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(in)Visible. Jess Curtis/Gravity. Foto Robbie

Tanzfabrik Open Spaces Sommer-Tanz präsentiert: Jess Curtis/Gravity: (in)Visible

Experimentelle sinnliche Tanzperformance für Blinde und Sehende

Wie erleben Sie eine Performance? Durch das Sehen? Und wenn das nicht möglich ist?

Sieben Akteure erobern sich die Wahrnehmung ihres Publikums mit fast allen Sinnen.

Donnerstag 18. (Uraufführung) - Sonntag 21. Juli 2019 um 20.30 Uhr

täglich 19:30 Tastführung, bitte anmelden 030/200 592 70

Audiodeskription aller Aufführungen mit Gravity Access Service

Freitag 19. Juli Julia Cramer dolmetscht in deutsche Gebärdensprache (DGS), bitte anmelden

​ Publikumsgespräch nach der Aufführung

Ort: Tanzfabrik Wedding, Studio 14, Uferstudios, Eingänge: Uferstr. 23 + Badstr. 41a, 1357 Berlin Wedding, Rollstuhltaugliches Gelände mit Behinderten-Parkplätzen

Eintritt: 15,- / 10 ermäßigt / Begleitperson für Besucher mit Schwerbehindertenausweis frei

Tickets kaufen: tanzfabrik-berlin.reservix.de/events

Öffnungszeiten der Abendkasse: Do 18. + Fr 19. ab 18 Uhr, Sa 20. + So 21. ab 17 Uhr

Kurzbeschreibung

»(in)Visible« verortet das Sehen außerhalb des zentralen Erlebens. Die Arbeit wurde in Zusammenarbeit mit Blinden und Seh-Behinderten entwickelt, und legt ihren besonderen Fokus auf den Zugang zur (Tanz-) Kultur für ein visuell behindertes Publikum. »(in)Visible« wird von sechs blinden, seh-ebehinderten und sehenden, körper-basierten Tänzer*innen performt, die sich durch tanzen, singen, wispern und fühlen einen Weg in die Wahrnehmung des Publikums bahnen. So werden experimenteller Tanz und Performance mit sensorischer Zugangspraxis in ein vielschichtiges und berührendes Zusammenspiel gebracht.

Beschreibung in einfacherer Sprache

Sieben Akteure bewegen sich geräuschvoll durch einen Raum. Sie wispern, sprechen, singen und berühren. So erobern sie die Wahrnehmung der Anwesenden. Sehen und Gesehen-Werden spielt dabei keine Rolle. Sowohl die Künstler als auch ihre Besucher haben unterschiedliche oder gar keine Sehfähigkeiten. Eine besondere Bestuhlung hebt die Trennung zwischen Bühne und Publikum auf. Wer das Sichtbare erfahren möchte, kann sich einen Kopfhörer aufsetzen und der Beschreibung lauschen.

Dieses Experiment stellt Fragen über den Zugang zur Bühnenkultur. Wie nimmt Publikum eine Performance wahr? Wie funktioniert das Zusammenspiel innerhalb einer Tanz-Performance-Gruppe? Welche Sinne sind für die gegenseitige Wahrnehmung wichtig?

Die Tanz-Performance hat den englischen Titel »(in)Visible«. Das heißt auf deutsch »(un)Sichtbar«. Die englische Vorsilbe für „un-“ ist in Klammern geschrieben. Das ist ein Wortspiel. Es bedeutet, dass das Tanzstück nicht für jeden und immer sichtbar ist. Gerald Pirner meint, die Silbe „in“ könne auch auf die inneren Bilder anspielen, die unabhängig vom Sehvermögen entstehen.

Erleichterung des Zugangs zur Aufführung durch den Gravity Access Service: Vor der Aufführung gibt es eine Tast-Führung für Blinde. Während der Vorstellung gibt es eine Audio-Deskription, zu deutsch „Hör-Beschreibung“, für Blinde. An einem Abend wird das Gesprochene und Gesungene in deutsche Gebärdensprache übersetzt.

Mitwirkende und Dank

Konzept + Regie: Jess Curtis

Von und mit Sherwood Chen, Gabriel Christian, Jess Curtis, Rachael Dichter, Sophia Neises, Xenia Taniko, Tiffany Taylor

Komposition: Samuel Hertz, Kostüm+Bühne: Michiel Keuper

Licht + Technische Leitung: Gretchen Blegen

Beratung: Georgina Kleege, Alva Noë, Gerald Pirner, Gebärdensprachdolemtscherin: Julia Cramer

Produktionsleitung: Julia Danila (D), Alley Wilde (USA), Produktionsassistenz: Alina Saggerer

Verwaltung: Chibueze Crouch, Produktion: Jess Curtis/Gravity

Probenfotos in SanFrancisco: Robbie Sweeny, Pressearbeit in Berlin: Antje Grabenhorst

Danke für die Förderung an Senatsverwaltung für Kultur und Europa des Landes Berlin, Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, MAP Fund, National Endowment for the Arts und California Arts Council.

Danke für die freundliche Unterstützung von Tanzfabrik Berlin

Hintergrundinformationen

Jess Curtis forscht schon länger über Schnittpunkte von Bewegung, Kultur, sensorischer Differenz und physischer Vielfalt in der Live-Performance. Die Vorherrschaft des Sehens in der darstellenden Kunst soll durch vielfältigere Formen der Wahrnehmung gebannt werden.

Das Kreativteam für (in)Visible zeigt die Unterschiede zwischen der Weise, wie nicht oder wenig sehende und sehende Menschen eine Performance oder die Welt erleben und sich vorstellen, und führt fragmentierte Empfindungen zu ganzen Wahrnehmungen zusammen. Das Team arbeitet mit Zugangsmöglichkeiten, wie z.B. Audiobeschreibung und anderen nicht-visuelle Zugangsmöglichkeiten, wie z.B. unkonventionelle Bestuhlung und den Vorstellungen vorangehende Tastführungen. Außerdem gibt es an einem Abend deutsche Gebärdensprachdolmetscher für Gehörlose.

(in)Visible vertieft Curtis' innovative Erforschung der Ästhetik von Zugangspraktiken wie Audiodeskription und Gebärdensprache als Quellen sowohl für formale Innovationen, als auch für den interkulturellen Dialog. In seiner letzten Zusammenarbeit „The Way You Look (at me) Tonight“ mit der sich als behindert identifizierenden Künstlerin Claire Cunningham, stützen sich die Soundpartituren auf audiodeskriptive Praktiken. Videomaterialien enthalten Text-Abschnitte, die einzigartig schöne Einblicke in die menschliche Wahrnehmung über sensorische Grenzen hinweg ermöglichen. (in)Visible setzt die Phänomenologie der sensorischen Differenz als einen Filter in Gang, durch den verschiedene Arten die Welt zu erleben, aufgedeckt und artikuliert werden.

Gravity erprobt sowohl in der San Francisco Bay Area als auch in Berlin einen einfachen erschwinglichen Audiodeskriptions-Service, der Blinden mehr Möglichkeiten zur Teilnahme und zum Erleben von Kultur bietet. Gravitiy bildet Audiodeskribteure für Tanz aus. Die Ausgebildeten boten den Service an Orten und Festivals wie Tanz im August Festival, Sophienӕle und Tanznacht in Berlin, Z Space und CounterPulse in San Francisco an. Kooperationspartner sind das Lighthouse for the Blind und das Center for Cultural Innovation in San Francisco, Unterstützer ist das Büro für Diversity, Arts, Culture und Mapping Dance in Berlin.

Das Projekt hat einen Beraterstab. Die blinde Autorin und Professorin Georgina Kleege ist Aktivistin für Barrierefreiheit in der Kunst. Sie beriet u.a. das Museum of Modern Art in New York und die Tate Modern in London. Der Wahrnehmungsphilosoph Alva Noë trug schon zu „The Way You Look (at me) Tonight“ bei. Der in Berlin lebende blinde Kunstkritiker und Foto-Künstler Gerald Pirner bringt seine theaterwissenschaftlichen und philosophischen Überlegungen mit. Tiffany Taylor, blinde Theaterkünstlerin und die sehbehinderte Tänzerin Sophia Neises steuern Theorie und Praxis bei.

Leseempfehlungen

Artikel von Jess Curtis mit Tiffany Taylor und Georgina Kleege dancersgroup.org/2019/03/describing-dances-increasing-access-for-blind-and-visually-impaired-audiences

Biografien

Konzept + Regie: Jess Curtis, San Francisco + Berlin – spricht englisch und deutsch
Choreograf, Performer, schuf in den letzten 25 Jahren eine Vielfalt an charakteristischen Produktionen von den Extremen der Undergroundszene in San Francisco mit „Contraband“ und „Core“ bis zur kultivierten Überschwänglichkeit europäischer Theater und Zirkuszelte mit der Compagnie „Cahin-Caha“.

Bekannt für interdisziplinäre Arbeit kooperierten Jess und seine Company „Gravity“ mit innovativen Künstlern wie Claire Cunningham, Guillermo Gómez-Peña, Maria Francesca Scaroni, FabrikCompanie Potsdam. Auftragsarbeiten für artblau Tanzwerkstatt in Braunschweig, ContactArt in Mailand, Blue Eyed Soul Dance Company in England, Croi Glan Integrated Dance in Irland.

2018 „The Way You Look (at me) Tonight“ mit Claire Cunningham, Tanzplattform Deutschland. 2011 Alpert Award für Choreographie. 2008 drei Isadora Duncan Dance Awards für „Under the Radar“ Gravity mit Claire Cunningham. 2002 Fringe First Award (Edinburgh) für „fallen“.

Curtis war Gastprofessor der UdK Berlin und der UC Berkeley.MFA Choreografie und PhD Performances Studies, UC Davis. Dissertation: Knowing Bodies / Bodies of Knowledge: Eight Experimental Practitioners of Contemporary Dance: pqdtopen.proquest.com/doc/1777578811.html

Von und mit Sherwood Chen, Montpellier/F - performer. Worked with artists including Grisha Coleman, Yuko Kaseki, Amara Tabor-Smith, Anna Halprin, Min Tanaka, Xavier Le Roy, inkBoat / Ko Murobushi, and Sara Shelton Mann. He leads workshops in studio and in natural and urban landscapes worldwide.

Von und mit Gabriel Christian - an increasingly amorphous artist bred in New York City and baking in Oakland. Their work metabolizes the vernaculars within BlaQ diaspora – futurity, afrovivalism, faggotry – through body-based live performance and poetics; moreover, they feel the bio to be an unfortunate by-product of capitalistic modes like chattel slavery.

Von und mit Rachael Dichter, San Francisco/USA - Tänzerin, Performerin, Choreografin, Kuratorin. Arbeitet oft mit anderen und manchmal alleine. Sie arbeitet über die Nähe, über die kürzeste Nähe, und über das Verringern des Abstands zwischen Dingen - zwischen Leuten. Studierte Tanz und Kunstgeschichte am Mills College.

Von und mit Fia (Sophia Neises), Berlin – Performerin, Theaterpädagogin und Projektmitarbeiterin an den Sophiensaelen. Seid 2015 lebt sie in Berlin, wo sie Theaterpädagogik an der Universität der Künste studierte. Ihre künstlerische Praxis erstreckt sich von der Arbeit mit nicht professionellen Schauspieler*innen bis hin zu Tanzperformances mit Zwoisy Mears Clarke NY (Tanztage Berlin 2018, Sophiensaele Mai 2019) und Jess Curtis SF (Open Spaces, Berlin 2019). Im Projekt "Making a Difference" an den Sophiensaelen kämpft sie um die Anerkennung der Ästhetik der Differenz auf Berliner Tanzbühnen. Sie identifiziert sich als Künstlerin mit Sehbehinderung und regt an die individuellen Wahrnehmungsstile von Menschen wert zu schätzen.

Von und mit Xenia Taniko, Berlin, spricht deutsch - Choreographin, Performerin, Autorin

Von und mit Tiffany Taylor, San Francisco/USA - a self identified blind dancer/singer interested in examining the intersectionality of performance, queerness and disability culture. She holds a VA in Theatre from Adrianne college and is a member of the Berkeley Broadway Singers. She is an access consultant for gravity access services. Tiffany enjoys challenging assumptions and exploring boundaries in regards to boxes that are constructed around us and societal expectations.

Komposition: Samuel Hertz, Berlin - sound-artist, working on environmental sound in collaboration with climate researchers, music psychologists and paranormal researchers. Recent works include a commissioned work by the Macerata Opera Festival, an IMAX performance at the National Science + Media Museum, and programs at the Palais de Tokyo. Works with Studio Tomas Saraceno and HKW’s Anthropocene Curriculum.

Kostüm+Bühne: Michiel Keuper, Berlin- interdisciplinary designer, artist, lecturer. Informed by his longtime background in fashion design, his work reaches from design to visual art and performance. Graduated in fashion design from ArtEZ University of the Arts, Arnhem, NL.

Licht + Technische Leitung: Gretchen Blegen

[Biografie folgt]

Beraterin: Georgina Kleege, Berkeley/CA/USA – blinde Professorin, unterrichtet kreatives Schreiben und Disability Studies. Beschreibt wie Blindheit in den Künsten repräsentiert wird, wie Blindheit bildende Künstler beeinflusst, wie Museen die Künste für blinde und sehbehinderte Menschen zugänglich gestalten können. Berät zu Sehbehinderung, Zugänglichkeit und Seherfahrung, u.a. am MOMA/NY und Tate/London. english.berkeley.edu/profiles/45/show_books

Philosophischer und theoretischer Berater: Dr. Alva Noë, Berkeley/CA/USA – Professor für Philosophie und Kognitionswissenschaft. Forscht über Kunst und Wahrnehmung. Bücher: „Out of Our Heads: Why You Are Not Your Brain and Other Lessons from the Biology of Consciousness“, „Action in Perception“. Zentrale These: Bewusstsein ist etwas, das wir tun.

Berater: Gerald Pirner, Berlin – blinder Kunstkritiker, Essayist, Künstler, fotografiert. Studierte Theaterwissenschaften und Philosophie. Schrieb ab 1980 für Zeitungen Texte zu Fabrikarbeit und sozialen Kämpfen. 1989 durch Retinitis Pigmentosa erblindet. 1992 Ausbildung zum Mediendokumentar, arbeitete als Lektor. Schrieb ab 2006 für Kultura extra. Seit 2014 „Gerald Pirner Texte zu Kunst“, Webseite mit Essays aus dem Blick des Blinden mit Bildender Kunst, Theater, Musik und Film. Seit 2014 fotografische Arbeiten, Portraitfotografie in der Technik des Light Painting.

Gebärdensprachdolmetscherin: Julia Cramer, Hamburg arbeitete 2019 beim inklusiven Theaterfestival Mittenmang in Bremen mit Jess Curtis zusammen.

Produktionsleitung Deutschland: Julia Danila, Berlin + Mainz - Tanzproduzentin, Kulturmanagerin, Kuratorin. Arbeitet als künstlerische Produktionsleiterin bei tanzmainz und mit Künstlern wie Jess Curtis/Gravity, Familie Flöz und Bara Kolenc. Projektauswahl: Der zaudernde Körper, Hygiene-Museum Dresden / Osvetljeni/ Illuminated, Tanzfilmreihe, Kino Udarnik + Umetnostna Galerija Maribor, / Dialoge 09, Sasha Waltz & Guests. Studium: Europäische Kulturen, University College London.

Produktionsleitung Nordamerika: Alley Wilde - low-income genderfluid arts and culture worker engaged in a practice fusing art-administration, art-making, and radical activism. Wants to advance equity and build community through the production and progeneration of queer culture. Managing artists and cultural events like Youth Speaks, ODC, Rainbow Theater, CounterPulse, Deborah Slater Dance Theater, Eye Zen Presents and Keith Hennessy/Circo Zero. Program director for Jess Curtis/Gravity since 2014.