Blick aus der Ferne ergibt sich seine eigentliche Gestalt. Eine Zusammensetzung kleiner Steine zu einem Gesamt. Damit ist das Mosaik ein Bild, eine Metapher der Beziehung der Menschen zu ihrer Welt, die sie einerseits bilden, die sie aber erst dann wahrnehmen, wenn sie zurücktreten, wenn sie aus der Distanz heraus nochmals draufschauen.
Was sie dann aber sehen ist nicht nur ein Übersehen der Einzelteile, sie sehen ein Bild dem sie dann ein Wort beigeben, einen Begriff davon zuordnen, etwas in ihm erkennend, was da eigentlich als Gesamt zu sehen ist. Die nun aber, die das nicht sehen, weil ihnen die Augen, der Blick dazu fehlt, das Sehen fehlt, die, die man die Blinden nennt?
Sie zwingen die Sehenden dazu, zurückzukommen um genauer hinzusehen, an die einzelnen kleinen Steine heranzutreten, um gerade sie wahrzunehmen, zu sehen und zu beschreiben, woraus sie gemacht sind und wie sie sich zusammenfinden und ergänzen, zueinander passen und eingepasst sind zu einem einheitlichen Bild, das aber immer auch anders hätte ausfallen können.
Darin unterscheidet sich ein Mosaik von einem Puzzle, das zwingend einen jeden Teil an einem ganz bestimmten Platz erfordert um ein Gesamtbild zu ergeben, das von vorneherein nur auf ein einziges Bild abzielt.
Das Mosaik, die Mosaike an der Brotfabrikfassade hingegen, von einem Aufsammeln kommen sie und zuerst steht das Aufsammeln auf dem Weg, räumlich, biografisch, historisch, ein Gespräch zwischen inneren Bildern und deren Umsetzung ins Materiale, ins Visuelle.
Ein Grundgestus ist vom ersten Blick an zu spüren, der Dialog als Prinzip, der sich in unterschiedlichen Materialien zuallererst ausdrückt, dann aber auch in der Form, in der die Materialien zueinander zu einem Gesamtkonzept eingepasst sind.
Da sind acht quadratische Mosaikbilder die auf der oberen wie unteren Seite von Bruchfliesen zusammengehalten und dessen Funktion wie Beziehung auch ausgeschrieben zu lesen ist: im oberen Bruchfliesenstreifen ist das Wort uns zu lesen im Wort Kunst, aus dem es farblich hervorsticht. Im unteren Bruchfliesenstreifen das Wort icke in Mosaike, die Berliner Formel für das Eigene, das Icke, für das Ich.
Das Uns und das Icke ist ebenso an den Unterschieden der Materialien zu spüren: dem Groben des Fliesenbruches, dem was wohl sonst weggeworfen wird und den Glassteinen, die, in Gebäuden verarbeitet, das Licht eines Außen hereinlassen ohne dem Licht zu erlauben, die Gestalt des Beschienenen einem Draußen, einer Helligkeit der Außenwelt zu verraten. Die Glassteine nehmen das Licht gleichsam wörtlich, lassen nur Licht ohne die von ihm beleuchtete Welt herein, bescheinen ein Innen, das nur Licht von Außen sieht, um sich selbst besser zu verstehen, indem dem Innen ein Bild gegeben wird, in welchem es sich selbst ausdrücken darf, die Innenwelt sich selbst verstehen lassend. Glassteine nehmen dem Licht den Dialog mit sich selbst, lassen das Licht nur hereinscheinen, lassen dem Licht nicht die Sicht auf die Welt, die es drinnen bescheint. Glassteine borgen sich beim Licht die Leuchtkraft, ohne es sehen zu lassen worauf es scheint. Glassteine haben damit von Haus aus etwas Intimes, auch etwas Zurückhaltendes, lassen die Innenwelt einfach bei sich und mit sich selbst in Frieden, erleuchtet von einem Licht, das nichts zu Gesicht bekommt, eine Innenwelt die mit sich allein kommuniziert.
Nun sind die kleinen Glassteine Träger von etwas, das dem Glas zugefügt wird, sind Träger der Farbe, damit färben sie mittels des durch sie eindringenden Lichtes den Innenraum, das Innen in eine Atmosphäre ein. Der Innenraum in der Brotfabrik, den die Mosaike bilden ist kein physikalischer Raum, nichts was mit geometrischen Mitteln beschrieben werden könnte. Der Innenraum an der Außenwand zur Straße hin ist ein imaginärer Raum, den der innere Blick erst hervorbringt. Wenn der blinde Betrachter dieser Mosaike von innen spricht so spricht er von seinen ganz eigenen Innenräumen, die von den farbigen Steinen ausgeleuchtet werden, von denen er eine Vorstellung hat, weil er einst erblindet ist, Farben also noch gesehen hat, einen Begriff von ihnen hat.
Die Glassteine erwecken im Blinden also Räume, in denen die Bilder der Mosaike, ein jedes für sich, ihre Gedankenwelt in ihm allein ausbreiten können.
Als der blinde Autor nun mit Lina Fügmann, der Projektmanagerin, im Vorraum der Brotfabrik sitzt und sie ihm einen und einen weiteren farbigen Stein in die Hand gibt, wird ihm das Blau wie das Türkis der Glassteine zu etwas ganz Weichem, weich und mild wie Samt und er wird sich später dessen zu erinnern suchen, worin das Blau, das Türkis in den Mosaikbildern auftauchte, das Gefühl seiner Berührung in die blinde Sicht der Mosaikbilder mithineinnehmend.
Die Nähe des Teils als Bruchstück als Fragment die Nähe zur Imagination, die das alles zum Ganzen denkt. Für den Blinden ist das Teil, das Fragment das zentrale Moment seiner Wahrnehmung. Was er auch immer berührt, er fühlt immer nur einen kleinen Teil, den Rest des Berührten imaginiert er, bildet er sich ein, muss er sich einbilden. Das Mosaik ist für ihn ein Modell seiner Wahrnehmung überhaupt, das kleine Teil, das seine Innenwelt und seine Räume lediglich antastet, um ihn aufzufordern, den großen Rest sich einzubilden.
Das Mosaik ist offen. Das Mosaik kommt vom Auffinden, vom Aufsammeln, kommt von der Idee, der Vorstellung als Wort, das ein Bild hervorbringt, das offen ist bis zu einer endgültigen Entscheidung, das durch das im Entstehen begriffene Bild den Prozess immer noch einmal verändern kann. Was an Material gefunden wird, bestimmt die Gestalt des Mosaiks mit. Das Puzzle aber wartet immer lediglich auf seine endgültige Fertigstellung, auf das Auffinden des nächsten klarbestimmten und notwendigen Steines. Von daher ist der kreative Prozess in der Herstellung eines Mosaikes ein offener Prozess, dessen endgültiges Bild sehr lange offen bleibt, sich bis kurz vor Vollendung noch einmal verändern kann.
Acht einzelne Bilder, vielleicht acht Träume, vielleicht Tagträume, Traumräume, Wünsche. Ein Holzrahmen drum rum als zusammenfassender Abschluss gesehen. Der Blinde fühlt die angenehm weichen Kanten des Steines, lässt die Assoziationen, die die Nennung seiner Farbe hervorruft wirken, lässt sie vom spürbaren Glanz des Materials durchdringen, lässt sie in ihm kristallen werden, durchlässig transparent und offen für andere Gedanken, die sich zusammenfinden können, um zusammen zu wirken.
Ein jedes Bild wie ein Geheimnis, das aus sich heraus den Menschen bei sich zusammenhält, ihn ausspricht. Sehnsucht drückt es aus, Liebe, Wunsch, Wille zur Veränderung und noch da, wo sie scheinbar gar nicht möglich ist. Das Fahrrad derjenigen, die nie Fahrrad wird fahren können; der Salamander als Wesen der Regeneration, als Tarotkarte, Zeichen der Wiedergeburt und Wesen, dem alle Glieder nachwachsen, Wunsch einer Frau; die Sonnenblume eines Mannes, wenn er eine Sonnenblume sieht strahlt er, strahlen sollen auch andere Menschen können. Ästhetik als Prinzip der Ansteckung.
Die Steine auf einem Netz befestigt, das dann verfugt wird und auf eine Zementplatte eingefasst, umgeben von einem Holzrahmen, der vor Wind und Wetter schützen soll. Maße: 250 x 90 Zentimeter.
Die Bruchfließenstreifen weiß mit Einsprengseln in grün orange blau gelb rot das Ganze also nur scheinbarer Ausschuss. Dem gegenüber die Glassteine, Transparenz und Durchlässigkeit, dennoch aber Haltbarkeit und Tragfähigkeit, hier der Farbe, etwas worauf Farbe beständig bauen kann.
Lina Fügmann: „Einheit gibt’s nicht, es gibt immer Unterschiede. Ganz bunt gemischt, wie Farbkleckse auf einer Wiese.“
Im Oberen Teil des Frieses eingebaut und herauszulesen das Uns im unteren Teil Icke in Mosaike und beides nur zusammen ergeben ein Gesamtbild, ergeben individuell Einzelnes, das das Uns rahmt und festigt.
Links Regeneration, die Eidechse auf türkisfarbenem Grund, die sich von links unten nach rechts oben schlängelt. Weiß lila beige gelb grün mit einem bernsteinfarbenem Auge, das an einen Schlussstein erinnert, der alles zusammenhält wie der Salamander im Tarot auch den König stützt und zugleich zwischen der oberen Welt und der unteren Welt angesiedelt ist.
Der Apfel, als Reminiszenz an die Appel Records und damit an die Beatles, „ist sehr geometrisch und stellt sich durch seine einfachen Farben und seine Steinanordnung sehr grafisch dar.“ Grafisch eben nicht reliefartig wie ein anderes der Quadrate, dem Blindenhund, bei dem Wert auf die Haptik gelegt wurde. Der rote Apfel füllt das ganze Bildfeld aus, der allerdings keinen Anbiss zeigt und damit auch verrät, dass er Olafs Apfel ist, die Unversehrtheit des ehemaligen Musikers, für den der Biss wohl nur den Aufnahmen der Beatles gelungen ist. Das Plattenlabel gibt es nur für den Biss der Beatles, ohne sie, die die Abbey Road erst lebendig machten, gibt es nur den Geschmack eines einfachen Apfels, eines Apfels vor dem lieblichen Sündenfall der Musik der Beatles, den dann der Biss im Apfel auch belegen wird.
Das Traumfahrrad in türkis und blau, fährt von links nach rechts, transportiert die unstillbare Sehnsucht, sich über ein Verbot hinwegzusetzen, es zu überfahren, und der Blinde denkt an das samtweiche Blau mitsamt dem Türkis, das er im Vorraum gespürt hatte.
Der Blindenhund, wie im Sprung auf allen Vieren hochgeschnellt, ein Tier, dem das Zeichen von außerhalb zugesprochen wurde, an der Seite mit den drei Punkten ausgewiesen, die von ihm getrennt sind und durch diese Trennung von seinem Zeichen das Tier zu einem ganz unschuldigen Tier werdend, das einfach nur Tier sein darf, das aber, von seiner Funktion befreit dennoch einen Menschen kennt, der ohne ihn als Blindenhund zu nutzen, an ihn denkt, ihn liebt. Der Blindenhund ist von haptisch besonderen kleinen Steinen gebildet, hat in der Bewegung der Berührung eine besondere Lebendigkeit, wirkt wie Fell, wirkt wie Fell in Bewegung zumindest für den blinden Berührenden, etwas, das sich dem visuellen Bild entzieht und doch ein solches natürlich auch trägt.
Die Sonnenblume, und dass sein Schöpfer jedes Mal lächeln muss, wenn er eine Sonnenblume sieht und dass er den Menschen dieses Lächeln ins Gesicht zaubern will und ohne Unterlass, das lässt ihn eine Sonnenblume aus Glassteinen schaffen. Natur und ein natürliches Gewächs, eine Blume, die einfach da ist und Grundlos erfreut, ohne dass sie einer Kosten-Nutzen-Erwägung entsprechen müsse. Sie drückt eine Art Wunschlosigkeit aus, etwas Unschuldiges, das sich vermitteln möchte. Das Weiche entdeckt der Blinde natürlich auch im Gelb der Steine und fühlt Kategorien und Eigenschaften im Bild in Frage gestellt, Zuordnungen wie Härte und Schärfe im ertasteten Bild aufgehoben.
Die rote Ente, die auf dem Fahrrad ins Meer hinein radelt, die nicht stoppt, wenn das Wasser kommt. In der Weichheit ihrer Steine erhält die Ente etwas Unbeirrbares, etwas viel Konsequenteres, als wären die Steine in ihrer Härte zu spüren.
Das schwebende Brot über dem Kornfeld, Kultur und Natur ausdrückend. Zugleich aber die Illusion einer immer währenden Verfügbarkeit, die in Zeiten der Klimakatastrophen und des Klimawandels noch mehr in Frage gestellt ist denn je. Daher auch der surreale Moment des fliegenden Brotes, das die Frage nach seiner Herkunft stellt, seine Verfügbarkeit in Frage stellt.
Die Lotusblüte lässt an die Lotophagen in der Odyssee des Homer denken, die in den Tag hinein leben, einer jeden Zielrichtung widersprechend, sie verneinend und gibt es in unserem Alltag nicht viel zu selten ein NEIN, das von uns kommt, nicht von einer Autorität oder Hierarchie? Die Blume selbst in ihrem glatten langen Stängel, Symbol der Ausgeglichenheit, des Müßigganges, der Inspiration; eine gelbe Blüte, wie man dem Blinden sagt, fühlbar aber die Blätter um sie, als hielte ein schützender grüner Korb die Blütenfrucht bei sich.
Der Titel des Projektes ist so als eine Gabe zu verstehen, die aus dem Leben gewonnen ist und in diesen Mosaiken dem Leben zurückgegeben wird. Hierin ist das „Zurück zum Leben!“ des Titels zu verstehen, nicht in der Deutung, dass die sogenannten Behinderten im Projekt erst zum Leben zurückkehren würden. Mit ihrer Kreativität füllen sie es auf eine ganz besondere Weise aus, sind in ihm auf dem Weg und sind dadurch gerade lebendig, kehren immer und immer wieder zum Leben zurück aus Regionen, von denen sie anderen erzählen, in ihren Arbeiten erzählen.