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Ausstellungsansicht: Cevdet Erek. Bergama Stereo. Musikwerke Bildender Künstler, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 2019, © Cevdet Erek / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Mathias Völzke

Klopfzeichen aus dem Körperdunkel

Die Architekturinstallation Bergama Stereo von Cevdet Erek im Hamburger Bahnhof in Berlin

Der absolute Orientierungsverlust kaum dass der Blinde den historischen Hauptraum hinter dem Vorhang betreten hat, einen Raum, den er von früheren Ausstellungen her zu kennen glaubte. Ein undifferenziert dröhnendes Klanggewaber, das in Wellen, dann wieder in metallischem Schnitt auf ihn eindringt.

Der Altar von Pergamon, einen hellenistischen Stadtkult repräsentierend, anhand einer Götterschlacht einen Machtanspruch von Herrschern in Marmor verkörpernd. Der Blinde kennt die Passage aus Peter Weiss’s Ästhetik des Widerstandes, hat sich bei Besuchen im Pergamonmuseum von seiner Assistentin den Altar beschreiben lassen. Die Wucht der Klanginstallation versperrt ihm zunächst aber allen Zugang, bis er versteht, dass er vom Anfang her, von seinem Eintritt in den Raum, von diesem Standpunkt aus nichts verstehen kann.

Drei Momente erscheinen dem blinden Autor als außermusikalische Referenzpunkte für Cevdet Ereks Bergama Stereo zentral: zum einen ist es dem antiken Zeitverständnis der Wiederholung verpflichtet, zum anderen der Auseinandersetzung zwischen Oben und Unten, zwischen Unbewusstem und Bewusstem und zum dritten der Bewegung als generatives Moment der Komposition.

Von seinem bildlosen Standpunkt, von seiner bildlosen Bewegung aus versucht ein blinder Autor sich dieser beeindruckenden Arbeit anzunähern, sie zu ergehen.

Cevdet Erek eröffnet die Möglichkeit menschliches Hören nochmal auf eine ganz andere Weise zu erfahren, die Ohren sich von allen Seiten her in der Bewegung öffnen zu lassen. Erstes Erfordernis der Arbeit von Cevdet Erek ist also die Bewegung, die Wahrnehmung eines Kunstwerkes aus dem Gehen heraus, was ja auch das zentrale Moment des Marmorfrieses ist, vielleicht aber auch ein Teil des Verständnisses des religiösen Momentes des hellenistischen Altars.

In der Bewegung eröffnet sich aber noch etwas ganz anderes, eine Zeiterfahrung, die wie ein Sog in ein Immerwieder hineinzieht, eine Zeit sich auftuen lassend, zu der wir einerseits über den Loop, und Cevdet Ereks Arbeit ist voll davon, hineingezogen werden, die uns im Wiederkehren des Immergleichen unser Denken aufsperrt. Was sich damit auch öffnet ist das antike Zeitverständnis, dem die Figur der Wiederholung zugrunde liegt, die uns in der Arbeit im Hamburger Bahnhof auf Schritt und Tritt begegnet. Diese steht der christlichen Escahtologie mit ihrer Erlösungs-Fixiertheit gegenüber, die auf das Ereignis zielt und vom erlösenden Ereignis herkommt.

Der Eschatologie steht die antike Wiederholung gegenüber, ja widerspricht ihr, zielt sie doch gerade auf das Ereignis und kommt vom erlösenden Ereignis her, ist also nicht berechenbar, setzt der ewigen Wiederkehr aber ein Ende.

Cevdet Erek nun verbindet beides in seiner Arbeit: scheinbar losgelöste Ereignisse und deren Wiederholung, die zusammen eine Gesamtatmosphäre ergeben, die beides akustisch als einen Zusammenklang gleichsam harmonisieren. Das Ereignis wirkt in den Nachschwingungen im Loop wie eine echoartige Gedächtnisleistung, die das Gesamt der Erfahrung zu ihrem eigenen Klangraum ausprägt.

Grundtönung im Hellenismus ist der Pessimismus, der von göttlichen Gestalten unterbrochen wird, die auch die Sternenabhängigkeit unterbrechen, die, wie Isis, sich als Schicksalsüberwinderin darstellen und das Schicksaal zu ihrem Attribut erklären. Diese dunkle Grundtönung wiederum trägt die ganze Stimmung von Bergama Stereo, unterbrochen sie in Einzelereignissen, die in der Bewegung, dem Umhergehen im Klangraum erst zutage treten.

Altar, Schlacht und Schlachtung

Der Altar, der Opferort, auf Stufen ist er zu erreichen, drückt einerseits eine Distanz zu den Unsterblichen aus, andererseits auch eine Erreichbarkeit, eine mögliche Annäherung, die Erstellbarkeit einer Beziehung über das Ritual am Altar.

Die Schlacht als eine Summe von Einzelkämpfen, von Einzelgeschichten stellt sie sich dar, die der Blick erst zu einem Gesamtgeschehen zusammenfasst. Die Arbeit leuchtet nicht nur eine Präzisierung des Begriffes der Schlacht und seine Verwendung aus, wo er als ein Zusammen das fasst, das in seinen Einzelerscheinungen, den einzelnen Kampfhandlungen und ihren Auswirkungen nur eine Empfindung übrig lassen kann, sondern lässt auch durch die körperliche Bewegung des blinden Hörers durch die Installation die einzelnen Geschehnisse erfahren, lässt sie akustisch zu einem Parcours der Wucht und Gewalt ausdifferenzieren. Bergama Stereo lässt zudem Sprache aus dem Hören erstehen, lässt den Begriff haptisch-taktil aus der Hörbewegung erwachsen, die Zeit als Differenzmoment zwischen Moment der Berührung und dem Erfahren der Zeit im Tasten zu sich, zu Sprache und Sinn kommen.

Maßstabsgetreu ist der Altar aus riesigen Lautsprecherboxen wiedergegeben. 34-kanalig und ein jeder Kanal gibt einen Kanal einer Soundkomposition von Cevdet Erek wieder. Gigantische Lautsprecher geben in Geräuschen und Rhythmen einen Eindruck von Kampf und Kämpfen von Giganten wieder, die Gigantomachie, die Auseinandersetzung der Olympier*innen mit den Titanen der Unterwelt, deren Bildhaftigkeit aber einzig aus dem bildlosen inneren Bild ersteht: Resonanzen und Echos als Bestandteile eines Klangraumes, der im Verstehenwollen Imaginationen hervorruft.

Die besondere Qualität der Berghainboxen ist es wiederum, dass sie dafür sorgen, dass in dem historischen Hauptraum des Hamburger Bahnhofs der Klang zugleich ausgestrahlt und wieder zurückgenommen wird so, dass der Raum nicht einfach im Klangraum ersäuft, dass er differenziert sich als Stereoerlebnis verkörpert. Stereo bedeutet im Altgriechischen sowohl fest als auch zweiseitig: eine unteilbare Doppelheit des Unten und des Oben, die derartige Festigkeit überhaupt erst erwirkt.

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Cevdet Erek in der Installation "Bergama Stereo. Musikwerke Bildender Künstler", Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 2019, © Cevdet Erek / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Mathias Völzke

Raum und Ereignis

Den Vorhang weggezogen und unverhüllt drängt das Rumoren auf Haut und Ohren. Er horcht bevor er losgeht, bevor er den bekannten Raum der ehemaligen Haupthalle des Hamburger Bahnhofs mit seinem Langstock durchmisst. Etwas ist von hier aus zu unterscheiden, einerseits jenes Rumoren, ein undifferenzierbares Geräusch, aus dem klar sich andererseits eine Taktfigur herausschält, um immer und immer wieder wiederholt zu werden.

Bevor sich der blinde Autor von der sehenden Assistentin das beschreiben lässt, was da zu sehen ist, geht er dann doch einfach los, den Blindenstock über den glatten Steinboden eher schiebend denn rollend, da die Kugel spürbar sich nicht dreht, keinen Halt findend, um den herum sie sich drehen könnte.

Er geht. Er hört. Gehen und Hören werden zwei verschwisterte Teile einer einzigen Klangwahrnehmung, deren Ereignisse sich ebenso in zwei Arten des Geschehens aufteilen: da ist einerseits ein scheinbar kontinuierlicher Klangraum, der den blinden Gehenden in all seinen Bewegungen einhüllt, ein dunkles Murmeln, ein Raunen, bedrohlich, abweisend. Da sind andererseits Ereignisse, die begangen werden wollen, an die herangetreten werden muss, die lokal jeweils aus riesigen Lautsprechern dem Herantretenden entgegenkommen und sich öffnen; ein Abenteuer der Wahrnehmung vom Ohr her, dem das Gesehene nur zur Seite steht, das die Herkunft der Geräusche und Klänge lokalisierbar macht, den Raum und seine maßstabsgetreue Wiedergabe in Gestalt des Boxenaufbaues sichtbar macht, sichtbar macht, die Stufen, in denen der Lautsprecher-Altar erklommen werden kann, zwischen ihnen hindurch es sich bewegen lässt, seine Struktur trägt, sie als Erfahrung des Körpers in Bewegung erkennen lässt. Die Bewegungsgeräusche des Blinden verschwinden im Klang, zuletzt das Geräusch des Blindenstocks. Statt des individuellen Geräusches des Hörenden, einzelne Klangaktionen aus einzelnen Lautsprechern und aus einem jeden ein ganz spezielles, ein individuelles Klangereignis und das unaufhörlich wiederholt. Klein diese Pattern, sparsam, minimal.

Ohne ein episches Geschehen einfach in Schilderung darstellen zu wollen, nimmt der Komponist Cevdet Erek die Darstellung eines Geschehens in Marmor auf, übersetzt sie in ein scheinbar anderes Medium, in eine Klangkomposition, setzt deren Dynamik, deren Dualismus, deren unauflösliche Antagonismen als ihre Grundstruktur in Klangräumen um, die nur in Bewegung erfahrbar sind. Erfahrbar wird so aber auch die Beweglichkeit der Wahrnehmung selbst wie deren Rezeption. Erfahrbar wird aber auch das Zerbrochene, das Fragmentierte des Altars in Pergamon, dem heutigen Bergama.

Im Ergehen der Arbeit, im Ergehen der erhörenden Wahrnehmung, wird alles vermeintlich Ganze zum Fragment. In der Wahrnehmung selbst zerfällt die Komposition, lässt sie scheinbar nur in Partikeln hörbar werden. Der Körper hört dennoch die Komposition als Ganzheit zusammen, ergeht sie zu etwas Einheitlichem und stellt aber zugleich diese Einheit in einem jeden Schritt in Frage. Wie ein Rhythmus immer eine eigene ästhetische innere Logik oder A-logik in diversen Takten hervorbringt, in sie hinein übersetzt, Gedanken, Gedankenbilder, Denkbilder transportierend, sie aber auch zerbrechend, um aus ihrem Klangmaterial sich selbst wieder erneut hervorzubringen: der Wiederholung gehorchend, sie aber auch aufbrechend, ihr immer und immer wieder ein anderes Gesicht verleihend, setzt Bergama Stereo dem Klang und seinem Raum in Wiederholung und Fragment eine Aufforderung hinzu, ein Denk mal! und mach das anders.

Aber nicht allein das Dunkle, das Unterweltartige empfängt die Hörer*innen, es ist auch ein Takt, genauer mehrere Takte in einer Figur, die gedämpft und doch hell, zumindest heller als die Grundtönung das Dumpfe durchschneiden, aus ihm heraustreten. Und, als wollte Cevdet Erek die Komponenten seiner Komposition unterschiedlichen Klangwahrnehmungen gleich zu Beginn seiner Arbeit vorstellen, konfrontiert er die Patterns, die auf 34 Kanäle aufgeteilt sind mit ihrem Echoraum, den sie selbst wie eine Verspiegelung bilden, in den sie eingebettet sind, ohne den sie zerfallen würden.

Konfrontiert ist dieses Klangmaterial mit seinen Vermischungen und Echos zu einem Raum mit einer Taktfigur, die sich aus einer Mischung mehrerer und unterschiedlicher Takte anhört, die dadurch eher wie eine Abstraktion von Takt wirkt. Einerseits geradezu tanzähnlich, hört es sich wie eine Zäsur, wie ein Innehalten an, etwas, was so nicht stattfindet, seine Abwesenheit im Klanggeschehen zur Schau stellt. Das Klangmaterial von diesem Takt getrennt, ist es wiederum von einem Eigenrhythmus der Pattern durchzogen, trägt ein jeder Pattern eine eigenständige Bewegung in sich, einen eigenen Blutkreislauf gleichsam, etwas Pulsierendes, etwas, das ihm immer eine Eigendynamik verleiht, ein eigenständiges Leben gleichsam im Gesamt.

In akustischer Gestalt erhält ein jedes Geschehen etwas scheinbar Unverrückbares, eine feste Position, in seiner Wiederholung wird es zu etwas Schicksalhaftem, das auf sich besteht.

Indem Hörer und Hörerinnen die Installation von vorn nach hinten durchqueren, sie unterbrechen, einige Passagen auslassen, um an einer anderen Stelle wieder bewusst einzusteigen, stellt das Hören in seinem bewussten Durchgehen immer nur das Fragment fest, wiederholt sich nur eines: eine Sammlung von Teilen, die immer mehr und zugleich weniger sind als das große Ganze. Die Klangkomposition löst sich spätestens hier von seinem Referenzbild, macht es zu einer bloßen Struktur, die sich als Klang jedem Bild entzieht.

Im Gehen durch den differenzierten Klangraum und dessen Zusammensetzung zu einer Einheit, dem Erspüren der akustischen Wellen im Fleisch, seinem Nachtasten in der Haut erlebt der Blinde bildlos seinen eigenen Körper als Ort eines Geschehens, das ihn letztlich zerreißen muss, wenn er es nicht im inneren Bild, im Begriff wieder zusammenbringt: er wird die Widersprüchlichkeit selbst, die er in Erzählung, in Beschreibung reflektiert, um sie sich aus dem Körper wieder herauszusagen, herauszuschreiben.

Das in Klang und Geräusch umgesetzte Geschehen, auf das der Blinde und seine sehende Assistentin stoßen: ein antiker Altar, die Darstellung einer Schlacht, ein für die abendländische Kultur tragendes Geschehen, der Kampf der olympischen Götter gegen die Mächte der Unterwelt, Wesen des Monströsen, Giganten und zugleich Kinder der Gaya, der Erde, Kampf der im Sinne des Abendlandes wohlgeformten schönen Aristokrat*innen, gegen das Unförmige das ungebändigte Wilde, mit dem die Besatzung des Olymp nichts zu tun haben wollte, das sie vernichten wollte oder musste, wollte es seine Vormachtstellung nicht in Frage gestellt sehen.

Und doch: allein wenn es Zeus und seiner Sippe gelänge, auch Wesen in den Kampf miteinzubeziehen, in deren Adern auch sterbliches Blut fließt, würde er den Sieg davon tragen, so das Orakel. Es gelang ihm natürlich und dafür hatte er ja selbst gesorgt, hatte er doch auch irdische Frauen geschwängert, deren Söhne in Gestalt des Dionysos und des Herakles sich auf Seiten der Olympier*innen in die Schlacht einmischten.

Nur scheinbar besteht im Menschen die Möglichkeit eines Ausgleiches zwischen der vermeintlich hellen Welt des Bewussten des Tages und der dunklen Welt des Wilden und der Nacht. Niemals aber ist der Sieg des Menschlichen, des Humanen und Humanistischen endgültig und erst recht nicht endgültig garantiert, wie das vergangene Jahrhundert in seiner Bestialität zur Genüge bewiesen hat, und selbst wenn ein solcher Sieg errungen scheint, ist im Antlitz des Menschlichen dann gerade und umso deutlicher die Bestie Mensch zu erkennen.

Eintauchen. Eintauchen in ein dunkles Klanggeschehen. Der Weg hinein in Bergama Stereo ist für einen Blinden zuallererst der Verlust der Orientierung, der Verlust allen zielgerichteten Weges außer eben dem hinein in das Unten und das wummert zunächst von vorne und nimmt dann mit einem jeden Schritt alles vor ihm, dem Blinden ein, umfängt ihn. Was aber macht diese Materialität aus, die ganz körperlich hier erfahren wird, nicht mit den Ohren allein zu hören ist, die vor allem zu spüren, und je näher der Blinde an die Lautsprecher, die man vom Berghain kennt, herantritt, desto mehr ist Klang reine Körperlichkeit, ist sie auch in der Hand zu fühlen, ist sie von unten, von den Füßen her zu spüren, ist sie der ganze Körper, wird sie etwas, das sich wohltuend von der Visualität lösen darf.

Geschehen verliert seine Lokalisierbarkeit im Einsturz eines Gesamt auf den blinden Körper. Indem es aber im wörtlichen Sinne angegangen wird, indem sich der Blinde ihm annähert, differenziert es sich in verschiedene Klanggeschehen aus, wird die Rezeption selbst Bewegung, setzt Bewegung als die Voraussetzung seiner Wahrnehmung zur Bedingung. In der Bewegung wird der Körper zum Moment eines Gesamt und wird zugleich zur Erinnerung dessen, dass solche Bewegung die Voraussetzung von Akustik überhaupt ist, die Voraussetzung ist, sie ausdifferenziert zu hören.

Was der Begriff der Schlacht verbirgt ist, dass eine solche natürlich aus einer Unzahl von Einzelkämpfen besteht, aus individuellem Geschehen, aus Einzelschicksalen. Der Altar in Pergamon ist genau dies: Kämpfe von einzelnen Göttern und Göttinnen mit einzelnen Unterweltmächten, die Übersetzung eines Schlachtgeschehens aus einer poetischen Vorlage in Marmor. Das visuelle Bild aber ist nicht in der Lage, das Gesamt als solches zu fassen, es kommt nicht von den einzelnen Ereignissen los. Erst das Ergehen des Frieses vermittelt sich in Zeit zu einem Gesamtgeschehen, setzt in der Imagination eine bildhaft dargestellte Schlacht zum Bild im Kopf um. Dadurch wird die Rezeption des Marmorfrieses zu einer eher taktilen Angelegenheit, das visuelle Ertasten diverser Geschehenspartikel zum Begriff der Schlacht. Das Bild im Kopf, das Bild der Einbildung als Akkumulation von Bildern, eine Art der Wahrnehmung, die der Wahrnehmung des Blinden und seines Ertastens der Welt nicht unähnlich ist, der der Sehenden freilich auch nicht, aber die Sehenden sehen das erst einmal nicht sofort, da ihnen das visuelle Bild im Weg steht.

Bergama Stereo ist genau diese Unterteilung: ein Gesamt, das sich aus Einzelereignissen, Pattern, zusammensetzt. Stereos wird damit gerade der Doppeldeutigkeit des griechischen Begriffes gerecht: Fest einerseits, geteilt andererseits. Zusammengedacht: gerade in der Teilung fest verankert, auf zwei Beinen stehend, dem rechten wie dem linken Bein, oder wie hier, dem Oben und dem Unten.

Was das Visuelle aber nicht schafft, das Einzelne in seiner Vielzahl zu Einem zusammenzusehen, was der Begriff einzig leistet, das Akustische vermag dies, es lässt sowohl die Einzelgeschehen als auch ihre Summe als Gesamt erhören, setzt sie im Klang zusammen, lässt dann aber auch wieder in der Bewegung das Gesamt hinter den einzelnen Ereignissen zurücktreten, ohne dass es ganz verschwände, stützt es doch das Einzelereignis wie diese das Gesamt und beide verspiegeln sich ineinander.

Anfangen, noch einmal anfangen

Ein Dunkel aus dem sich Takt herausschält. Ein Takt, der nicht Rhythmus werden will, der in seiner Gebrochenheit auf sein Wesen, einfach Takt zu sein, besteht. Klar erkennbar ist er, wenn auch leicht getrübt und das Nochnicht ist nicht erkennbar, ob es in seinem Wesen liegt oder am dumpfen Gewummer, das ihn umgibt. Ein wenig metallisch tritt er aus dem Dumpfen heraus, setzt eine Grenze zwischen sich und dem Raum, aus dem heraus er sich befreit und doch ist zu spüren, dass er ohne diesen Raum, aus dem heraus er sich zu befreien vermag, nicht bestehen könnte.

Schritte hinein. Schritte weiter. Mit der Zeit verliert sich der Takt, der den Gehenden begrüßte und andere Takte in anderen Instrumentationen, von anderen Schlaginstrumenten hereingespielt, drängen sich herein, bilden eine Spur im Körpergedächtnis. Da wird der Körper des Blinden hin- und hergerissen und, dass das ein Blinder hört, ist insofern von Bedeutung, da ihn kein Bild herausreißt aus dem Raum, der gerade erst im Entstehen begriffen ist und den er nur so als ein reines Klangeschehen begreift, den Raum in Zeit sich verwandeln begreift, von keinem Bild angehalten, an keinem Punkt eingefroren

Im Hören das Hören zurückgenommen. Das Rollen des Stockes von den Klängen aufgesogen. Lange noch das metallene Schlagen des in sich gebrochenen Taktes gespürt, länger als es zu hören gewesen war. Was aber ablöst, was in sich aufsaugt: eine tiefe Trommel in einem einfachen Rhythmusgeschehen. Einem Hin und Her, eine Taktvorgabe einer antiken Galeere, der Röcheln und Stöhnen wie aus dem Tartaros folgen und der zuvor nicht als Takt einordbare Takt die Morsezeichen dazu und von ganz unten zugedacht, vom Gedächtnis beigegeben, in welchem es noch immer ganz präsent geblieben ist.

Ein Geheul wie von Winden, gleichsam organisch es hereingeweht und umso erstaunlicher, dass es wohl von einer Death Metal Stimme herrührt, die allerdings ultrahoch erhitzt sein musste, auf dass sich an einer Glasscheibe ihre Struktur als Kondensat, als Niederschlag abzeichnen konnte. Was sich da also als besonders organisch vernehmen ließ, die Stimme eines Shouters, gerade sie ist das Produkt eines hochtechnischen Vorganges, die eine Art Grundatmosphäre von Düsternis ergibt. Eine Düsternis ist es aber nicht allein, was dieses synthetische Atmen in Bergama Stereo vermittelt: immer wieder ein Hauchen, ein Stöhnen, etwas, das dem Schlagen von Trommeln, von Hölzern, von Metallenem eine Seele einzuhauchen scheint, Lebendiges vorgebend, das Schlagwerk durchziehend.

Stimmenkondensate, die wie zermahlen klingen, ein unaussprechliches Leiden tragend. Anklänge eines Marsches, schnell sie von einer eher an Tanz erinnernden Schlagfrequenz verdrängt, in ein leicht hinkendes Schreiten übergehend, das irgendwie mitgeschleppt wird, das sich auch verändert, plötzlich von einer anderen Richtung herkommt, das schneller wird und den Hörenden neckt, weil es in der höheren Geschwindigkeit in ein Stolpern gerät, über sich selbst stolpert und aus einer anderen Richtung und in einer anderen Art sich nur noch wiederholt, weghinkt.

Dann weggegangen. Hin zur Glaswand gegenüber und von hier aus nochmals ein vollkommen anderes Hören, eine nochmals andere Klang- und Raumerfahrung: das eher Organische des Klangraumes verwandelt sich in eine Fabrikhalle, in ein Stahlwerk aus der Ferne gehört, erinnernd an die Kindheit des blinden Autors, der unweit eines Stahlwerkes aufgewachsen ist. Auch hier ein undurchdringliches Hintergrundwummern der Konvertergebläse, durchbrochen von Gezisch und Geatme des Tiefofens, aufgebrochen vom Schlagen gigantischer Hammerschläge eines Walzwerkes.

Was aber bringt welche Klangräume hervor. Einerseits das Instrument, gibt man ihm Raum und das heißt, lässt man es in seinem Klangeigenraum um seinen Ton herum sich entfalten. Bei den tiefen Trommeln hören wir einen derartig gesättigten Klang, der bei sich schwingt, der Klang ist von sich selbst gesättigt, schwingt nicht so stark hinaus in den Außenraum, genügt sich, bleibt bei sich. Auf der anderen Seite etwa die nicht so große tiefe Trommel, die auch schneller geschlagen wird, sie bricht sich an der Wand ihr Echo heraus und in diesem Herausbrechen wird aus dem geschlagenen Takt ein Rhythmus, ein Dialog mit sich selbst.

Der Klangraum wird erst durch Zeit. Wird dem Schlag sie nicht gegeben, füllt andererseits der Raum der Trommel den Schlag schnell mit Klang. Hat der klang keine Zeit für einen Eigenraum oder ist dieser sehr eng, schlägt der Klang hinaus, sucht im außen einen Raum, verlängert, vergrößert sich seinen Eigenraum außerhalb der Trommel. Die Zeit wiederum trennt den eigentlichen Schlag durch den Nachhall, dem eigentlichen Klang. Andererseits kommunizieren die Schläge mit ihrem Echo, bilden aus diesem Dialog einen Rhythmus, der in den Schlägen auf die Trommel nur angelegt ist, der sich im Raum erst realisiert und in einem jeden Raum anders realisiert. Das wiederum öffnet das Werk seinen eigenen Interpretationen, die, die es selbst hervorbringt, je nachdem in welchem Raum die Installation aufgeführt wird, sie wird sich ein jedes Mal vollkommen verändern und tut dies nochmals mit einer jeden Hörerin, einem jeden Hörer. In der Wiederholung der Installation von Raum erwirkt sich die Abfolge von Loops eine ganz besondere und andere Seele.

Was unterscheidet die Außengeräusche von den Geräuschen der Installation. Es ist ihre Punktualität, ihr Ereignischarakter, der sich wiederum von der Abfolge der Ereignisse in der Wiederholung unterscheidet. Die Abfolge erst macht den Takt wie auch den Rhythmus. Alles was sich nicht wiederholt, scheidet die Installation aus, lässt es nicht in ihre Struktur, lässt es einfach von sich abfallen.

Das Wort wiederum oder genauer seine Bezeichnung dessen, was geschieht, wird auf seine Flüchtigkeit verwiesen, hält sich so wenig wie die Deutung der Auguren, die schnell den Vogelflug sehen müssen oder die Lage der Gedärme von Schlachtopfern, um ihre Prophezeiungen stellen zu können. Die Flüchtigkeit eines Zeichens wie dem Wort, erst in ihrer Wiederholung erwirbt sie sich Bedeutung und hier erscheint die Familienähnlichkeit auch hin zu einem antiken Zeitverständnis, das im Oroberos, dem Zeichen der Schlange, die sich in den Schwanz beißt ausgedrückt ist: die Umfassung eines Körpers in der Wiederholung, die alle Sinne in der Wiederholung aufruft und in einer allumfassenden Vergangenheit umschließt.

Der Weg die Stufen hinauf, vollends eintauchen, sich geradezu überschwemmen lassen: in hellen Schlägen eines Beckens wird der dumpfe Rhythmus aufgebrochen und in diesem Beckenschlägen und in ihrem Gefolge kehrt auch der abstrakte Takt des Anfangs wieder, undeutlich zunächst nur, nur als Spur einer Klangfarbe, die an ihn erinnert. Das Stöhnen erinnert jetzt eher an Anstrengung, an arbeiten und leiden darunter, wird von einem hölzern klingenden Klacken oder Klappern vom Hintergrund her durchmischt, Gedanken an Gebeine anrührend, wandernd von links nach rechts in eine Art Trance von rituellen Rhythmen her versetzend. Das Becken dem gegenüber immer im gleichen Takt, ein ruhender Pol eingefasst von Lautsprechertürmen, die vom Boden, den Füßen her genauso zu spüren sind wie von den Seiten, den ganzen Körper von allen Seiten her einnehmend.

Das Becken auf verschiedenen Seiten angeschlagen und so, dass ein eigener Rhythmus sich dabei ergibt, der sich der Sogwirkung der großen Trommeln widersetzt, die Hörenden heraushält hinein in lichte Regionen, Lichtes verheißend, Gebiete jenseits des Tartarus, immer wieder beide Ebenen miteinander konfrontiert, gegeneinander gestellt, keine in endgültigem Triumph, manchmal nur ferne Spuren, Erinnerungen, manchmal eine Vermischung, die mit dem Stöhnen sich in einen Malstrom verwandelt, dem Sog einen ganz anderen Charakter verleihend.

Eine Art Snare wirbelt einen Marsch langsam und auch nur angedeutet, der von einer nicht ganz tiefen Trommel, die an ein Hängetom erinnert aufgegriffen wird, an Mussorgskys Bilder einer Ausstellung erinnernd. Aus dem Stöhnen wieder ein Zermalmen herausgehört und als ob das Gebein im Schlagen sich vom vollen Fleisch der tiefen Trommeln löst, im Gebein das Helle zu sich kommt: ein verstörendes Bild von Auferstehung erscheint im Klang, im Akustischen, im Hören.

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Ausstellungsansicht: Cevdet Erek. Bergama Stereo. Musikwerke Bildender Künstler, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 2019, © Cevdet Erek / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Mathias Völzke