„Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.“
Medea von Aribert Reimann an der Komischen Oper in Berlin
Das Heiligtum ihrer Heimat wie ihren Vater verratend, den Tod ihres Bruders in Kauf nehmend, unterstützt Medea den Griechen Jason, in den sie sich verliebt hat, um das Kernstück des heimischen Heiligtums in Kolchis, ein zaubermächtiges Widderfell aus Gold zu rauben. Nicht ganz den Auftrag erfüllt, den Apoll in Delphi erteilt hatte, landen die beiden mit ihren Kindern in Korinth, wo die Zauberin in der Bevölkerung starkes Misstrauen erregt. Um sich zu integrieren sucht die ehemalige Priesterin sich der griechischen Gesellschaft unterzuordnen wie es ihr Mann Jason von ihr erwartet, sehr zum Missfallen ihrer Amme, die Zeugin wird, wie Medea ihre Zauberutensilien vergräbt, um damit ihre Vergangenheit vergessen zu machen.
An dieser Stelle setzt die Handlung von Aribert Reimanns Oper ein, der es vom ersten Moment an um die Ressentiments vor dem Fremden zu tun ist, eine Parabel um Xenophobie, in deren Kern aber noch ganz andere Widersprüche des abendländischen Denkens und Fühlens berührt werden.
„Die Zeit der Nacht, der Zauber ist vorbei“, singt Medea zu Beginn ihres ersten Auftritts. Demonstrativ legt die ehemalige Priesterin aus Kolchis einen roten Schleier ab, um ihn mitsamt des goldenen Vlieses in einer Kiste in der Nacht am Strand zu vergraben: „Lass dich noch einmal schauen“, sagt sie zu den Gegenständen ihres ehemaligen Zauberlebens, bevor sie sie in einer Kiste dem Schoß des Dunkels überlässt.
In Ruhe dabei die Blechbläser, während geschlagenes Blech die Tamtams umschlagen: ein düsteres akustisches Bild, das etwas Archaisches in sich trägt, Momente die immer wiederkehren werden, Variationen um das Nicht-Entkommen-Können, Variationen um das Schicksal.
„Vergraben willst du die Zeit eines Dienstes, den Schutz den wir haben“, spricht sie Gora, ihre Amme an.
„Ich bin mir Schutz genug“, antwortet ihr Medea trotzig.
„Weggehaucht die Vergangenheit, alles Gegenwart“, so Gora weiter.
Die Geigen lösen sich von den Kontrabässen und entfalten einen irisierenden Klang, Streicher und Holzbläser sich umspielend, nachdem sie aus dem Dunkel getreten sind.
Eine Art Leitmotivik ist zu hören, allerdings keine die mit Figuren oder Handlungen sich verbände, eher etwas, das mitschwingt und Stimmungen einfärbt, eine Art musikalische Gegenwelt zur Realität des Spiels, ein unbewusstes Echo. Dazu immer wieder ein Dialog nicht zwischen Instrumentengruppen, eher innerhalb des musikalischen Gestus: einem des Schlagens, einem der ruhigen Kontinuität, und beides kann den Streichergruppen entstammen genauso wie den Holzbläsern- oder Blechbläsern, die in Atemstößen das Abrupte, das Schlagartige als dem Brachialen Ensprechende hervorbringen.
Die Kinder, nicht leben sie, allein der Umgang mit ihnen erweckt sie zum Leben, die Imagination ist einzig was lebt und zugleich erweckt. Andererseits ruft uns der Umgang mit ihnen dazu auf, über die Lebendigkeit nachzudenken, nachzudenken was ihr Kern ist.
Der Inhalt des Mythos verflüchtigt sich in seinen eigenen Resonanzraum, ist dem blinden Wahrnehmen ganz ähnlich, das sich bewegen muss, um einen Ort an erkannten Echos ausmachen zu können. Was von der Zauberin andererseits bleibt ist die Angst vor ihr, und das Grauen vor ihr, ist von ihrer gnadenlosen Konsequenz bestimmt.
Dem Eingeforderten gibt die Zauberin nach, da aber wo sie es tut und sich verrät, wird sie von dem verraten, auf das sie sich einlassen will. In gewisser Weise wiederholt sich an der Tochter, die zugleich Priesterin der Mutter und ihres Kultes in Kolchis ist, was dieser selbst widerfahren war: als Titanin kämpfte Hekate, die Dreigesichtige, auf der Seite der überirdischen Olympier, war aber in Kreisen der griechischen Götterwelt immer die Fremde geblieben, der man als Göttin der Zauberer und Hexen nie so recht über den Weg traute, der andere Göttinnen sich in ihrem Aufgabenbereich des Wilden, der Jagd, aber auch der Geburt beigesellten, wie Artemis etwa, die Schwester des Apoll.
„Die Zeit der Nacht, der Zauber ist vorbei“. Sie legt den roten Schleier ab, um ihn mit dem Flies zu vergraben. „Lass dich noch einmal schauen.“
Die Streicher entfalten sich über ihr wie ein Tuch, immer wieder eine Kommunikation zwischen Gesehenem und Zu-Hörendem. Die Musik spinnt da das Gesehene weiter, übernimmt das Bild, das Gesehene ins Akustische, übersetzt es, lässt es über-setzen in ein anderes Register des Wahrnehmens. Ruhig das Blech geblasen, während anderes Blech das Tamtam umschlägt.
„Vergraben willst du die Zeit eines Dienstes, den einzigen Schutz den wir haben.“
"Ich bin mir Schutz genug."
„Auch das Vlies?“
„Auch das Vlies!“, schreit Medea ihre Amme an, die Kolchis und die Vergangenheit der Magie verkörpert und das noch mehr als ihre eigenen Kinder. „Auch das Vlies“, geschrien und dabei den Gesang verlassend, und einen nochmals ganz anderen Bereich aufstoßend, eine allem zugrunde liegende Emotionalität des Hasses. Dieser Figur glaubt mensch, wenn sie singt: „Ich bin mir Schutz genug!“ Aber man glaubt ihr, weil sie die Ebene des Außerhalb zu verkörpern versteht, das Wilde, das von keiner Emotionalität gezügelt werden kann, den Hass, den keine Liebe mehr bändigt.
„Weggehaucht die Vergangenheit, alles Gegenwart.“
Dabei die Geigen sich von den Bässen lösend, aus dem Dunkel Holz und Streicher. Immer wieder der hohe Erzählton in das Dunkel der Kolcherin, in das Dunkel von Kolchis als Vergangenheit der Magie.
Kommunikation zwischen geschlagenen und gehaltenen Klanglinien, dabei die gehaltenen Linien keiner bestimmten Orchestergruppe zugedacht, genauso wenig das Schlagen, das in Blech wie Holz sich genauso später zerspellt wie vorher bereits die Streicher. Dialogischer Aufbau aus den ruhigen Linien von Bläsern und Streichern mit den Schlagen der jeweiligen Orchestergruppen.
Der Gestus der musikalischen Entwicklung ist nicht auf bestimmte Orchestergruppen aufgeteilt, keine Leitmotivik also, die Instrumente, Figuren oder Handlungen verknüpfen würde. Weniger als Leitmotivik denn als Leitlinien wäre eine Kommunikation zwischen musikalischen Bildern und visuellen Bildern zu verstehen, eine Kommunikation zwischen Brüchen und Übergängen etwa, die sich an Brüchen und Übergängen in jeweils anderen Wahrnehmungsbereichen widerspiegeln: da ist etwa der Bruch zwischen Brust- und Kopfstimme, den die Stimme der Medea, grandios von Nicole Chevalier verkörpert, in ihren Intervallsprüngen darstellt, Brüche, die mit denen anderer SängerInnen wie Günter Papendell als Jason oder Nadine Weissmann als Gora antagonistische Räume ausspannen, in denen sich mehr als eine Welt wiederfinden lassen.
Der Boden der Bühne ist so gestaltet, dass man darin etwas vergraben kann, dass etwas darin verschwinden und wiederauftauchen kann. Der Boden stellt Vergangenheit Verdrängtes, Gedächtnis und Wiederkunft des Verdrängten dar, das sich aber gegen all die wehrt, denen der Fund nicht zusteht, an denen furchtbare Rache geübt wird.
Ein bestimmendes Moment der Inszenierung von Benedict Andrews ist eine Kiste, in welcher die Zauberin ihre Zauberutensilien versteckt und in den Untergrund vergräbt: Bild der Verdrängung, das wiederkehren wird wie das goldene Vlies des Widders, an dem alle zugrunde gehen bis auf Medea, der allein zusteht es zu tragen.
Die Kiste wird nämlich wiederentdeckt werden allerdings von denen, die sie begehren, die an ihr aber zugrunde gehen, weil ihnen ihr Inhalt nicht zusteht: nur einer gehört sie, allen anderen bringt sie Unheil, alle anderen sterben an ihr, wie die Argonauten allesamt ebenso umkamen. „Auch Jason wird sterben“, so prophezeit die Zauberin.
Die Welt als Gerippe einer Imago
Im Mittelpunkt der Bühne eine dreidimensionale Strichzeichnung, ein Haus aus Bindfaden, das nur aus seinen Konturen besteht, eine Art vorgeschichtliches Langhaus darstellend. Eine dreidimensionale Zeichnung, die an die Kulisse von Dogville erinnert, wie sie Lars von Trier sie hatte auf den Boden zeichnen lassen nur, dass bei Reimann die Zeichnung zum dreidimensionalen Aufriss der Welt wird. Hinter der Zeichnung der Welt eine Mauer, eine Mauer wie die Mauer zwischen Zivilisation und Wildnis, auf der eine andere Zauberin einst saß, die Hexe Hagazussa, die auf dem Grenzzaun zwischen beiden immer gleichzeitig präsenten Realitäten, zwischen beiden Welten haust, die auf dem Zaun zwischen Zivilisation und Wildnis reitet.
Die Wohnung aber ist genauso Imagination wie die Kinder der Medea lediglich eine Art Projektionsfläche abgeben. Das Leben, das Lebendige wäre dann einzig das Vermögen lebendige Bilder hervorzubringen, um in ihnen dann erst zum Leben zu kommen. Das Körperliche erfährt seine Beseelung einzig durch die menschliche Beseelung, die menschliche Einbildungskraft. Der Mythos könnte so als ein Gerippe zu sehen sein, dessen eigentliche Fleischwerdung der menschlichen Imagination entspringt, die sich zumindest auf eine Infragestellung der Wahrnehmung von Wirklichkeit insgesamt erstrecken könnte. Auf eine drastische Weise stellt die Inszenierung das Bild in seinen Ausformungen in Frage, macht sie zu einer bloßen Materialität, deren tatsächliche Fleischwerdung ihre Beseelung bedeutete: die Körper der Kinder sind nur stoffliche Hüllen, die erst im Spiel lebendig werden. Was aber, wenn sich menschliche Beziehung auf ähnliche Weise vollzöge, Mensch am Menschen lediglich seine oder ihre eigenen Projektionen und Imaginationen abarbeitete.
Damit aber stellte die Inszenierung von Benedict Andrews mit seinem Bühnenbildner Johannes Schütz die Wirklichkeit auch selbst in Frage, ließe die Realität des Mythos und der Vernunft sich gegenseitig durchdringen, da Wahrnehmung und Wahrheitserweis lediglich nur noch der Imagination unterliegen, eine klare Unterscheidung zwischen Vernunft und Mythos gar nicht mehr zu treffen wäre.
Zu Beginn sitzt Medea mit ihren Puppen als Kindern auf dieser Mauer zwischen Zivilisation und Wildnis, die Musik von Bläsern düster eingestimmt, Tamtam sekundenweise nach unten ins Düstere geführt, in eine unausweichliche Bestimmung in Zeittakt ähnlicher Unausweichlichkeit.
„Vergraben willst du die Zeichen eines Dienstes“, so die Amme der Medea zur Priesterin, die damit von ihrer einstigen Berufung Abstand zu nehmen sucht, „Verhaucht die Vergangenheit, alles Gegenwart. Grab ein die Zeichen deiner Tat, die Tat vergräbst du nicht. Du weißt dass alle Welt uns flieht das Volk huldigt dir nicht.“ Die Macht aber die da vergraben wird, am Ende wird sie zurückkehren zu ihrer Priesterin, wird die vernichten, die sich ihrer zu bedienen, zu bemächtigen suchten.
Das Schicksal ist nicht okkupierbar, der Bestimmung ist nicht zu entfliehen, auch Medea wird ihr nicht entkommen, ihre göttliche Abstammung verhindert, dass sie sich auf den abendländischen Vernunftdiskurs einlassen könnte.
Die Vergangenheit die von Medea vergraben wird, vom Herold wird sie in Maskenform wiederbelebt und von den Spielerinnen wie eine Psychoanalyse inszeniert, wie Schicksal den entsprechenden Körper zu suchen hat, um wiederzukehren. Vergangenheit als etwas, dessen man sich weder entledigen kann noch dessen man sich bemächtigen kann: Vergangenheit kehrt wieder und lässt die sich ihrer bemächtigen, der sie zusteht. Eine Fatalität spricht aus diesem Denken, aber auch eine tiefe Gerechtigkeit, die alles vernichtet, was seinen Stempel ihr aufzudrücken sucht und sei es in Gestalt der Vernichtung der Frucht des Leibes, wenn sich der Befruchtende als unwürdig erweist: eine späte Rache der „Großen Mutter“ und ihres Rechts der Vorzeit, mit der die Mutter der Medea, Hekate, auch gleichgesetzt wurde.
In der Stimme das vermeintlich Zivilisierte und das Wilde Autochthone zugleich und die Musik lässt uns spüren, dass keines von beiden sich endgültig gegen das andere durchsetzen wird können.
Stellt die Amme Gora in ihren Gesängen das Archaische dar, das sie teilweise brutal in die Szene einschlagen lässt, an das sie Medea immer wieder erinnert ohne freilich zu wissen, was das in letzter Konsequenz bedeuten wird, umspielen Streicher den Gesang von Kreusa in einer lieblichen Emotionalität, die sie Medeas Kindern entgegenbringt, den Kindern ihrer Rivalin, oder, wie Medea es formuliert, ihrer Feindin, und dass das vielleicht nicht so ernst zu nehmen ist, ist dem Schlagen der Streicher mit den Bögen auf die Saiten, zu entnehmen, ein Motiv, das andeutet, wohin die Kinder gehören, wessen Zeichen sie tragen, dass sie eben aus Kolchis sind.
Es ist keine Leitmotivik, aus der heraus Figuren oder Handlungen sich entwickeln, es sind Klangfarben, in denen sich Stimmungen wie Bedrohungen, wie unterschwellig Mitschwingendes zu hören oder zu spüren ist wie etwas Archaisches, das nicht präzise zu fassen ist, etwas, das sich im Musikalischen in seiner Unbegrifflichkeit, seiner Unbegreifbarkeit fortsetzt. Die Scheidung zwischen Mythos und Logos verschwimmt hier und will sich auch weiterhin unauflösbar halten.
Medea kalkt den Boden bevor sie aus dem Mauerzaun einen Sitz für sich und Kreusa baut, auf denen beide Frauen Platz nehmen und textlose Partien zu einem Duett weben - vielleicht der zärtlichste Moment der Oper. Wie drohend die Schläge wieder, wider allen Vergessens, das Vergessene Verdrängte wird wiederkehren. Alles Vergessene wird wiederkehren: die Amme wie Jason und die Kinder sitzen auf der Mauer, eine Erinnerung, eine Gleichzeitigkeit von Wünschen und Willen, gegen die das Dunkle sich wiederkehrend durchsetzen wird, ohne dass die Priesterin das überhaupt wollen müsste. Einer geheimen Regie verpflichtet, sitzen die nicht direkt ins Spiel involvierten Figuren auf der Bühne, während Medea und Kreusa ihr zunächst sehr freundlich gehaltenes Duett singen.
Das Duett in die Höhe wie in die Tiefe, eine Leichtigkeit im Gesang die beide Bereiche in sich trägt und wie ein emotionales Ineinander beider Wirklichkeiten klingt, dies aber nur für einen kurzen Moment.
Die Frage der Kolcherin an die Griechin, wie sie Jason wiedergewinnen könne beantwortet Kreusa mit dem Vorschlag eines Austausch der Kulturen: Sie solle ein Lied lernen, das der Grieche Jason einst liebte, der unmögliche Austausch der Vergangenheiten, der in seiner Harmlosigkeit doch nur wie die brutale Usurpation einer Kultur durch eine andere klingt, für den die Kolcherin auch nur Spott seitens Jason erntet. Streichlinien mit gezupften Tönen der Streicher gesprenkelt, bis Gezupftes und Geschlagenes die Oberhand gewinnt. Wenn er sie anblickte habe ihn immer nur die Schlange angeblickt, so Jason über Medea gegenüber Kreusa, ein Satz, in welchem sich der Verrat des Ehemannes ankündigt, der die Priesterin nur benutzte, derer er jetzt überdrüssig ist. Und er bestreicht das Gesicht Medeas mit weißer Farbe und ihren Körper dazu, verwandelt sie ins Geisterhafte, in das Bild, das die sogenannte Barbarin bei den sogenannten Zivilisierten und in deren Vorstellung immer schon hatte. Nach Jasons Willen solle sie nach seinem Bild werden, eine Geistererscheinung ihrer selbst.
Blechschlagwerk geschlagen aber am Ausklingen gehindert, es ins Stumpfe gekehrt, ins reine Geräusch. Das Holz in das die Blechtöne sich hinüberschieben und dabei zerstieben. Ein Bild des echolosen Berstens.
Die Mauer hinter dem Bindfadenhaus als Bild das in der Musik sich verwirklicht, das Durchbrechen immer eines anderen im Eigenen, das mit den tiefen Tönen der Stimme genauso durchscheint wie in den Verwandlungen der Streicherlinien in ihre Zerschlagung, kurze Zeit liegende Blechbläser Passagen in geschlagenes Blech, das um all seinen Nachhall gebracht wird. Cluster, in deren tonlicher Umgrenzung etwas zu leben scheint, das ihre Dichte aufsprengt, das sie transparent macht wie ein grausiges Gerippe.
Kreon wünscht sich Jason für seine Tochter Kreusa zum Mann, die Kinder würden in diese Konstellation auch hineinpassen, die einzige die stört ist Medea und als sich dieser Handlungsablauf abzeichnet, erwirkt die Kolcherin eine grausame Rache, die auch vor der Ermordung ihrer eigenen Kinder, die sie liebt, nicht Halt machen kann. Ihre unmittelbare Feindin lässt sie in einem Hochzeitsgeschenk, einem Kleid verbrennen, das dieser von der Amme Gora überreicht wird.
Dennoch lässt Franz Grillparzer, der Textdichter dieser Variante des Medea-Mythos, den der Komponist als sein eigener Dramaturg zum Libretto umschrieb, lässt Grillparzer die abendländischen patriarchalen Götter den Sieg davon tragen: Medea macht sich mit dem goldenen Vlies Richtung Delphi auf, um es den Priestern des Apoll zu übergeben und sich von ihnen richten zu lassen.
Aribert Reimanns Komposition entgeht allem Klischee und tut dies, indem die Musik selbst die letztendliche Unüberwindlichkeit eines Archaischen in uns in ihrer Sprache dramatisch zuspitzt. Seine Cluster sind nicht einfach komplex und dicht, sie erscheinen bewegt, fächern in sich Klangfarben auf, offenbaren etwas Lebendiges, das in seiner Wucht immer auch transparent bleibt. Die Handlungsspannung findet so nicht allein im gesungenen Textinhalt des Librettos statt, eher ist es die Musik, in der sich wie im Untergrund, im Psychischen Kämpfe und Widersprüche austragen. Das Fremde, das da musikalisch durchscheint ist in uns selbst.