Vor dem geheimen Zimmer
Die Berliner Künstlerin Katja Hammerle mit My secret chamber bei den Wiesbadener Fototagen
Die Stimme, eiskalt ist sie und doch fürchtet man, dass sie in die Höhen hinaus auseinanderbricht. Be dangerous, singt sie in einem anderen Song. Hier und jetzt steht sie ganz oben auf den Stufen vor ihrer geheimen Tür, die verschlossen bleibt, verschlossen bleiben muss. Von einem Doppelleben singt sie, von ihrem Doppelgänger dahinter in diesem geheimen Zimmer, der in keinem Bild, in keinem Rahmen gefunden werden kann. Keine Romantik eines Bildnisses, kein Oscar Wilde. Ihre Narzissen küsst sie, in einem unbeschreiblichen Rot der Lippen. Weder Jekyll noch Hyde, eine bildlose Ungreifbarkeit. The Double Life, Siouxsie and the Banshees, aller frühester hochartifizieller Punkrock und der Tod des ersten Schlagzeugers ihrer Band, Sid Vicious kommt in den Sinn, sein Tod im Chelsea Hotel, wo er sich eine Überdosis setzte, dort wo er vorher wohl seine Freundin Nancy erstochen hatte.
Das helle Bild größer als die anderen, die vor allem schwarz sind.
Der Anfang ein Gefühl, das seinen Ausdruck sucht, ein Gefühl, das von einem Bild verursacht, das den Weg aus sich heraus sucht.
Die kleineren Bilder, die mit schwarzem Hintergrund. Bilder, die sie in der Welt gefunden hat, die mit dem iPhone gemacht wurden. Das iPhone als das Medium des Alltags, mit denen Dinge sich finden lassen. Das iPhone als Wahrnehmungsorgan und zugleich sein Gedächtnis. Vielleicht ist aber und gerade im iPhone etwas wie eine Struktur angelegt, wo Bilder sich nicht finden, wo sich etwas wiederfinden lässt, das vorher bereits da war. Vielleicht war das Gedächtnis immer schon vor dem Wahrgenommenen da, die Zukunft vor dem Erinnerten, vielleicht ist Wahrnehmung in erster Linie ein Wiederfinden von etwas, das nur in leicht veränderter Gestalt zurückkommt, in einer bestimmten Situation wiederkommen kann, wiederkommen darf, dann aber ganz aufdringlich wiederkommen muss. Dann machen die Worte der Katja Hammerle noch einmal einen ganz anderen Sinn:
„Ich finde Dinge, die mit meinem Inneren resonieren.“
Dinge, die im Inneren etwas ansprechen. Das Resonieren über sie als Bildung eines inneren Raumes, der erst durch die Dinge, durch das Außen erzeugt wird, die ihren eigenen Gedächtnisraum hervorbringen, worin auch Resonanz erst möglich wird. Aber auch ein Abgrund ist in solcher Resonanz, in einem solchen Raum spürbar. Wie ein akustischer Schatten folgt den Bildern der Katja Hammerle, so wie der Blinde sie erhört, etwas Dunkles , ist etwas zu hören, das aus einer unergründlichen Tiefe kalt herausatmet.
Das Bild hat für den Blinden eine Materialität, etwas, worin es sich einnistet. In das Bild als Raum schaut sich die Sehende selbst hinein und beginnt noch einmal neu zu sehen. Der Blinde erhört ihn sich und möbliert sich eine Welt in ihm, die er sich aus Worten baut, die dann von seinen eigenen inneren Bildern zusammengehalten wird.
„Ich lege in meinem Studio das zurecht, was ich für die Aufnahme brauche. Kleider etwa, neutrale Kleider, etwa ein neutrales graues Kleid. Es sind meistens Selbstinszenierungen. Ich arbeite mit mir selbst, weil das der unmittelbarste Weg ist das, was in mir ist nach draußen zu bringen.“
Warum aber Selbstinszenierungen.
„Es scheint mir schwierig, einem Modell etwas zu vermitteln, was es dann so ausdrücken müsste, dass es das Ganze nochmals nach draußen vermitteln würde. Es sind Dinge, für die sich schwer Worte finden lassen, Unbewusstes, Emotionen. Ich mag das aber auch, mit meinem eigenen Körper zu arbeiten, mich zu bewegen.“
Katja Hammerle lebt sich in ihre Bilder nicht nur hinein, sie verkörpert sie, verkörpert Bilder, die ihr ihre Einbildungskraft vorher nicht nur sehen ließ, die sie sie spüren gelassen hatte, die sie aber auch vor ihr sich verdoppeln hatte lassen, eine Ahnung dessen, was hinter der verschlossenen Tür auf die Eintretende warten würde. Aber keine Bilder einfach davon, wie es von Siouxsie hier vor dem Raum gesungen wurde.
„Meist sind es bereits die ersten Aufnahmen, an denen ich sehe: das ist es. Vielleicht stimmt dann etwas am Hintergrund noch nicht, oder etwas an den Klamotten. Das Bild zu wiederholen ist dann ganz schwer.“
Ein rahmenloses Bild: eine Frau bis unter die Brust zu sehen, die Brüste entblößt, der Kopf darauf umgedreht auf dem Hals. Die Assistentin sieht hierin einen runden Stickrahmen, den man einfach nur umdrehen müsste, um den Kopf auf dem Hals richtig platziert wiederfinden zu können.
Das einzige gerahmte Bild ganz in Weiß: In der Mitte eine Frau in einem vollkommen weißen Zimmer zwischen den Lehnen zweier weißer Stühle gelegt. Steif sie, in absoluter Spannung, Anspannung. Ein erster Gedanke: das Liegen auf der Couch, nur dass dies von einem einzigen Möbel bestimmt ist, der Couch mit all ihren Assoziationen. Hier in diesem zentralen Bild ist der Gedankenfluss allein von der Haltung einer Frau, dem Willen einer Frau bestimmt, der hier mit einer Haltung identisch ist, die sich der Couch widersetzt. Eine Frau liegt zwischen zwei Stühlen, wo das Sprichwort vom Sitzen zwischen zwei Stühlen sprechen würde, ein Liegen aber und obendrein in dieser Haltung, dieser Position, kommt dem Sprichwort noch von einer ganz anderen Richtung her auf den Grund: es lässt von einem Dazwischen sprechen, von der Einmischung, vom Durchdringen.
Wenn die Erzählung unterbrochen wird, wenn sie gestört wird, zerfallen die Partikel der Erzählung und verselbständigen sich voneinander. Jedes von ihnen ruft nun andere Teile anderer Erzählungen auf und führt sie unter einer ganz anderen Erzählung zueinander. Sie entwickeln aus ihnen einen vollkommen anderen Erzählfluss, einen anderen Kontext, einen anderen Erzählkörper, durchfurcht, durchkreuzt von einem Zickzack, aber vielleicht auch verdichtet.
Was aber geschieht mit einem Bild, das von anderen Bildern umstellt ist. Stellen sie es in Frage. Was geschieht mit einem Bild, das durch andere Bilder in Frage gestellt wird. Was passiert da tatsächlich, wird es vielleicht ergänzt. Wird sein Fokus erweitert, dominiert es die anderen, verdeckt sie, oder fasst es sie gar zusammen, verstärkt sie also. Verstärken die Bilder das Bild und umgekehrt, verstärkt ein Bild die Widersprüchlichkeit anderer Bilder, stiftet so ihren paradoxen Zusammenhang.
Etwas aber liegt auch zwischen den Bildern, ein Riss, ein Dazwischen. Grenzziehungen eines Bildrahmens, etwas, das das eine vom anderen sich abstoßen lässt. Schwarz. Weiß. Drinnen. Draußen.
Dann aber den harten Schnitt begangen, wie man auf einer Rasierklinge balanciert. Beide Welten nimmt die Künstlerin um sich mit beiden zu bekleiden, beide zu tragen, zu ertragen, nicht als lauen Kompromiss, beiden an ihrem eigenen Leib ihre jeweilige Welt tragen lassend, in aller Konsequenz ihre Widersprüchlichkeit austragen lassend, sie selbst diese aushaltend, bereit solche Auseinandersetzungen auf der eigenen Haut, im eigenen Körper austragen zu lassen.
Dies Dazwischen drückt sich in der Bekleidung der Frau aus. Von Weiß ist das Bild bestimmt, in welchem die Frau zu sehen ist, der ganze Raum weiß, die Stühle weiß um das Bild aber Bilder, die von Schwarz bestimmt sind. Und sie, und die Frau? Ein Kleid trägt sie, ein kurzes Kleid, trägt alles um sich herum an sich, das Weiß wie das Schwarz in einem Grau, das sie kleidet, das sie trägt, das sie hält, am Leib hält wie einen Zustand, dem sie zugleich ausgesetzt ist, den sie aber auch erträgt, aushält. Wie ein Medium liegt sie da und ihre Haltung ähnelt einem solchen in Trance.
Mit Bildern aus dem Neunzehnten Jahrhundert, mit Bildern von Frauen, die der Hypnose ausgesetzt waren, um sie von der vermeintlichen Krankheit der Hysterie zu heilen. Bilder, mit denen sich Katja Hammerle beschäftigte, während sie an My secret chamber arbeitete. Ein anderer war damals auch mit Hypnose beschäftigt, der sich dann aber später wieder von ihr als Heilmethode verabschieden sollte, Sigmund Freud, und die Stühle, erinnern sie nicht an ein Möbelstück, eine geteilte Couch, die hier allerdings unsachgemäß gebraucht würde.
Als Bild aber ist es freilich auch Sprache, Beschreibung dessen, was da zu sehen ist. In seinem Weiß sticht es, obendrein durch seine Größe und Rahmung, aus den Bildern hervor, tritt es nach außen, ist es wie die Außenwelt eines schwarzen Inneren, der einzige Umgang, die einzige Handlung, die zugleich eine Verweigerung von Handlung darstellt, die allerdings als sehr aktives Verweigern wahrzunehmen ist: da macht sich eine Frau vollkommen steif, vollzieht eine Handlung, die einen immensen Energieaufwand erfordert, eine Energie allerdings, die aufgewendet zu sein scheint, um sich aller Handlung zu versperren, sich allem Sinn zu versperren, ein Nein gegen alles und vor allem dem Schwarz draußen gegenüber, das das Schwarz des Drinnen ist. Oder macht sie sich gerade steif, um es anzulocken, sich ihm geradewegs zu öffnen, sich ihm hinzugeben, es womöglich zu werden.
Wie eine Versperrung liegt die Frau da zwischen den Stühlen, wie ein Durchstreichen dessen, worauf sie liegt, wie dessen Verneinung. Ein Medium. Eine Frau als Medium. Medium als Träger von Informationen. Auch das Bild, die Sprache selbst sind ein Medium. Und das Bild hier, das in der Mitte hängt, das als Mittlerin hier fungieren könnte, was drückt es aus, wenn nicht auch ein Nein-Sagen gegen das um es herum, zugleich ein Nein seiner Situation im Raum, die alles aber als seine Mitte dann doch wieder bejaht. Die Frau, in ihrem Kleid, das beides ist, das Schwarz des Drinnen wie das Weiß des Draußen. Darstellung des Bewussten wie des Unbewussten. Eine Frau, die für beides Trägerin ist, beides trägt, beides letztlich bejaht, noch obendrein in ihrer Haltung bejaht, voller Energie ein Ja und ein Nein zugleich.
Aber was ist dieses Um-Es-Herum, welche Szenerien bilden es. Ein Nachtfalter aufgelegt auf einen ganzen Planeten. Ein Spinnennetz mit leuchtenden Punkten, von denen auf den ersten Blick nicht so recht zu sagen ist, ob sie auf oder hinter ihm liegen. Der Ausschnitt eines Halses, angestrengt er wohl, Adern und Sehnen aus ihm hervortretend. Unten ein kleines weißes Zickzack, von dem die Assistentin wie von einem Cartoon aus dem 19. Jahrhundert spricht, dem dürren Schneiderlein aus dem Max und Moritz von Wilhelm Busch: ein Panoptikum von Gesehenem und Gespürtem und dann doch wieder nur Metaphern davon und alles in unterschiedlichen Formaten von 100X70 cm bis zur beschaulichen Postkartengröße.
„Ein Blitz ist es“, so die Künstlerin, „eine kleine Wurzel, die ich mit einer Taschenlampe angeleuchtet habe.“
Über all dem thronend der Hals mit dem angeschnittenen Kopf darauf. Ein etwas anderer Denker aus Rodins Höllentor. Inmitten aber liegt eine Frau, die von all dem nur zu träumen scheint, träumt womöglich in Gestalt eines anderen Bildes über ihr, eine Frau mit entblößten Brüsten, der der eigene Kopf umgekehrt auf den Hals gestellt ist.
Wo keine Erzählung ihre Partikel zusammenhält, bringt ein Bild etwas hervor, das Bilder sich zu seinen eigenen Partikeln formt und nutzt. Dazu Momente einer gewohnten Alltagswahrnehmung, etwas wie Groß und Klein schieben sich da zu allererst in den Vordergrund. Größenmaß als Stiftung einer neuen Ordnung für eine ins Unordentliche geratenen Weltsicht.
Als gelte es etwas loszuwerden, das in Gestalt von Bildern ausgeschieden werden könnte, als genüge es, eine totale Anspannung des gesamten Körpers diesem Gedanken zu unterwerfen: die, die da liegt ist die, die all das um sie herum selbst hervorgebracht hat. Andererseits drängt sich der Gedanke an eine Levitation dem blinden Cineasten auf, die freilich nichts wohl mit dem - obendrein - nie gesehenen Film zu tun haben muss: eine Szene aus Opfer von Andrej Tarkowskij, die eine über einem Bett schwebende Frau sieht, steif, abwesend, passiv und unbeteiligt. Der Versuch sich ästhetisch an einen unaussprechlichen Akt heranzuwagen, den der blinde Autor in eine Ahnung hinein implodieren lässt, in ein Souterrain von Bildern, wie Dietmar Kamper solche Untergründigkeit einmal genannt hatte.
Das Spinnennetz, tote Insekten darin, im Licht Perlen nicht unähnlich, vielleicht aber eher an das Märchen der Marie aus Büchners Woyzeck erinnernd, an eine sehnsuchtsvolle Reise zu den Sternen, die dort aber nur aufgespießte Käferleichen finden sollte, verdorrtes Holz, faulendes Obst anstelle der hoffnungsspendenden Himmelskörper. Und der Falter, Metapher des Todes ist er, zumal ein Nachtfalter.
Aber vielleicht sei hier noch einmal an den Punkrock von Siouxsie Sioux gedacht: es sind keine Bildnisse, keine Bilder in Rahmen zu sehen und die Doppelgänger sind weggeschlossen, ganz oben ins geheime Zimmer hinein weggesperrt. Von dort kann ihre Gestalt aber auch nichts verharmlosen, wie alle Darstellung des Grauens es ja letztlich immer auch tut.