In Labyrinthen
Zur Ausstellung 50x50x50 ART SUEDTIROL in Fortezza/Franzenfeste Italien 2015. Erster Teil
Zunächst also der Raum, die Zeit im Raum, die Festung und gibt es ein präziseres Bild für die verräumte Zeit als eine in ihrem Inneren labyrinthische Festung?
Gehen wir von der Festung dem Bild der Festung aus, was ist eine Festung anderes als ein offenes Versteck, ein zur Schau gestelltes Versteck, das jeder sieht, das jeder sehen soll, eine Obszönität in gewisser Weise und was es da alles an Legenden gib, über das, was die Festung verberge: das Gold der Faschisten, das Gold der Nazis…
Ein Ort - nicht nur für den Blinden - vollkommen labyrinthisch angelegt, ein offen ausgestellter Ort des Verstecks, an welchem es etwas zu holen gäbe, ein Ort, der allerdings so angelegt ist, dass er in sich eine ausreichende Anzahl von Tücken und Fallen birgt, die es erlauben, den Ort ganz offen als Versteck zu zeigen. Eine Festung ist ein Ort der Verteidigung, der Defensive, die nur erneut von außen tatsächlich befreit werden könnte, in sich aber die Kräfte halten könnte, die sie eine Zeit halten würden. Eine Festung als Ort, in den hinein sich Teile der Macht zurückziehen können um erneut in die Offensive zu kommen.
Eine Festung ist aber auch ein Ort der Reproduktion und Fortezza ist in jeder Hinsicht auf die Reproduktion einer größeren Anzahl von Militärs angelegt, vom Schlafen über Essen und Trinken bis hin zum Bordell in seinem Inneren. Bedürfnisbefriedigung für eine Soldateska, denen es an nichts mangeln soll, auf dass ungestört das Handwerk des Mordens ausgeübt werden kann, alle Wünsche befriedigt, wunschloses Glück für das es sich gerne töten lässt.
Dass es nicht so viel zu hören gebe, so eine Frau, vielleicht die Regisseurin, vielleicht deren Assistentin, zum Blinden, der sich dann mit der geringsten Erwartung in eine begriffslose Kulisse von Geräuschen fallen lässt um sich von ihnen in eine Intensität der Wahrnehmung hineintreiben zu lassen, in eine Geräuschkulisse als Abfall von Bewegungen, von Handlungen, von Imaginationen als Spuren von fragmentarisch Erkanntem hineinzuversetzen, um sich deren ans Unerträgliche stoßenden Nähen zu überlassen, eine Intensität, die vielleicht gerade von ihrer Bruchstückhaftigkeit her rührt. Wie ein Schnitt hinein in die Dinge, hinein ins Fleisch, hinein ins Fleisch der Körper, die kein Bild vor ihrem Zugriff einem Übergriff schützt, die diese Geräusche verraten, sie entblößen, die von nichts als ihrer Nacktheit sprechen.
Blind jedem Bild entzogen, sammeln sich die Geräusche Schritt um Schritt ihr eigenes Bild zusammen, wirken ein Gemäuer aus, das zuallererst an Piranesis Carceri (Kerker) erinnert, von denen er damals noch Reproduktionen gesehen hatte, zuletzt auf dem Cover einer Berliner Punkband, in dessen Gewirr Eisen und Stein, Gänge, Treppen und Geländer sich in einem, für das Auge vollkommen undurchsehbaren Ineinander, zusammengezogen hatten. Solcherart phantastischer Spielerei ergeben, schrecken ihn die eigenen Schritte plötzlich auf, als unerwartet das Material unter ihnen sich drastisch verändert und metallern sie auf einen Stahlsteg treten, bevor das Getöse eines Flusses unter ihnen sie auseinanderreißt. Hinein in die Engführung eines Treppenhauses, dessen eckige Schraubbewegung in kurzatmigen vierstufigen Abschnitten um etwas wie einen Steinsöller hinaufführt, eine Wendeltreppe, der man das kreisförmige Wendeln in knappen vierstufigen Absätzen ausgetrieben und zusammengestaucht hat. Keuchend schiebt sich eine Kolonne von zu Kunsthöhen Stapfenden in einer Art unsichtbaren Performance hoch, ausgelöst solcher Art unfreiwilliger Akt durch den kurzerhand zur Attrappe erklärten Aufzug, dessen Nicht-funktionieren den Aufstieg erst erzwang. Belohnt die Mühe durch eine in gleißendem Sonnenlicht vor sich hin schwitzende Wiese, in deren Mitte, vielleicht auch an deren Rand - was weiß der Blinde schon zu Raumaufteilung zu sagen - etwas wie ein Brunnen plätschert. Man werde sich gleich in die Gemächer des Führungsstabes begeben, wo die Lesung in der Casa Nang dann stattfinden werde.
Etwas ähnlich Labyrinthisches hatte der blinde Autor zuletzt in Berlin am Platz der Luftbrücke gesehen, als er mit seiner Assistentin an einer Führung durch das Gebäude des Tempelhofer Flughafens teilnahm, damals bei seiner Erbauung das drittgrößte Gebäude der Welt und mit eigener Strom- und Wasserversorgung von den Hitlerfaschisten als Zentrum ihres Kriegsimperialismus gedacht und genutzt. Nach der Befreiung von dieser Mörderbande zog die US-Army ein und nebenan die C.I.A. mit der Zentrale zur Überwachung des sowjetischen Luftraumes: Der Kalte Krieg in Europa war dem „heißen Krieg“ der Nazis gefolgt.
Aber zurück zur ART SÜDTIROL, zu 50x50x50. Der Name die Darstellung der Maße eines Kubus, eines Würfels mit einer einheitlichen Kantenlänge. Die mathematische Darstellung des Kubus, der als White Cube auch als Begriff für das klassische Museum gilt, vergoldet gleichsam in der kabbalistischen Zahl der Fünfzig als Kantenlänge. Ein Kubus allerdings, der in sich auch die Zeit mit sich trägt, wie die, die diese Zeit erfahrbar machen: 50 Künstler, 50 Räume, 50 Tage: Raum, Zeit und Mensch als deren Erfahren durch das Bewusstsein, ein Bewusstsein von Raum in einer bestimmten Zeit und die Beobachtung der Erfahrung dieser Bewegungen. Die Zeit der Bewegung steht immer in Relation zum Raum, in welchem sie stattfindet: die Zeit einer Festung, die Zeit in einer Festung, die Zeit eines Labyrinths, das Labyrinth in der Zeit, das Labyrinth, in welchem seine Zeit als Dauer sich in sich zusammenzieht, das Labyrinth als Zeit, die Zeit als Labyrinth.
Nun gibt es weder Zeit noch Bewegung abstrakt losgelöst von etwas, das sich bewegt. Umgekehrt bringt Bewegung den Körper überhaupt erst hervor, indem sie ihn erfahrbar macht. Die Erfindung des Körpers als Lesen der Inschriften des Raumes im Fleisch. Das Bild, das diesem Auflesen Maß und Halt gibt. Das Bild, das die Erzählung begrenzt, sie gleichzeitig aber fühlbar macht. Das Bild, dem entlang spüren und gespürt werden sich anlagern, berühren und berührt werden in der Imagination gleichzeitig sich erfahren, Pathos und Empathie, aktiv und passiv sich verschlingend, Subjekt und Objekt sich überlappend, ihre Trennung tendenziell aufhebend.
Wie eine Metapher der Kunst selbst wirkt dann die Festung von diesem Blickwinkel aus und wirft dabei all die Fragestellungen auf, mit denen die Kunst in einem aggressiven Kapitalismus mit all seinen Widersprüchen und Antagonismen konfrontiert ist, lässt Metapher ganz wörtlich als Verdichtung verstehen, wie Freud die Metapher verstanden wissen wollte, als ein Zusammenziehen verschiedener Bedeutungen, die sich hier um die Begriffe Festung, Krieg, Leben, Überleben lagern.
Was sich aber auch zusammenzieht, das ist eine Überlagerung der Zeiten um auch die Zeit wieder zu erinnern, in der radikale Veränderung noch möglich erschien um sie auch jetzt als Alternative ins Gedächtnis zu rufen und dort zu behalten.
Nun verbirgt eine jede Wand als Außenhaut eines Gebäudes ein Inneres, das erst in seinem Betreten sich als Labyrinth entpuppt und meist erst da, wo es den Betretenden nicht mehr aus sich zurückfinden lässt. Die Sprache ist hier verführerisch ungenau, lässt sie dieses sich doch zugleich reflexiv gelten wie auch als Personalpronomen, rückbezüglich also auf den Betretenden wie auf das Betretene, das Haus wie den, der es betritt. Wie eine Art Überblendung wirkt das Wort hier, eine Metapher der Metapher selbst, ein Ort, an welchem sich Orte kreuzen, ein Schnittpunkt, ein Knotenpunkt, ein Ort, zu dem verschiedene Linien hin- und wegführen, Labyrinth des Denkens, Labyrinth des Raumes, Labyrinth der Bewegung und ihrer Wahrnehmung.
In mehreren Artikeln zu 50x50x50 ART SÜDTIROL versucht ein Blinder sein Gespür am Labyrinthischen zu schärfen um ganz allgemein einen anderen Zugang zu Kunst zu erarbeiten, eine etwas andere Herangehensweise der Rezeption vorzuschlagen, die ihren Ausgangspunkt in der Beziehung von Bild und Ton, von Körper und Sprache, von Ästhetik und Politik sieht.
Ohne dass es hierzu Vorgaben oder Absprachen gegeben hätte, kristallisierte sich aus den eingesendeten und vom Kurator Hartwig Thaler in die Ausstellung übernommenen Arbeiten eine Linie heraus, die man als Auseinandersetzung mit dem Anderen bezeichnen könnte. Das schlug sich in sehr vielen Arbeiten zum Thema Flüchtlinge nieder, aber auch an anderen Themen wie beispielsweise einer Performance Salvation die sich mit dem Zusammenhang von Liebe und Religion auseinandersetzt und dabei Kommunikation, Bild, Gewalt, Geschlechterbeziehungen und Macht thematisiert.
Der erste Artikel beschäftigt sich mit der Performance Salvation von PiderZuHeiss, die Imaginationen einer Liebesbeziehung hinein ins Religiöse unter besonderer Beobachtung moderner Telekommunikationsmittel ausleuchtet.
Im zweiten Artikel wird ein selektiver Rundgang durch die Ausstellung vorgenommen werden um im dritten Artikel sich anhand der Lesung in der Casa Nang mit der Beziehung von Ästhetik und Politik unter besonderer Berücksichtigung der Literatur zu befassen.
Wege und Performance
Schatten der Mauern, die sich der Haut zudringlich entgegenschieben, die sich dem Körper aufdringen. Die Haut des Körpers verwandelt den dreidimensionalen Raum in die Fläche, die sie selbst ist, die sie ausspannt. Die räumliche Tiefe wird zur Intensität, zum größeren und kleineren Gewicht, in der die Wände an ihn und sein Fleisch herantreten um sich wieder von ihnen wegzuschieben, sich zu entfernen. Da öffnet sich ihm etwas um ihn durchzulassen, ihn zu überwölben, zu schützen. Da birgt ihn etwas wie eine Nische, drängt sich ihm auf, kommt ihn nahe, vielleicht zu nahe, lässt ihn ein, schiebt ihn wieder hinaus und das so abrupt, dass er sich wie hinausgewürgt vorkommt, wie ausgekotzt.
Das Empfundene, Gespürte, Gefühlte, das Gehörte und Geschmeckte bringt sich in Haut und Fleisch hervor, verschiebt sich mit und in einer jeden Bewegung. Aus solchem Gespür reflektiert der Raum sich selbst und aus seiner Reflektion bringt er sich für den Blinden hervor. Der Körper ist nichts anderes als der Protokollant der Inschriften dieser Bewegungen, von Bewegungen, die er in Bewegungen notiert, dabei seinem Gedächtnis nachtastend, sich in ihm gleichsam verdoppelnd, immer wieder kopierend und verdoppelnd.
Eine Frau, allein mit ihren Phantasien und Imaginationen, allein mit ihren Bildern ihrem Begehren und ihren Begierden: der erwünschte Dialog mit dem geliebten, verehrten ja angebeteten Jüngling findet nicht statt und wo der Dialog nicht stattfindet, da wird er im Monolog imaginiert.
Medien dieser Monologe sind moderne Tele-Kommunikationsmittel wie das Tele-Phon, und die an es angeschlossene Bestätigung der Abwesenheit, der Anrufbeantworter, der freilich auch Anwesenheit unterstellt und die Abwesenheit als für nur zeitlich erklärt: es wird auf ihn gesprochen, weil er irgendwann abgehört wird, oder zumindest geglaubt wird, dass dies so sei, und eine Rückantwort daher erwartet werden darf.
Was aber da ins Telefon gesprochen wird, das sind kindliche Gebete in Kinderreimform, etwa: Lieber Jüngling mein, lass mich dir empfohlen sein… Gebete die genauso um Vergebung für ein vermeintlich sündiges Leben bitten, wie für den Schutz in der Nacht, die genauso Liebeserklärungen sind, denen meist Küsse in den Telefonhörer folgen und umgekehrt wird das Telefon wiederum als Masturbationsgerät benutzt.
Die gesamte Kommunikation wird von der Frau nicht nur ausgelöst, sie stellt all deren Bestandteile dar, führt Figuren der Vermittlung ein, wie die gesamte Szenerie sich entlang der diversesten Vermittlungsmedien entfaltet. Rolle und Funktion von Vermittlern übernimmt sie aus dem christlichen Glaubensgut. Sie überträgt eine Art der Vermittlung zwei Figuren, der Figur eines Priesters und der Figur eines Engels, die sie je in einer Hand führt, denen sie ihre Stimme leiht, jedoch nicht ihre Sprache: Sie überlässt ihnen überhaupt keinen Text, lässt den kleinen Engel in einem hohen Diskant um den Vokal I kreisen, dessen Ausdruck allein mit einem S rhythmisiert wird. Die Figur des Priesters wiederum brummelt sie zwischen ihren aufgeblasenen Backen heraus und dazwischen findet sie eine dialogische Kommunikation, die sich zwischen Anhimmelei und Vorhaltungen gegen sie bewegt.
Unzweideutig spielt das Ganze auf die Nähe von göttlichem und irdischen Liebesobjekt an, dabei die mittelalterliche Frauenmystik unterschwellig erinnernd, etwa die Gestalt der Angela von Foligno, die sich um 1200 allabendlich in die Kirche ihres Heimatstädtchens schlich um sich nackt am blutüberströmten Holzkruzifix mit der Hand in den Wunden des Christus zu befriedigen.
Eine profane Anbeterin eines Jünglings heutzutage, hat es da viel einfacher und zugleich viel schwerer. Für die Übersendung von Wünschen und Anhimmelungen sind technische Geräte zuständig, die einerseits zuverlässig die Übermittlung an den Adressaten garantieren, nicht aber dessen Anwesenheit: die Anwesenheit des Göttlichen hingegen immer und überall ist qua definitionem des Göttlichen bezeugt, nicht aber dass es mit uns spricht. You Cannot Petition The Lord With Prayer, wie es bei Jim Morrison und denThe Doors heist.
Auf sich selbst zurückgeworfen muss das Gebet zur Masturbation werden, wie es uns die Frau der Performance ja auch vorführt.
Der Andere im anderen Raum wiederum, genauer auf dem roten Thron vor der Tür, der Jüngling, der Mann, am Ende taucht er selbst auf, um austauschbar dasselbe zu erleiden das vorher die Frau sich angetan hat, nachdem er aber vorher die vom Telefonkabel gefesselte Frau durch den Raum rollt.
Während aber in der Antike das Göttliche noch eine mögliche Gestalt hatte, wird Gott im Christentum zum deus absconditus, zur absolut ungreifbaren Macht, dessen Sohn als Menschgewordener zwar dargestellt werden darf, eine Darstellung allerdings, der sich die Reformation später entziehen wird, um sie als Götzendienst zu verteufeln.
Eine Verquickung von Antike und Christentum fand sich bei Giordano Bruno und seiner Lesart des Akteionmythos, wo die göttliche Erscheinung nicht ertragen werden kann, und zum Tod führt. Eine eher jüdisch-christliche Sicht des Numinosen, des Göttlichen, das aber auch in der Antike seinen Ort hat, in der Begegnung des Theresias mit der nackten Athene etwa, die ihn durch ihrem Anblick erblinden lässt.
Der Bildschirm nun wird in der Performance zur ironischen Garantie, dass niemand bei der Betrachtung des Angebeteten zu Schaden kommt, wird wörtlich zum Schirm aus Bildern, zum Schutz vor dem Gesehenen, eine Vermittlung aus der unnahbaren Ferne, die von der Frau allerdings als Befriedigungsobjekt zur Masturbation bestiegen wird, Surrogat der Wirklichkeit, die im Cybersex ihre ganz reale und analoge Entsprechung findet.
Damit bringt die Performance eine Vermittlung ins Spiel, die tragbar oder ertragbar ist, die Göttlichkeit in ihrer Gestalt ist das nicht, wäre es nicht, da Göttlichkeit im Christentum keine real erscheinende Gestalt haben kann; in Erscheinung treten nur etwa die Gottesmutter Maria und all die Heiligen, die ihre Glaubensstärke im Martyrium unter Beweis gestellt haben.
Mit Glitzersternchen überschüttet sich die Frau selbst. Am Ende wird der Jüngling genauso mit sich verfahren. Mit Sternchen zum Stern werden.
Einerseits die Anerkennung durch den anderen, oder wie es Lacan formulierte: „Begehren ist das Begehren des Begehrens des Anderen“, andererseits die Nähe des Religiösen in aller menschlichen Beziehung, das soziale als quasi-religiöser Anspruch des Göttlichen durch das Göttliche, Anspruch als angesprochen werden, als Aufgabe von sich selbst eingefordert, oder vielleicht als Aufgabe des Selbst: in der Performance Salvation wird all dies angedeutet, schwingt dezent und unaufdringlich mit.
In der Performance werden die üblichen Geschlechterrollen, obschon dies auf den ersten Blick nicht so aussieht, unterschwellig anders aufgegriffen. Die Spannung aber entsteht mit dem Ende, das das Stück nochmals von vorne beginnen lässt, nur mit ausgetauschten Rollen. Nachdem das aber nur angedeutet wird, verlassen die Zuschauer und Zu-hörer den Raum mit dem Gedanken, im Kopf die Konsequenzen davon durchspielen zu müssen. Aber beginnen wir nochmals von vorne.
Der Grundgedanke der Performance besteht darin, dass die Frau als die Beseelung der Figuren, denen sie eine Stimme verleiht aber keine Sprache, alle Sprache in sich und bei sich monopolisiert. Und wo in der Austauschbarkeit der Geschlechter, der Gewalt, des Begehrens der Jüngling auftaucht , handelt er zwar, handelt aber immer schweigend, ja ohne Laute von sich zu geben oder überhaupt Geräusche zu verursachen, während die Frau auch weiterhin stöhnt, lautstark atmet, ihre Gebetstiraden ins Telefon flüstert oder schreit, oder die Figuren wie Handpuppen im unverständlichen Kauderwelsch aufeinander loslässt.
Die biblische Unterscheidung zwischen Atem und Beseelung und der Stimme einerseits, die dem Männlich-Göttlichen zugesprochen wird und der Sprache, die zu erwerben Gott dem Adam überträgt, indem er ihm aufträgt, für jedes Element der Schöpfung einen Namen zu finden, wird hier konterkariert und zumindest teilweise ausgesetzt. Die Beseelung kommt nicht vom männlichen Prinzip sondern von der Frau, die hier in gewisser Weise die absolute Handlungshoheit hat und es auch tunlichst vermeidet, diese in Diskursen und sei es in Selbstgesprächen zu gefährden. In ihrer absolut solipsistischen Welt, und hier kündigt sich das kulturkritische Potential der Performance bereits an, gibt es nichts als sie und nochmals sie.
Dem Religiösen in seinen Ausschwingungen wird in aller Kommunikation nachgespürt, das Souterrain bloßgelegt, das bei allem Austausch untergründig mitschwingt, das Symbolische, das in keiner Gestalt endgültig aufgeht aber in allem Gestalteten als Überschuss anwesend ist und doch keinerlei Gestalt je findet, in einer jeden Gestalt nur verraten werden könnte.
Zwar wird das Andere von der Performance in gewisser Weise thematisiert, allerdings um es in einem Gravitationsfeld solipsistisch um das Eigene kreisen zu lassen. Aber vielleicht ist die abendländische Ab-handlung des Anderen grundsätzlich nur eine Verdoppelung des Eigenen, etwas, dass das Andere imperialistisch eingemeindet um nicht aus seiner Selbsterfindung und Selbsterweiterung herauskommen zu müssen, eher also eine Verstärkung des Individuums, das das Andere als seinen Schatten benötigt, um sich selbst dadurch quasi zu erden. Somit förderte diese Art Liebesbetrachtung eine Reproduktion der Vernichtung des Anderen zu Tage, und daher eine in ihren ironischen Übertreibungen durchaus kritische Behandlung des Themas. Wozu auch die Rolle der Bekleidung und des Kleidungswechsels gehört: Die Kleidung als Anziehung des Identischen, die Identität als zweite Haut, die Madonna als Kleid, als Mantel, als Unterwäsche, immer bedruckt mit dem Konterfei der Maria. Auf einem Kleiderständer abzunehmen nach Bedarf um in eine andere Haut zu schlüpfen, aber auch um die überlebten Schalen und Schichten ablegen zu können.
Ein zweites Mal die eckige Wendeltreppe nach oben, ein zweites Mal die Wiese, nur dass sie jetzt noch heißer daliegt.
Aufgebrochene Außenmauern, die zu verglasen in einer Kriegsarchitektur absurd erschienen wäre, wo beim ersten Mörsereinschlag alles an Scheiben in Scherben geborsten wäre. So durchschwimmt der Körper mit einem jeden Schritt ohne Unterlass einen Film von Sand und Staub, atmet sie ein, nicht unbedingt zu Husten reizend, aber auf der Haut spürbar, unter den Füßen hörbar, fühlbar. Trotz der aufgebrochenen Außenmauern hat die Luft hier nicht die Kraft, sich da herauszuziehen, wieder Luft zu werden. Hier nicht, nicht in diesem Raum. Kein Windstoß von außen und der Raum Innen verdoppelt sich so imaginär zu etwas Statischem, zu einem luftundurchlässigem Käfig, in dem die Imagination einzig gegen sich selbst antreten kann um sich vor sich zu verspiegeln.
In anderen Räumen ganz anders: da durchquert der Körper ein von außen hereinbrechendes Außen in Gestalt von Geräuschen, von spürbarem Wind… Oder vielleicht andersherum: da durchquert ein hereinbrechendes Außen den Körper, das durch die Öffnungen in Temperatur, in Gespür, in Akustik hereintritt als wolle sich all das in Erinnerung rufen, das auf dem Weg in die Festung begegnete, als bestände der Weg auf sein Gedächtnis, das Gedächtnis der Ereignisse, die ihn ausmachten, vielleicht auch, dass er darauf bestehe, dass es wieder einen Weg hinausgibt und dass der derselbe ist wie der, der hereinführte.
Der Raum der Performance wie ein Sakralraum ist er ausstaffiert mit einer Art Altar in einer tiefen Fensternische, mit Klingelbeutel und Weihwasserbecken. Was irritiert ist ein Bett am Ende zweier Stufen und ein Fernseher und natürlich die etwas melancholische Musik eines Teenies, einer Frau, die halbnackt in Versform scheinbar mit ihrem Geliebten telefoniert.
Die Gegenstände, die Requisiten, auf der selben Ebene stehen sie wie das Publikum, machen das Publikum zu ihresgleichen ohne dass eine direkte Miteinbeziehung des Publikums stattfinden musste: Menschen wie Objekte werden zum Gebrauch vernutzt, demonstrieren die drastische Subjekt-Objekt-Beziehung, in die sie die Egomanie von Liebe wie Religion verwandeln können, ohne dass derartiges in deren Struktur angelegt sein muss.
Anders als im Theaterguckkasten sitzt das Publikum auf seinen Bierbänken wie inmitten des Denkens selbst, das sich vor sich ausbreitet und für sich und vor sich reflektiert. Nichts wird da vorgespielt, eher handelt es sich um eine Art Experiment am geöffneten Hirn.
Alles, was in dieser Performance an Dingen oder Figuren Verwendung findet, steht zur weiblichen Figur in solcher unmittelbaren Nähe, dass alles andere ausgeschlossen scheint, dass es keinerlei Welt außerhalb der sich wiederholenden Handlung geben kann, und keiner der Gegenstände auf ein Außerhalb hindeutet. Und noch das Außen in Gestalt des Jünglings, der ohne ein Wort gegen Ende hereintritt, lässt den Handlungsraum zur traumwandlerischen Imaginationsebene der Frau verkommen, als wäre die Welt nur von ihr und für sie von ihr selbst erfunden worden, um sie für einen einzigen Zweck auszurichten: für ihre hemmungslose Schwärmerei.
Ein sehr egomanisches Spiel der Einverleibung, das in seiner Essenz auch klar macht, dass das abendländische Religionsverständnis, die abendländisch ausgeübte Religiosität keinerlei nachahmenswerte Gedanken zu Spiritualität, geschweige denn zu einer kollektiv sich anzueignenden Alternative dazu vorzuschlagen wüsste. Umgekehrt lässt die Performance den Schluss zu, dass die abendländische Vorstellung von Liebe die beste Voraussetzung für den Fortbestand des rücksichtslosen auf Individualität basierenden kapitalistischen Ausbeutungssystems darstellt.
Die männliche Figur, die da vor dem Ort der Performance auf einem rotgestrichenen Thron sitzt, während der Performance wird ihr Gesicht von einer Kamera übertragen und die Übertragung ist auf einem Bildschirm im Inneren zu sehen, das Bild eines Jünglings, der offensichtlich von der weiblichen Protagonistin angehimmelt, ja im wahrsten Sinne des Wortes angebetet wird, jedoch nur solange, solange er nicht in Persona auftritt. Im Verlauf der Performance wird sie den Bildschirm besteigen als wolle sie es mit ihm treiben, eine ganz fleischliche Maßnahme der Befriedigung, wie sie in der Pornographie praktiziert wird und wo beginnt Pornographie wenn nicht beim Bild. Beim Bild nimmt sie ihren Anfang und das muss nicht die Darstellung der Geschlechtsorgane sein, es kann Fleisch werden, selbst wo es sich „nur“ um die Darstellung des Fleisches handelt, etwa um die Darstellung des Christus in Holz.
Was ist also tatsächlich Fleisch und wo wird Fleisch gespürt, gefühlt, wird es berührt, oder berührt es, gibt es da einen Unterschied zwischen aktiv und passiv und was dazwischen, zwischen beiden ist das oder der oder die andere. Welche Rolle spielt die Imago, denn wenn wir etwas und was auch immer berühren, es ist immer nur das Bild davon und das gilt auch für den Blinden, nur dass dessen Bild eben kein visuelles Bild ist, sondern ein Gemisch aus Gefühltem, Gespürtem, Gerochenem und Gehörtem.
Religion ist aber nicht der Tod der Liebe. In Anlehnung an Clausewitz, der von der Politik als der Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln spricht, ließe sich vielleicht sagen, dass Religion die Fortsetzung der Liebe mit anderen Mitteln ist. Dass auch hier der Krieg im rasenden rücksichtslosen Begehren nicht so weit entfernt ist, wird in der Performance geradezu sinnlich spürbar.
Die Musik, in die das Publikum zu Beginn eingetaucht wird, die im Verlauf der Aufführung als Stilelement wiederholt auftaucht, die etwas innerlich Strahlendes darstellt, zugleich etwas, das in die Handlung eingebunden ist, malt eine Hermetik aus, etwas Unausweichliches, das letztlich kein Außen kennt das das alles Umschließende darstellt als Einfärbung einer Stimmung, was das Bild nicht darzustellen in der Lage wäre das Bild ist immer ein „von außen“, es ist letztlich die Wand der Reproduktion, an der sich das Körperliche reflektiert um noch seine Andersheit von sich sich einverleiben zu können. In diesem Sinne reflektiert auch die Musik die um sich kreisende Figur in ihrer Egomanie.
Auch das Bild spielt in der Performance eine zentrale Rolle oder genauer die Frage, was es abbildet oder ob es das überhaupt tut. Der Jüngling, an den die Anrufungen gerichtet werden, existiert, der steht vor dem Raum, genauer er sitzt da, und seine Anwesenheit wird via Mattscheibe in die Performance übertragen. Sein Bild ist das, was durch Masturbation befriedigen soll. Dann taucht das Objekt der Begierde aber in persona auf, persona aber bedeutet im Ursprung lateinisch Maske und hierin kommen wir der Imagination und ihrem verbergenden Charakter schon beträchtlich nahe. Das Bild aber erfährt keine Bestätigung durch den Ton, alles Objekthafte ist Bild, und indem dies Objekthafte keinen Ton von sich gibt verliert es alle Erdung, alle Eigenständigkeit, alle Fleischlichkeit. Das Bild wird tatsächlich als das vorgeführt was es letztlich ist, handelnd existent nur in und durch Erzählung. Obwohl der Jüngling in Persona auftaucht, erscheint er wie der Schatten seines Bildes, gibt sich die Frau nur mit seinem Bild ab, erscheint es, sein Bild, wirklicher als er selbst.
Das Bild in dieser Aufführung gehört allen, das Geräusch wiederum wie auch das Wort gehört nur der, in deren Gedankenwelt wir als Publikum uns bewegen. Aber auch die Bilder, die wir als Publikum sehen, sind nicht die Bilder unserer Einbildungskraft, das Denken, in das uns die Performance einlässt liefert uns lose die Bilder eines Denkens, das selbst dadurch lose wirkt. Der Andere wird so zum Objekt einer solipsistischen Veranstaltung, die letztlich das Eigene im Anderen nur verdoppelt. Der Performance über Liebe und Religion gelingt so eine Art Gleichnis über abendländisches Denken überhaupt, über dessen Unfähigkeit sich dem Anderen zu öffnen, ihn zuzulassen, aber auch, eine Darstellung seiner Bodenlosigkeit, vor der es auch nicht sein Reproduktionswahn rettet. Das Dargestellte ist nicht wirklicher als sein Bild, umgekehrt vervielfältigt die Vervielfältigung seiner Bilder die möglichen Wirklichkeiten.
Vom Toben im Schnee kennt man es: die Auf- und Abbewegungen der Arme, die Flügel im gefrorenen Nass hinterlassen. Hier nun auf trockenen Boden ist es die Imagination, die uns das Bild der Engelsflügel vorspielen, Flügel der Frau, deren Unschuld in ihrem Begehren im Verlauf der Performance sich erweisen soll. Stöhnend vollzieht sie die Bewegungen als hieße es einen Kraftakt hineinzulegen um diese Unschuld tatsächlich zu gewinnen oder zu erhalten.
In der Erinnerung die Bewegung zum Bild geronnen, die Spur der Bewegung zur Bewegung selbst imaginiert.
Etwas streift über den Boden, wird über ihn gestreift. Rhythmisch und immer mehr sich in ein lustvolles Rasen steigernd, dabei Lachen, nicht über etwas, das sie belustigte, eher als ob sie etwas kitzelte, als ob sie jemand kitzelte, sie kitzelte und nicht damit aufhörte, nicht dabei nachließ.
Immer wieder dieselbe Abfolge: Betrachten der Kleider, sie anprobieren, sich in ihnen betrachten, dann wieder verfallen geradezu in übermäßig hektische sportliche Aktionen mit Sprüngen die beiden Stufen zum Bett hinauf um in einen Dialog zwischen dem Engel und dem Priester zu verfallen, beide Figuren wie Handpuppen der Getriebenen behandelt, die vor einem Spiegel tanzt und sich immer wieder mit dem mit einem Bild der Jungfrau bedrucktem Kleid vor sich selbst spiegelt, bevor sie wieder den kleinen Engel und die Priesterfigur aufnimmt, oder den Telefonhörer.
Nichts wird dargestellt um es in welchem Kontext auch immer aufzuzeigen, eher erinnert das Spiel und das ganz wörtlich an das Panoptikum, das Hermann Kasack zu Beginn seiner Stadt hinter dem Strom erstehen lässt um Bewegungen aufzuzeigen, die die Toten wiederholen müssten, um sich in deren Sinnlosigkeit besser von ihnen trennen zu können, um gereinigt von ihnen in ein Jenseits eintreten zu können.
Nicht die Religion ist der Tod der Liebe, es ist das einzig Um-sich-selbst-Kreisen einer postmodernen Egomanie, die sich vor allem anderen verschließt, noch vor dem verschließt, was es vermeintlich liebt und diesen Ausschluss noch nicht einmal bemerkt.